Tod als Geistgeburt begriffen

Wie geht man als Angehöriger mit der eigenen Bedürftigkeit um?

Wie schafft man es, bei all der Trauer, die man erlebt, noch schöne Worte zu sprechen, die den Verstorbenen begleiten?

Wie soll man so etwas Übermenschliches in dieser Situation hinbekommen?

Handeln im Umkreis des Todes

Fragen wie diese sind der eigentliche Grund, warum wir uns die Mühe gemacht haben, das Buch „Handeln im Umkreis des Todes“1 zusammenzustellen, in dem ganz praktische Erfahrungen weitergegeben werden, aber auch Spiritualität im medizinischen Alltag behandelt wird. Wenn wir uns mit diesen Fragen nicht beschäftigen, bevor wir es mit einem Todesfall zu tun haben, bereitet uns diese Art der Begleitung große Mühe, wenn jemand stirbt (vgl. Umgang mit Verstorbenen: Begleitung Verstorbener). Aus diesem Grunde sollten wir uns mit dem Tod ebenso intensiv befassen und uns darauf vorbereiten wie auf eine Geburt (vgl. Ethische Fragen: An der Todesschwelle).

Wenn ich die vielen Bücher sehe, die man heute rund um die Geburt und die ersten Jahre schreibt, wünsche ich mir nur einen Bruchteil davon über die Geistgeburt und das Reifen des geistigen Wesens auf den Tod hin.

Der Mensch als Gedankenwesen

Denn die Weisheit, die wir in unserem Denken tragen und reflektieren, ist in der ganzen Welt zu finden. Wir sind mit unserem individuellen Denken verwoben mit dem großen Weisheitskosmos. Er ist in uns, wir sind in ihm. Wir haben teil an den Gesetzen dieser Schöpfung. Wir sind ein Teil des Ganzen.

Diese Zusammenhänge werden uns denkend bewusst. So wenig, wie der Begriff der Wahrheit, das Ideal der Vertrauenswürdigkeit, eine Zahl oder ein Naturgesetz zerstört werden kann, genau so wenig kann unsere ewige Existenz zerstört werden. Wir sind Gedankenwesen und wachsen und reifen im Laufe unseres Lebens geistig durch unsere Gedankenarbeit. Das Grandiose ist, dass jeder Tag unseres Lebens ein Stückchen Embryonalentwicklung des Geistes bedeutet, der sich in uns verkörpert und an unserem Leib und unserem seelisch-geistigen Wesen arbeitet. Im Todesaugenblick, in dem der Körper abfällt, wird dieser Geist in den Lichtleib des Gedankenorganismus, in das ewige Sein der Gedankenwelt, hineingeboren.

Wir nehmen auch unsere Gefühle und unsere guten und bösen Handlungen über die Schwelle mit, um sie im nachtodlichen Leben im Lichte der Gedanken und der höheren Weisheit anzuschauen, und werden uns dabei der Schicksalsgegebenheiten unserer Erdenentwicklung bewusst (vgl. Identität und Ich: Identifikation und Schicksal). Aus der Überschau und Perspektive eines höheren Bewusstseins heraus planen wir dann ein neues Erdenleben.

Gedankenarbeit als Vorbereitung auf das Sterben

Wir kommen also nicht daran vorbei, durch echte Gedankenarbeit am Verständnis unserer Prä- und Postexistenz zu arbeiten und uns größere Perspektiven, die nur das lebendige Denken eröffnen kann, zu erringen (vgl. Nachtodliches und vorgeburtliches Leben: Zwischen Tod und neuer Geburt), wenn wir zu echter Lebensfreude und Sinngebung im Alltag, aber auch zu einer nachhaltigen Möglichkeit der Prävention und Gesundheitsvorsorge finden wollen. Denn jeder gute Gedanke bereitet uns darauf vor, uns in der Todesstunde von unserem Körper zu lösen und uns in die Lichtwelt hineinzubegeben. Alles Destruktive dagegen, das wir während des Lebens vollbringen, auch wenn es für noch so kurze Zeit geschieht, wird zu etwas, das uns als dunkle Mitgift begleitet, damit wir wieder daran arbeiten.

Indem wir versuchen, unser höheres Wesen im Handeln im Umkreis des Todes ernster zu nehmen, meißeln wir es gleichsam heraus aus unserer niederen egozentrischen Gestimmtheit. Wir können das Sterben auf diese Weise schon im Leben üben. Dann passiert es ganz von selbst, dass ganz andere Gedanken und Gefühle in uns aufkommen, wenn wir Sterbende begleiten oder zu einem Toten gerufen werden.

Berührend ist aber auch, wenn man in diesem Zusammenhang Schilderungen von Nahtoderlebnissen zur Kenntnis nimmt. Denn hier wird übereinstimmend dargestellt, wie der sich in Todesnähe befindende Mensch – sei es durch Schock, Trauma oder Operation – mit einem Male wie von oben sieht und außerkörperlich bewegen kann. Als hätte sich der größte Teil des vergänglichen Körperlebens in das helle, dauerhafte Gedanken-, Gefühls- und Willensleben umgewandelt.2 Der Betreffende erlebt sich außerkörperlich und unabhängig von räumlichen Begrenzungen.

Sterben als Neugeburt des Geistes begreifen

Was vom Aspekt des Körpers als Sterbevorgang anmutet, wird geistig als Neugeburt für ein Leben im Geist erlebt. Pim von Lommel, der als Kardiologe viel Erfahrung mit der außerkörperlichen Erfahrung seiner Patienten hat, prägte dafür den Begriff des „endlosen Bewusstseins“.3

Wer sich mit dem sogenannten außerkörperlichen seelischen Erleben, dem ewigen Bewusstsein oder ewigen Leben nach dem Tode bereits während seiner Lebenszeit auf der Erde auseinandersetzt, kann gelassen diesem Schritt über die Grenze des sinnlich Gegebenen entgegensehen. Geschieht dies nicht, so läuft man Gefahr, Angst vor dem Tod zu haben oder aber sich mit der Vorstellung zu beruhigen, „dass dann sowieso alles aus sei“. Chronische Krankheiten provozieren diese innere Auseinandersetzung. Wer sie jedoch vermeidet, greift auch eher zu alkoholischen Getränken oder gewöhnt sich an die dauerhaft möglichen Ablenkungen aus der Unterhaltungsindustrie. Was dann aber unterbleibt, ist, das eigene geistige Entwicklungspotenzial zu seinem Lebensbegleiter zu machen. Wenn wir uns jedoch auf dieses Potenzial besinnen, das jeder Mensch besitzt, auch wenn er sich bisher nicht dafür interessierte, dann lernen wir, uns geistig zu immunisieren. Dann wird das Zugehen auf den Tod zu einem geistigen Reifungsprozess, der mit der sogenannten Geistgeburt im Sterben seinen – vorläufigen – Abschluss findet.

Vgl. Vorträge „Die spirituelle Dimension der Todesnähe“, 14.09.2007, und „Gesundheit und Lebensfreude im Alltag“, Basel, 25.11.2007

  1. Michaela Glöckler, Rolf Heine, Handeln im Umkreis des Todes. Dornach 2003.
  2. Siehe z. B. Alexander Eben, Blick in die Ewigkeit: Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen. Ansata Verlag, München 2013.
  3. Pim van Lommel, Endloses Bewusstsein - Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung. Patmos Verlag, Ostfildern 2014.