Verarbeitung von Gewalt und Krieg

Wie kann man Erfahrungen von Gewalt und Krieg therapeutisch begegnen?

Mit einem Trauma konstruktiv umgehen

Viele Kinder leiden heute an dem so genannten Post Traumatic Stress Syndrom, das durch frühe Gewalteinflüsse, durch Missbrauchssituationen und Übergriffe hervorgerufen wird. Tief in ihrem Körper sitzt die Erinnerung an das Erlebnis, von einer fremden Macht überwältigt worden zu sein. Die Angst vor Überwältigung kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Sie ist Bestandteil der individuellen Konstitution der Betroffenen und damit Teil ihres Schicksals geworden. Das müssen wir als Pädagogen und Therapeuten wissen. Wir müssen zudem davon ausgehen, dass in einer Schulklasse viele Kinder bereits Gewaltübergriffe erlebt haben – das war nach dem ersten Weltkrieg, als Steiner die Waldorfschulen gründete, auch schon der Fall. Das ist kein Privileg der heutigen Zeit.

In meinem Buch „Gesundheit durch Erziehung“1 gehe ich näher darauf ein, wie man durch Erziehung, zum Beispiel durch richtig verstandene Waldorfpädagogik, solchen frühkindlichen Schädigungen gesunde Erfahrungen hinzufügen kann. Denn gegen Gewalterfahrungen gibt es nur ein Heilmittel – dass die Betroffenen die Möglichkeit bekommen, andere Erfahrungen zu machen, die an den gesunden Urgrund im Menschen appellieren. Oft entsteht daraus der Impuls, dazu beizutragen, dass die guten Erfahrungen in der Welt sich vermehren. Viele, die ihr Stress- und Trauma-Syndrom positiv bearbeiten konnten, wählten später helfende Berufe, weil sie genau wissen, worauf es ankommt, wenn sie anderen dabei helfen, mit ihrem Trauma zurecht zu kommen. Das kann für jeden anders aussehen, diesbezüglich sind wir sehr verschieden. Auch unterscheiden wir Menschen uns sehr in Bezug auf das, was wir ertragen und was wir nicht ertragen können, was wir abfangen und verarbeiten können und was nicht – dessen müssen wir uns als Therapeuten bewusst sein.

Trauma und Schicksal

Alle Interventionen beim Verarbeiten von Gewalt und der Angst vor Gewalt zielen darauf ab, den Patienten zu helfen, den bestmöglichen Zugang zu ihren eigenen Ressourcen zu finden. Auch haben viele Traumatisierte mit der Sinnlosigkeit des Erlebten zu kämpfen. Wenn es ihnen gelingt, neues Vertrauen in das eigene Schicksal zu fassen, ist das eine Ressource, die nie mehr versiegt. Auf dem Weg dahin gibt es nichts Besseres, als eine heilende Beziehung zu erleben, in der man einem anderen zu vertrauen lernt. Gewalttraumata heilen nur aus, wenn vertrauenswürdige Beziehungen aufgebaut werden können.

Ein Trauma ist immer auch eine ganz persönliche schicksalsbedingte Angelegenheit. Dazu möchte ich zwei Beispiele nennen:

  • Folteropfer als Embryo

Es ging kürzlich durch die Presse, dass ein Mann von einem Gericht eine Entschädigungssumme in Millionenhöhe zugesprochen bekam, weil er im Mutterleib Folteropfer war. Seine Mutter war schwer gefoltert worden, er hat es überlebt als Fötus, hatte in der Folge aber bis zu seinem 10. Lebensjahr so starke Ängste, dass er ständig in Behandlung war. Und auch seine weitere Biografie stand ganz im Zeichen dieses Traumas. Das wurde zuletzt anerkannt, weil die Wissenschaft inzwischen so weit ist, dass sie das anerkennen konnte. Das unbewusste Miterleben der Qualen seiner Mutter wurde zu seinem Schicksal. Seiner Mutter ging es im weiteren Leben vergleichbar gut – sie hatte diese massiven Probleme nicht.

  • Resilienz trotz Trauma der Mutter

Ein anderes Bespiel aus meiner Familie mit einer ähnlichen Konstellation. Die Russen kamen gegen Ende des 2. Weltkriegs nach Berlin, wo der größte Teil meiner Familie bis heute lebt. Die Frauen wurden alle vergewaltigt. Eine davon, eine schwangere Frau, wurde sechsmal hintereinander vergewaltigt. Vor ihren Augen, im Beisein ihrer Kinder wurde ihr Mann erschossen – sie erlitt also ein äußerst schweres Trauma und hat deshalb sogar überlegt, das Kind abzutreiben, aus Angst, es würde schwere Schäden davontragen. Sie hat es aber behalten – und es war das harmonischste ihrer Kinder. Es hatte dieses Trauma nicht angenommen. Das gibt es eben auch.

Daran wird das Schicksalhafte deutlich: Der eine geht durch Schrecknisse und Gefahren hindurch und lässt sich nicht berühren davon, sondern wird dadurch stark, bewusst und kompetent und einem anderen widerfährt vergleichsweise wenig und er ist sein Leben lang schwer beeinträchtigt.

Persönliche Botschaft hinter einem Trauma

Hinter jedem Trauma verbirgt sich eine persönliche Botschaft. Je stärker sich ein Ereignis auswirkt, umso größer ist die Aufforderung, daran zu wachsen, umso deutlicher der Hinweis auf ein Defizit. Die Schicksalsführung bringt dem Menschen das Thema in dieser Form nahe. Deswegen ist bewusste innere Schulung das beste Mittel gegen Angst vor Krieg und Gewalt. Dabei lernt man, dass Krieg und Frieden in Wahrheit in der Seele jedes einzelnen Menschen beginnen. Man könnte auch rückschließen: Kriege sind die Projektionen von allem, was im Menschen nicht bereinigt und in friedliche Übereinstimmung gebracht wurde.

Wer die persönliche Schicksalssprache versteht und die Aufgabe aufgreift, dessen Leben wird dadurch an Sinnhaftigkeit, Ernst und Bedeutung zunehmen. Viele Menschen können durch die Arbeit an sich selbst erkennen, dass sie dieses schwere Erlebnis gebraucht haben für ihre eigene Entwicklung.

Vgl. Vortrag „Angst in Krankheit und Gesundheit“, 14. Februar 2007

  1. Vergriffen, aber noch gebraucht erhältlich.