Entstehung und Heilung von Traumata

Wie entstehen Traumata und wie können sie geheilt werden?

Bewusstes und unbewusstes ätherisches Wirken

Wir verdanken Rudolf Steiner die wunderbare Einsicht, dass der ätherische Lebensorganismus mehrere Anteile hat, die bewusste und unbewusste Prozesse steuern, die man auf den ersten Blick nicht als zusammengehörig erkennen würde. Diese Doppelnatur des Ätherischen möchte ich im Folgenden näher erläutern und in einem zweiten Schritt darstellen, was die beiden Anteile bei Tag und Nacht bewirken. Auf der Grundlage der Zusammenhänge, die uns die anthroposophische Menschenkunde aufzeigt, lässt sich der Grund für die nachhaltige Einprägung von Traumata gut verstehen und auch das Funktionieren des Organ-Gedächtnisses für traumatische Ereignisse begreifen. Auch können wir vor diesem Hintergrund die Wirkung der vielfältigen therapeutischen Ansätze in der Trauma-Arbeit nachvollziehen.

  • Unbewusstes ätherisches Wirken

Die unbewusste Komponente des Ätherischen liegt unserer Fähigkeit zur Organresonanz, der Sensitivität der Organe füreinander, aber auch dem Nachtlernen zugrunde. Man hat mittlerweile gut erforscht, dass in der Nacht jene Einprägungen erfolgen, die unser Langzeitgedächtnis ausmachen. Damit wird in der heutigen Lernpsychologie immer bewusster umgegangen und auch Rudolf Steiner berücksichtigte diese Tatsache in der Waldorfpädagogik.

Was man bei Tage tut und erfährt, das betrifft auch traumatische Erfahrungen, prägt sich dem Organismus erst nachts so richtig ein, viel tiefer als im Wachzustand. Dieses „Einprägen“ geschieht mithilfe des unbewussten Anteiles des Ätherleibs.

Deswegen ist die goldene Regel der Notfall-Pädagogik, nach einer Katastrophe so schnell wie möglich vor Ort aktiv zu werden. Je schneller man gegenreguliert, je nachhaltiger und besser der Erfolg. Auch wenn sich jemand vor den Zug wirft, wird mit dem Lokführer sofort psychotherapeutisch zu arbeiten begonnen. Da gibt es inzwischen ein Team, das sofort mobilisiert wird und ihn noch vor der ersten Nacht hochprofessionell betreut. Man arbeitet zwar mit diesem Prinzip, aber man kennt den Ätherleib nicht. Wer ihn jedoch kennt, kann dieses Wissen gezielt einsetzen in Therapie und Pädagogik.

  • Bewusstes ätherisches Wirken

Den bewusst arbeitenden Ätherleib kann man beobachten, wenn man das eigene Denken beobachtet und bei sich und anderen feststellt, welche die Macht Gedanken haben. Es war Rudolf Steiners tiefgreifendste menschenkundliche Entdeckung, dass der Mensch sein Denkvermögen den ätherischen Kräften verdankt. Es ist allgemein bekannt, dass Gedanken Kraft haben. Wir sprechen von „rettenden Gedanken“, oder von Gedanken, die uns durchs Leben getragen haben (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Das Geheimnis der körpereigenen Abwehr). Auch destruktive, fixe Gedanken können die Betroffenen vollkommen paralysieren und in Panik versetzen.

Rudolf Steiner stellte nun die Hypothese auf, dass Gedanken so mächtig sind, weil sie verwandelte Lebenskräfte sind – leibfrei gewordene Lebenskräfte, die der Körper nicht mehr braucht, weil sie dort ihr unbewusstes Werk an Wachstum und Regeneration schon vollbracht haben. Dieses geheimnisvolle Geschehen ist ein kontinuierlicher lebenslanger Prozess (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Zur Identität von Wachstums-, Regenerations- und Gedankenkraft).

Polare Tätigkeiten des Ätherleibes

Um uns zu veranschaulichen, wie die unbewussten, leibgebundenen Kräften und die bewussten, leibfrei gewordenen Kräfte des Ätherleibes als Doppelheit zusammenhängen und -wirken, verwendete Rudolf Steiner eine stehende offene Lemniskate. Sie hat eine nach oben hin offene Hälfte und eine untere in sich geschlossene Hälfte.

Im Folgenden möchte ich genauer schildern, wie es unter dem Blickwinkel der polaren Doppelnatur des Ätherischen zu Traumatisierungen kommt, wie aus einer Außenwahrnehmung, aus einem bewussten Erlebnis, eine unbewusste Innenwahrnehmung und in sich abgekapselte Erinnerung wird. Mit unserem bewussten Sein, das wir leibfrei gewordenen Kräften verdanken, wenden wir uns der Welt zu. Von dort „draußen“ wirken über die Sinne traumatisierende Einflüsse und Eindrücke auf uns ein und verursachen körperlich-seelische Verletzungen, die zu nächtlichen Einprägungen im Schlaf führen. Zum besseren Verständnis möchte ich diese Zusammenhänge kurz näher ausführen (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Wirken des Ätherleibes bei Tag und bei Nacht).

