Den eigenen Tod sterben

Wie kann man sich aufs Sterben vorbereiten?

Jedes Sterben ist anders

Rückblickend auf die vielen Sterbebegleitungen von Kindern und Erwachsenen, muss ich sagen, dass Menschen auf sehr unterschiedliche Arten sterben. Das geht von einer dunklen, kämpfenden, schmerzvollen, verzweifelten Erfahrung bis hin zu dem andern Extrem, dem selbst bestimmten, durch euphorisierende Medikamente oder Drogen erleichterten Sterben, das auf eine andere Art Angst besetzt und lebensfeindlich ist. Zwischen diesen Polen vollzieht sich das Sterben der Menschen.

Es hat aber auch immer wieder einzelne Menschen gegeben, die so gestorben sind, wie man das in den Grimmschen Märchen lesen kann:

„Und als er merkte, dass er sterben würde, rief er seine Familie zu sich, sagte noch einige Worte zu ihnen, verabschiedete sich, schloss die Augen, faltete die Hände und verschied.“

Aus meiner Erfahrung und der Beobachtung von Angehörigen heraus möchte ich behaupten: Wenn man einen solchen Tod miterleben darf, hat das auch die Wirkung eines Nah-Tod-Erlebnisses: Zu erleben, dass Sterben nicht nur Kampf und Enge ist, nimmt dem, der es miterlebt, die Angst vor dem Sterben.

Vertrauen ins eigene Sterben haben

Ein solch hingegebenes Sterben kann gelernt werden, im Sinne von Rilkes wunderbarem Gedicht:

„Oh Herr, gib jedem seinen eigenen Tod.
Das Sterben, das aus jenem Leben geht,
worin er Liebe hatte, Sinn und Not,
denn wir sind nur die Schale und das Blatt.
Der große Tod, den jeder in sich hat,
das ist die Frucht, um die sich alles dreht.“

Es ist wichtig für uns Menschen zu vertrauen, uns selbst zu sagen: Ich werde meinen eigenen Tod sterben. Er wird zu mir gehören. Ich brauche mich nicht weiter darum zu sorgen. Den Zugang dazu finde ich, wenn es an der Zeit ist. Den trage ich jetzt schon in mir. Mein Tod gehört zu mir.

Wenn man in einem therapeutischen Beruf oder, wie manche von Ihnen das tun, freiwillig in einem Hospiz mitarbeitet, kann man aus den Sterbebegleitungen die ganzheitlichen Elemente der Nah-Tod-Erfahrungen miterleben und die Konsequenzen, die diese Erfahrungen für das Leben haben, mitnehmen in den Alltag, in das weitere Leben.

Wartende Geistfamilie

Zwei Monate nach dem Tod meines Vaters hatte ein Freund von ihm, ein Priester, einen Zusammenbruch bei einer Taufe. Er kam ins Krankenhaus und man stellte ein inoperables multimetastasiertes Leberkarzinom fest und gab ihm noch vierzehn Tage. Das war ein unglaublicher Schock für diesen Menschen. Er wollte niemanden mehr sehen, außer ein/zwei ganz gute Kollegen und Freunde. Er war überhaupt nicht bereit zu sterben, haderte mit seinem Schicksal und war in einer echten Krise. Nach einigen Tagen saß er morgens strahlend im Bett, als sein Priesterkollege hereinkam. Er begrüßte ihn mit den Worten: „Ich muss dir etwas erzählen. Heute Nacht ist mir der Helmut von Kügelgen (Michaela Glöcklers Vater) erschienen und hat gesagt: ‚Wir warten auf dich. Wir brauchen dich hier.“ Er hätte ihn angestrahlt und die Geste des Empfangens gemacht.

Für jeden von uns gibt es eine Geistfamilie, die mit einem spirituellen Begrüßungsritual auf uns wartet. Das zu wissen ist hilfreich für alle Beteiligten und verändert möglicherweise die Art, wie wir Sterbende begleiten.

Vgl. Vortrag „Die Spirituelle Dimension der Todesnähe“, 14.09.2007