Ursache und Heilung von Traumata

Weshalb sind heute so viele Menschen traumatisiert?

Worin ist die Ursache zu finden?

Was kann ihnen zur Heilung verhelfen?

Resilienz schaffende Pädagogik

Rudolf Steiner sprach bereits zu seinen Lebzeiten davon, wie nährend und Resilienz schaffend es wäre, wenn die das Kind umgebenden Menschen – ALLE, nicht nur die Eltern – ihm nach der Geburt mit der gleichen selbstlosen Hingabe begegnen und ihm jeweils (nur das) zukommen lassen würden, was es in den jeweiligen Lebensabschnitten im Zuge seiner Entwicklung braucht. Auf diesem Prinzip eines altersgemäßen Lehrplans bauen auch die Waldorfpädagogik und der Waldorflehrplan auf. Im 1. Vortrag der Allgemeinen Menschenkunde1 sagte Rudolf Steiner sinngemäß: Wir brauchen eine Erziehung, die nicht auf den Egoismus baut, bei der es um Altruismus in der Pädagogik, um selbstlose Hingabe der Pädagogen an den heranwachsenden Menschen geht, indem sie dem Kind nahebringen und zur Verfügung stellen, was es gerade nötig hat an Nahrung, Pflege, Raumgestaltung und Spielangeboten. Rudolf Steiner engagierte sich für eine am Kind orientierte Pädagogik, die jedem Kind mit der inneren Frage begegnet, was es an Talenten und Aufgabenstellungen mitbringt, und was der Pädagoge beitragen kann, damit es sich seinem Schicksal gemäß optimal weiterentwickeln kann.

Traumatisierende Gesellschaft

Eine solche Pädagogik passt sich dem Kind an und ist das Gegenteil von den übergriffigen Methoden und Ideen von Staat und Wirtschaft, die mit ihren Erziehungsplänen vorgeben, was die Kinder wissen müssen, welche Tests sie im Laufe von Schule, Ausbildung bzw. Studium zu bestehen haben, um der Norm zu entsprechen. Die Kinder und jungen Menschen werden von klein auf gnadenlos in eine von wirtschaftlichen Interessen gesteuerte Bildungswelt hineingezwungen, um als angepasster, gut lenkbarer Staatsbürger und Konsument ein Leben in gesellschaftlicher Konformität zu führen.

So gesehen bewirkt bereits das normale Schulsystem an sich eine seelische Traumatisierung bei allen, die es durchlaufen haben und weiterhin müssen. Das Schultrauma ist ein zentrales Trauma, das alle Menschen betrifft. Gerald Hüther drückt das expressis verbis in seinem Buch auch so aus,2 er geht in einer Weise mit dem heutigen Bildungswesen ins Gericht, wie man sich das schon vor 40 Jahren gewünscht hätte.

Diese gesellschaftsbedingte Grundtraumatisierung wirkt sich bei vielen so aus, dass sie am Ideal der Menschlichkeit, der Ehrlichkeit, der echten Liebe und Freiheit zweifeln bis verzweifeln, weil sie denken, diese Qualitäten gäbe es sowieso nicht mehr, weil alle Welt korrupt, lieblos und respektlos miteinander umgeht, weil Mobbing in der Schule und Kämpfe am Arbeitsplatz zugenommen haben, aber auch Sexismus, Sadismus und all das Schreckliche, von dem die Medien ständig berichten.

Auch Morde, die Kinder sich im Fernsehen ansehen müssen, wirken traumatisierend. Wie viele Pornos sehen sie schon in jungen Jahren! Es ist entsetzlich, wie viele seelische Traumatisierungen über die Sinne von klein auf stattfinden (vgl. Angst: Ängstigung durch Medien)! Wenn man bedenkt, was sich da alles an Negativ-Eindrücken auch über die digitalen Medien und aggressiven Computerspiele ablagert, bräuchten im Grunde heute alle Kinder eine heilende Erziehung: altersentsprechende Tätigkeiten und bewusste Beziehungspflege, um das, was sie tagsüber aufnehmen müssen, etwas kompensieren können.

Trauma durch Überwältigung und Abspaltung

Viele fragen sich:

Was veranlasst Menschen sich gegenseitig seelisch zu traumatisieren, indem sie so tun, als ob sie besser oder schöner etc. als andere wären?

Diese unmenschlichen Verhaltensweisen kommen laut Hüther von dem Bindungsverlust, der von Geburt an stattgefunden hat, sie sind unmittelbare Folge der traumatisierenden Erziehungs- und Begegnungsumstände, die den Menschen seit Generationen widerfahren.

Ein Trauma ist immer ein Erlebnis des Überwältigt-Werdens von einem fremden Willen, wobei der eigene Willen außer Kraft gesetzt wird. Ein Trauma-Patient ist in größeren oder kleineren Regionen seines Wesens betäubt, entfremdet, abgespalten von der Ganzheit seiner Identität, von seinem eigenen Wollen. Er hat erlebt: „Ich wurde nicht gewollt, man wollte mich auslöschen!“ Ein Trauma ist die Begegnung mit dem Nicht-gewollt-Werden, mit dem Gegenbild des guten Willens, mit dem zerstörenden Willen.

Heilender Umgang mit Traumata

Wann immer Trauma diagnostiziert oder therapeutisch bearbeitet wird mit Kunst- und Gesprächstherapie, über medikamentöse Interventionen oder weitere traumatherapeutische Angebote, sind wir konfrontiert mit der existentiellen Betroffenheit des Patienten, des Jugendlichen, des Kindes. In kaum einem anderen Bereich ist der Wille so stark betroffen wie in diesem: Auf der einen Seite die totale Ohnmacht beim Patienten angesichts des traumatischen Erlebnisses, auf der anderen Seite der Wille zu helfen beim Therapeuten und Pädagogen, der die Aufgabe hat, den Willen zur Gesundung bei den Betroffenen zu mobilisieren, indem er ihn mit seinem Helferwillen in eine optimale Synergie bringt.

Im therapeutisch-pädagogischen Prozess sind die folgenden drei Willensinstanzen unsere Partner:

  • Wir können mit dem Engel arbeiten, können versuchen die Engelperspektive einzunehmen, um mit dem Patienten zu erarbeiten, warum der Engel hier nicht helfen durfte. Die daraus erwachsende Einsicht kann sehr Trost spendend sein.

  • Wir können ein tieferes Verständnis für die biographische Signatur des Patienten entwickeln, der jetzt in einer Art Körpergefängnis Neurosen, Zwänge und/oder Psychosen erleidet oder die Folgen eines Traumas durchlebt.

  • Wir können den zum Selbstbewusstsein erwachenden Menschen empathisch begleiten auf seinem Heilungsweg und ihm dabei mithilfe unseres therapeutischen Instrumentariums zur Seite stehen (vgl. Selbsterkenntnis und Selbsterziehung: Selbstschulung gegen Angst).

Vgl. Vortrag zum Chirophonetik-Treffen in Erlangen, März 2019

  1. Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik, 1. Kapitel, GA 293.
  2. Gerald Hüther, Würde: Was uns stark macht - als Einzelne und als Gesellschaft.