  • Ätherwirken bei Tag

Bei Tag ist der Teil der Wachstumskräfte, die der Körper nicht braucht, wie aus dem Körper herausgehoben, ist leibfrei tätig und bildet die geistige Gedanken-Aura, die sich am Gehirn reflektiert. Menschenkundlich korrekt gesehen, ist das Gehirn ein Gedanken-Reflexionsorgan. Wenn das Gehirn organisch krank ist, kann es nicht mehr gut reflektieren und dann entstehen die demenziellen Krankheitsbilder. Bei Tage prägen sich die Sinneseindrücke nur den leibfreien Ätheranteilen ein und allenfalls noch den ebenfalls leibfreien Gefühlen.

  • Ätherwirken bei Nacht

In der Nacht vereinigen sich die gesamten Ätherkräfte wieder und werden zur Regeneration hereingeholt in den Körper. Deswegen hören wir beim Einschlafen auf, bewusst zu denken. Unser Bewusstsein erlischt, auch die Sinneswahrnehmung hört auf. Sinneseindrücke zu sammeln, ist nur mit Hilfe unserer ätherischen Kräfte möglich, jede Sinnestätigkeit ist im Grunde ein ätherisches Tasten in die Welt hinaus. In der Nacht wenden sich alle Ätherkräfte nach innen und kümmern sich um den Wiederaufbau dessen, was bei Tag abgebaut wurde. Die moderne Schlafforschung hat herausgefunden, dass wir nur schlafen müssen, weil wir unser Nerven-Sinnessystem das braucht.

Man hat im Rahmen eines Experimentes Hunde ganz fürchterlich gequält, zuerst mit Nahrungsentzug, dann mit Licht, dann mit Geräuschen, zum Schluss mit Schmerzreizen, und hat sie so lange wachgehalten, wie es nur irgend ging, bis sie tot umgefallen sind. Man hat sie dann seziert und untersucht, um herauszufinden, welche Organe besonders unter der Schlaflosigkeit gelitten haben: Nur die Sinnesorgane und Nervensystem waren zerstört, die anderen Organe waren in Ordnung.

Erkenntnis durch Abbau

Man hat mit diesen traurigen Mitteln bewiesen, was Rudolf Steiner immer wieder betonte: dass unser Nervensystem mitsamt den Sinnesorganen tagsüber ätherisch abbaut, was die Grundbedingung dafür ist, dass wir rein geistige Erlebnisse haben können. Die organische Lebenstätigkeit wird bei diesem Spiegelungsvorgang ständig zurückgedrängt, weswegen wir ermüden. Irgendwann können die Sinnesorgane nichts mehr aufnehmen, uns fallen die Augen zu und wir schlafen ein. Wenn dann die gesamten Ätherkräfte in den Körper zurückgehen, bringen sie natürlich alle Eindrücke dessen mit, was wir bei Tage gedacht, erlebt und beobachtet haben. Je nachdem, um welche Erlebens-Dynamik es sich gehandelt hat, haben diese Eindrücke zu einem bestimmten Organ mit einer entsprechenden Funktionsdynamik einen besonderen Bezug und gehen in der nächtlichen Regenerationsphase dorthin, lagern sich dort ab.

Regeneration durch wahrheitsgemäße Gedanken

Unsere ätherische Organisation hat als Kräftepool

  • zum einen das Kontinuum der mitgebrachten Lebenskräfte aus der embryonalen Entwicklung zur Verfügung

  • und zum anderen all die Modifikationen, die dadurch entstehen, dass der ätherische Bewusstseinsträger des Denkens jeden Tag Anderes und Neues erlebt. Das Erlebte bringt den Ätherleib in eine bestimmte Regsamkeit, denn unser Gedankenleben ist eben auch eine Art von Leben.

In der Nacht vereinigen sich Gedankenleben und Körperleben, während Seele und Geist sich ganz vom Körper trennen: In dem Moment, in dem der Ätherleib in den Körper einzieht, lässt er die Beziehung zu Astralleib und Ich, anthroposophisch gesprochen, los, sodass diese sich in den Makrokosmos ausdehnen und sich in der astralen Welt an den dort wirkenden Impulsen erfrischen und erneuern können.

Unseren Ätherleib müssen wir eigenaktiv durch gute Gedanken, durch meditative Arbeit, durch Gebet, durch Authentizität und Ehrlichkeit, die wir bei Tage aufbringen, regenerieren helfen. Eine solche Praxis erfrischt ihn und uns, indem sie über Nacht Gesundheitskräfte in den Körper einziehen lässt (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Begabungen des Ätherleibes).

Somit wird verständlich, warum Verlogenheit, korruptes Verhalten und Materialismus uns Lebenskräfte rauben und Krankheitsdispositionen verstärken. Rudolf Steiner geht in seinem Diskursus für Ärzte und Priester,1 die er im September 1924 für die beiden gemeinsam gehalten hat, sogar soweit, dass er sinngemäß sagt: Wenn die Menschen wüssten, dass sie sich nachts nicht nur gesund, sondern auch krank schlafen können, würden sie nicht so viel schlafen. Eine ernste Tatsache humorvoll ausgedrückt.

Vgl. Vortrag zum Chirophonetik-Treffen in Erlangen, März 2019

  1. Rudolf Steiner, Das Zusammenwirken von Ärzten und Priestern, Pastoral-Medizinischer Kurs, GA 318, Dornach 1994.