Stärkung des Gesunden im Umgang mit Trauma

Wie komme ich an Geschehen aus der frühen Kindheit, also tief vergrabene Traumata, heran?

Unser Gedächtnis ist im Körper verankert. Alle Tageserlebnisse prägen sich in der Nacht tief in den physischen Organismus ein. Das gilt für alle Ereignisse, nicht nur für Traumatische. Das Problem in der Traumabehandlung ist nun, dass traumatische Erlebnisse entweder schon vor dem 3ten Lebensjahr stattgefunden haben und damit nicht erinnerbar sind, und/oder dass sie so sehr abgespalten wurden, dass man an das eigentliche Trauma nicht herankommt, auch wenn Patient und Therapeut erkennen, dass sie es bei „Störungen“ mit den Folgeerscheinungen eines Traumas zu tun haben. Auch bereits ältere Menschen haben ihr Trauma oft so tief vergraben, dass es nicht mehr hochzuholen und zu bearbeiten ist.

Vertrauen in das Gesunde im Menschen

Es gibt jedoch immer die Möglichkeit Trauma-Folgen zu bearbeiten, indem wir beim Gesunden im Menschen ansetzen und darauf aufbauend neue gesundende Erfahrungen hinzufügen. Gerald Hüther sagt, dass es in jedem Menschenleben in der Embryonalentwicklung eine Phase gab, in der alles „in Ordnung“ war, in der der Embryo sich als rundum versorgt erlebte. Das bedeutet, vor jeder noch so früh stattfindenden Traumatisierung, erhält jeder Mensch im Zuge der Schwangerschaft eine urgesunde Einprägung, die ihn unmittelbar und existenziell die Würde seines Seins erleben lässt. Daran können wir ein Leben lang anknüpfen als an eine Urerfahrung des Guten, selbst wenn diese im weiteren Schicksalsverlauf wie verschüttet wurde. Ist die Erinnerung an das Trauma – wie in den meisten Fällen – nicht mobilisierbar, kann man mit diesem gesunden Ursprung arbeiten, sofern beide, Therapeut und Patient, in das jedem zugängliche Gesunde vertrauen.

Dieses Vertrauen zu erwerben und zu vertiefen, ist eine Aufgabe, der sich beide stellen müssen. Damit der Patient Vertrauen in sich und den Heilungsprozess entwickeln kann, muss auch der Therapeut sein Vertrauen in sich und den Patienten vertiefen. Das ist wesentlicher Bestandteil der therapeutischen Beziehung. Der Therapeut entwickelt sich für den Patienten weiter, verdankt ihm quasi seine Weiterentwicklung und kommt dadurch mit ihm auf die gleiche Augenhöhe. Gelingt es dem Therapeuten, Lebenszuversicht auszustrahlen und zu verkörpern – nicht nur davon zu reden – durch die Entwicklungsarbeit, die er an sich selbst verrichtet, dann fühlt sich der traumatisierte Mensch bis in unbewusste Bereiche hinein liebevoll berührt. So kommt er seinem eigenen Höheren Wesen wieder leichter näher, das durch das traumatische Erlebnis wie heraus geschockt wurde und dadurch nicht mehr zugänglich war. Heilung ist immer eine Form von Ganzwerdung, ein Prozess der Identifikation des Menschen mit allen seinen Anteilen

  • mit seinem Höheren Wesen einerseits,

  • aber auch mit den abgespaltenen verwundeten Teilen.

Deshalb ist die richtige Haltung im Umgang mit traumatisierten Menschen so entscheidend.

Zukunftshoffnung vermitteln

Jedes Trauma ist ein der Vergangenheit entspringendes Ereignis und kann als solches am besten durch den Blick in die Zukunft geheilt werden. Ein ressourcenorientierter Kunstgriff besteht darin, die traumatische Störung umzudeuten als Aufgabe, als zukünftige Stärke, die es durch Überwindung der „Störung“ zu entwickeln gilt. Der Bereich, in dem der Patient aktuell Schwierigkeiten hat, ist auch der Bereich, in dem er besondere Fähigkeiten entwickeln kann und wird, weil er sich schicksalsmäßig vorgenommen hat, genau dort etwas zu lernen und zu üben. Man kann sagen, ein Mensch ist

  • unruhig, damit er aus sich heraus Ruhe entwickeln lernt,

  • aggressiv, damit er Frieden zu stiften lernt,

  • ängstlich, damit er mutig den Gegebenheiten das Lebens begegnet.

Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Eine wie auch immer geartete Störung als Schattenwurf einer künftigen Befähigung aufzufassen, weist den Weg in eine heilsame Lösung, zu der immer auch das Verstehen und Verzeihen des traumatischen Geschehens gehören.

Vgl. Vortrag zum Chirophonetik-Treffen in Erlangen, März 2019