Motivation und Willenserziehung
Wie kann das Kind Willensstärke, Mut und Identitätserleben entwickeln?
Was können Erwachsene dazu beitragen, dass es den Herausforderungen seines ganz eigenen Lebens gewachsen ist?
Am Widerstand lernen
Beim Menschen geht nichts „von selbst"! Alles muss gelernt oder weiterentwickelt werden, selbst so „natürliche" Dinge wie Essen, Schlafen, Wachen und der Umgang mit der Sexualität (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Zwischen Tier und Mensch unterscheiden). Die genetische Ausstattung, das „Instinktprogramm", bedarf der Ergänzung durch Lernprozesse und liebevolles „Dabeisein", wenn das Kind immer wieder neu erlebt, wie viel es noch „nicht kann" und was es alles noch zu lernen gibt und was manchmal auch so mühsam und frustrierend erscheint. Die Motivation ist dabei Gefühlssache, das Üben und das Können sind Willenssache.
Menschen entwickeln und benehmen sich aufgrund ihrer Veranlagung nicht „automatisch" intelligent und menschenwürdig. Der Willen bildet und entwickelt sich durch die Herausforderung von außen: Am Widerstand, am Erfahren von Grenzen, werden die eigenen Kräfte erprobt und neue Fähigkeiten erworben.
Goldene Regeln der Entwicklung
Dabei gibt es drei goldene Regeln:
- 1. „Bewusste Wiederholung stärkt den Willen“
So knapp hat Rudolf Steiner in seinen pädagogischen Vorträgen über die „Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik”1 die Grundmaxime jeder Willenserziehung benannt. Gerade das, was dem Intellekt so schnell langweilig wird – die Wiederholung – ist für den Willen die Grundlage seiner Stärke, Stabilität und Kraft. Der gute Pianist weiß, wie schon das Unterlassen von bestimmten Fingerübungen an ein, zwei oder drei Tagen sein Spielvermögen insgesamt beeinträchtigt, wohingegen jede Wiederholung es verbessert. Bei der Willenserziehung kommt es gerade nicht auf das Einmalige an, sondern auf die Treue zu den vielen kleinen Schritten, an deren Ende dann die gewünschte Fähigkeit steht.
So hat es auch keinen Sinn, einmal sein Augenmerk auf die Willenserziehung zu lenken, um dann die vielen guten Regeln, die man eingeführt hat, bald wieder schleifen zu lassen. Auch hier gilt: Weniger ist mehr. Lieber wenige Dinge konsequent über Jahre hinweg üben, als längere Zeit das Leben so vor sich hingehen zu lassen und dann plötzlich innerhalb weniger Wochen zu versuchen, alles Mögliche umzukrempeln. Wie oft schwächen wir den Willen, wenn wir eigene Entschlüsse nicht verwirklichen oder Fremdbestimmungen nicht bewusst in eigene umwandeln können. Wer viel erlebt, beginnt früher oder später an sich zu zweifeln und traut sich auch später bestimmte Dinge nicht zu.
- 2. „Ich kann, was ich will."
Gut überlegen, was man lernen möchte, beobachten, was das Kind zu tun versucht – und das dann so lange üben bzw. das Kind geduldig darin unterstützen, bis das Ziel erreicht ist. Das Gefühl – Ich habe Kraft, ich gebe nicht auf! – ist wichtig für jede Form der Willensschulung.
- 3. „Jede Entscheidung ist besser als keine."
Entscheidungen zu treffen ist für viele Menschen schwierig (vgl. Gesundheit: Gesundheit und Wille). Kinder brauchen aber auch hier ein nachahmenswertes Vorbild. Da hilft nur sich klarzumachen, dass im Zweifelsfall jede Entscheidung besser ist als keine. Man probiert eine mögliche Lösung des Problems aus und sieht dann, ob man sich richtig entschieden hat oder wie man diese Entscheidung zur richtigen machen kann. Und wenn man sich wirklich falsch entschieden hat, war es zumindest eine Lernerfahrung – dann besteht neuer Handlungsbedarf. Fehler einzusehen und aus ihnen zu lernen, ist ebenso nachahmenswert wie jeder Akt der Entscheidung. Für Kinder ist es eine Wohltat, entscheidungsfreudige und selbstbewusste Erwachsene zu erleben (vgl. Wille(nsschulung): Sieben Wege zur Effektivität) und vorerst noch nicht selbst Entscheidungen treffen zu müssen, deren Tragweite sie ja ohnehin weder überschauen noch in ihren Konsequenzen tragen könnten.
Zur Entscheidung eines erwachsenen, mündigen Menschen gehört:
- Wissen, worum es geht (Kompetenz),
- Abwägen des Für und Wider (Urteilsfähigkeit),
- Bereitschaft, die Konsequenzen zu tragen (Verantwortung).
Werden diese Fähigkeiten Kindern vorgelebt und von ihnen erlebt, so entwickeln sie sich bestmöglich auch beim Kind. Versucht man sie zu früh vom Kind zu fordern, so können sie nicht in Ruhe reifen.
vgl. „Willensschulung – eine Notwendigkeit in Pädagogik und Selbsterziehung“, Kapitel: „Motivation und Willenserziehung im Kindes- und Jugendalter“, gesundheit aktiv
- Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik. GA 293.