Therapeutische Grundprinzipien zum Umgang mit Traumata

Respekt vor der Individualität des Patienten

Patienten und Klienten sind aufgrund ihrer krankheitsbedingten Bedürftigkeit immer in der schwächeren Position – ein Umstand, dem man als Therapeut durch die innere Haltung entgegenwirken kann. Drei Gesten helfen uns, mit Patienten auf Augenhöhe umzugehen:

  • Danken für das Vertrauen

Die erste Geste besteht darin, dafür zu danken, dass dieser Mensch mir das Vertrauen entgegenbringt, ich könnte ihm helfen. Dankbar zu sein für diesen großen Vertrauensbeweis.

  • Interesse zeigen

Die zweite Geste zeigt sich durch bedingungsloses Interesse für den anderen und Offenheit für Inspiration in Bezug auf das, was er an Hilfestellung braucht. Entsprechend bereite ich mich vor.

  • Sachlich-nüchterner Umgang

Die dritte Geste drückt sich durch einen möglichst ehrlichen, sachlichen, heilig-nüchternen Umgang mit dem Patienten oder Klienten aus. Solch ein sachorientierter freilassender Umgang ist eine Wohltat für jeden, der Hilfe braucht.

Diese Art der Vorbereitung eines Therapeuten ist eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende therapeutische Intervention. In der Chirophonetik1 arbeitet man nicht als Psychotherapeut, sondern als Körpertherapeut. Und trotzdem finden auch Gespräche statt. Bei tiefsitzenden Traumata ist möglicherweise die Zusammenarbeit mit anderen therapeutischen Disziplinen zu suchen, um gemeinsam auszuloten, auf welcher Ebene und durch welche therapeutischen Interventionen der Patient Zugang zu den eigenen Ressourcen bekommt.

Zugang zu eigenen Ressourcen finden helfen

Mit Trauma meinen wir ein Schockerlebnis, das sich so tief in den Körper eingeprägt hat, dass es zu einer Art pathologischer Organbildung in Form einer Abkapselung im Organismus kommt. Immer, wenn wieder eine ähnliche Situation auftritt, wird der Betroffene getriggert, bekommt Schweißausbrüche, Panik, Herzrasen, auch die erlebte Angst steigt wieder auf. Dadurch wird das Trauma nicht nur nochmals erlebt, sondern jeder neue Angstzustand führt auch zu einer Retraumatisierung. Indem die traumatische Urerfahrung wieder und wieder wachgerufen geschieht eine Vertiefung des ursprünglichen Traumas.

Grundsätzlich muss man sagen: Ganz ausradieren lässt sich ein solches Trauma nicht, denn, was der Körper sich einmal als Erfahrung tief eingeprägt hat, kann man nicht ungeschehen machen. Es ist ja tatsächlich geschehen.

Die Betroffenen können sich aber zu dem Erlebten in ein immer souveränes Verhältnis setzen – zum einen durch Verständnisarbeit, aber auch durch neue Erfahrungen. Das ist ja das Großartige an der Körperarbeit, dass dem Körper durch reine Laut- und Bewegungsformen, die er wahrnimmt und aufnimmt – sei es durch Berührung seitens eines Therapeuten wie in der Chirophonetik oder durch (rhythmische) Massage, sei es als eigenes Tun wie in der Heileurythmie2 und Sprachgestaltung3 – kompensatorisch gesunde Erfahrungen geschenkt werden. Diese pflanzen dem Körper gleichsam neue Erinnerungen an heilende Impulse, Berührungen, Bewegungen und Empfindungen ein.

Deswegen wird in der Traumabehandlung auch immer mit Rhythmischer Massage4, mit Bädern, mit Eurythmie, mit Rezitation, mit Sprachgestaltung guter Inhalte, mit Kunsttherapie, Musiktherapie, aber eben auch mit Chirophonetik gearbeitet, um dem Körper kontinuierlich neue gesunde, gute Einprägungen zu geben und so die oft verschütteten Gesundheitskompetenzen freizulegen und zu verstärken. Auf diesem Wege kann der traumatisierte Mensch lernen, mit seinen Verletzungen souveräner umzugehen. Auch lernt er im Zuge dessen die eigenen Zustände besser einzuschätzen. Er lernt zu spüren, dass er Angst hat – ohne dass die Angst ihn hat. Das ist ein Riesenunterschied.

Vgl. Vortrag zum Chirophonetik-Treffen in Erlangen, März 2019

  1. Chirophonetik ist eine anthroposophische Therapie und Sprachtherapie, bei der mit Sprache und Berührung behandelt wird. Sie wurde von dem Heilpädagogen und Sprachtherapeuten Dr. phil. Alfred Baur (1925 – 2008) in Zusammenarbeit mit seiner Frau Dr. med. Ilse Baur auf der Grundlage der anthroposophischen Menschenkunde und Medizin Rudolf Steiners entwickelt. (Gesehen am 17.03.2023: https://www.chirophonetik.de/chirophonetik-158.html)
  2. Die Heileurythmie ist eine Bewegungstherapie, die bereits seit 100 Jahren erfolgreich angewandt wird. Neben ihrer vielfältigen Indikation bei akuten, chronischen und degenerativen Erkrankungen wird Heileurythmie zur Prävention unter den Gesichtspunkten der Salutogenese sowie zur Prophylaxe und Nachsorge eingesetzt. (Gesehen am 17.03.2023: http://www.berufsverband-heileurythmie.de/CMS/?WAS_IST_HEILEURYTHMIE%3F)
  3. Sprachgestaltung ist ein künstlerisches Ausdrucksmittel zur Förderung der Sprache in Bereichen der Kunst, der Pädagogik und der Therapie. Sie wurde von Rudolf Steiner und seiner Frau Marie Steiner-von Sivers in den 1920er Jahren entwickelt. (Gesehen am 17.03.2023: https://de.wikipedia.org/wiki/Sprachgestaltung)
  4. Die Rhythmische Massage nach Dr. med. Ita Wegeman und M. Hauschka ist eine Erweiterung der Klassischen Massage nach den Erkenntnissen der Anthroposophischen Medizin und eine zeitgemäße Form mit ganzheitlichem Ansatz. (Gesehen am 17.03.2023: http://www.rhythmische-massage.de/index.html)