Sozialimpuls aus der Quinta Essentia
Welche Sozialimpulse erwachsen aus der Seinsebene der Quinta Essentia?
Ganzheitliches Denken gefragt
Der soziale Impuls aus dem 5. Prinzip, der Quinta Essentia, heraus ist der Wille und die Fähigkeit, menschheitlich zu denken (vgl. Soziales Leben und soziale Dreigliederung: Der anthroposophische Sozialimpuls). Als Rudolf Steiner den 1. Kurs für die Mediziner hielt,1 sagte er: Wenn der Arzt einen Patienten behandelt, würde es nicht genügen, dass er nur an diesen einen Menschen denkt. Er sollte vielmehr in diesem Menschen den Angehörigen der ganzen Menschheit sehen. Denn in Krankheit und Gesundheit des Einzelnen spiegelt sich nicht nur das persönliche Schicksal, sondern auch unser Gruppenschicksal und auch das Zeitschicksal der Menschheit (vgl. Schicksal und Karma: Schicksalserleben – persönlich, beruflich-sozial und zeitgeschichtlich). Dazu ein Beispiel.
Vor 20 Jahren war das Magenkarzinom in Japan das Stresssymptom der japanischen Gesellschaft schlechthin. Die meisten Magenkarzinome weltweit waren in Japan zu verzeichnen. Heute ist es das Pankreaskarzinom. Heute ist nicht nur der Stress Auslöser, sondern die tiefe Verunsicherung, ob und wie man all das, was geschehen ist, wie Fukushima und anderes, verarbeiten soll. Da sind plötzlich ganz andere Organe belastet. Das Wechseln von Zeitkrankheiten ist ein Ausdruck von Zeitenschicksal, von Volksschicksal.
Menschheitsbewusstsein entwickeln
Es geht heute darum, ein Bewusstsein zu entwickeln, das den Einzelnen und die Gemeinschaften wie Organe eines großen Organismus der Menschheit begreift. Wir leben in einer globalen Welt, haben alle miteinander zu tun (vgl. Beziehung(sfähigkeit): Die Beziehung zum Weltganzen pflegen). Deswegen ist es wichtig, die eigenen Organgrenzen zu pflegen, was beim Nationalismus krankhaft übertrieben und damit wieder pathologisch wird. Aber wir brauchen eine klare Identität, um überhaupt unseren Beitrag zum Ganzen leisten zu können.
Diesen 5. Impuls aus der Anthroposophie können wir auch den christlichen Impuls nennen. Denn das Christentum ist seiner ganzen Entstehungsgeschichte nach, wo immer man auf die echten Quellen hinschaut, menschheitlich-sozial orientiert (vgl. Religion: Zukünftige Aufgaben der Religion). Das Christentum hat eine konfessionell-religiöse Seite, aber auch eine ganz freie philosophische, menschheitliche Grundorientierung, die man in allen Religionen finden kann – immer da, wo Menschen sich für das Ganze interessieren und nicht nur für irgendeine Gruppierung, einen Teil davon.
Rudolf Steiner sah die Zivilgesellschaft als dritten Faktor, der mitregulieren soll. Denn Politik und Wirtschaft sind stark verflochten und werden freiwillig daran auch nichts ändern, aus Angst, ihre Macht zu verlieren. Rudolf Steiner gründete die Anthroposophische Gesellschaft als erste globale zivilgesellschaftliche Organisation überhaupt, die das rein Menschliche, die Menschenrechte sowie Freiheit und Würde als Hauptanliegen hat – die Entwicklung und den Erhalt des rein Menschlichen (vgl. Anthroposophie: Aufgabe der Anthroposophischen Gesellschaft).
Gewissensfreiheit als Indikator für Freiheit des Geisteslebens
Mit dieser Orientierung kann man sich den gesunden Menschenverstand neu erarbeiten und auch den Mut aufbringen, Stopp zu sagen, um wieder dem eigenen Gewissen zu folgen. Aus der Perspektive dieser Menschheitswerte ist es ein Unding, dass sich Ministerien ausdenken und festlegen, was dann von allen Lehrern und Ärzten befolgt werden muss. Das geht an allem vorbei, was der Einzelne braucht. Natürlich sind Rahmenbedingung und Richtlinien nötig, um etwas zu organisieren und zu verwalten, aber der einzelne Mensch muss dennoch bekommen, was er für seine Entwicklung braucht. Das kann nur gelingen, wenn Ärzten und Lehrern wieder ein Recht auf Gewissensfreiheit eingeräumt wird. Ob man seinem Gewissen folgen darf oder nicht, zeigt, ob das Geistesleben frei ist oder nicht. Die Bürokratisierung geht so schleichend und scheibchenweise, dass man sich langsam, aber sicher an Unzumutbares gewöhnt und Gefahr läuft, die Schwelle übersehen, ab wann ein System ins Unmenschliche kippt.
Wir haben viel zu tun in der Anthroposophischen Gesellschaft, um sie zu dem zu machen, als was sie einmal gedacht war (vgl. Anthroposophie: Leitmotive der Anthroposophie). Es wäre ratsam, sich mit anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen, zusammenzuschließen, wenn ihr Anliegen aus einer ähnlichen Quelle kommt.
Vgl. Vortrag „Der Anthroposophische Sozialimpuls“ in Wien, Mai 2018
- Rudolf Steiner, Jungmedizinerkurs, GA 316.