Die Apokalypse als Entfaltungsgeschichte einer neuen Welt
Welche Entwicklung wird in der Apokalypse thematisiert?
Inwiefern sind Liebe und Freiheit Ausdruck von etwas Zukünftigem?
Apokalypse zwischen altem und neuem Gesetz
Die ganze Apokalypse spielt zwischen einer Welt, die einerseits von Gesetzen und Geboten, von Unfreiheit und Fehlern, von Strafe und Gesetzesübertretung zutiefst gezeichnet ist. Andererseits spricht sie von einer neuen, zukünftigen Welt. Auch im Johannes-Evangelium wird viel vom alten Gesetz gesprochen, aber auch von einem neuen Gesetz. Ein Gesetz ist im Grunde nur eine allgemeingültige verbindliche Verabredung, die das Zusammenleben der Menschen regeln soll.
Das alte Gesetz besteht aus einem gut verständlichen Regelwerk von Sollvorschriften, die von außen kommen.
Das neue Gesetz besteht nur aus einem Gebot – aus dem Gebot der Liebe, das ausschließlich von innen wirkt.
Kein Mensch kann von einem anderen Menschen Liebe einfordern. Man kann einem Anderen nur freiwillig Liebe schenken, sonst ist die Liebe nicht echt. Je wahrhaftiger die Botschaft der Liebe ist, desto mehr werden Freiheit und Liebe eins, d.h. je mehr das, was man tut, von Freiwilligkeit und Freilassen bestimmt ist, desto liebevoller ist es (vgl. Freude: Freude am Tun und Freiwilligkeit).
Man erlebt schon als Kind und als Jugendlicher ein solches Ausmaß an Freiheits- und Machtmissbrauch, dass man sich bereits befreit fühlt, wenn man liest: „...die Wahrheit wird euch frei machen“ .1
Wahre Freiheit entwickeln
Die Freiheit, von der man heute redet, die man in Anspruch nimmt, mit der man im Alltag umgeht, bezieht sich meist auf etwas Vorläufiges. Das ist noch nicht die Freiheit, die der Mensch entwickeln kann, wenn er ernsthaft nach Wahrheit und nach Ehrlichkeit strebt. Durch das Streben bekommt die Freiheit erst ihren sicheren Grund, dadurch entwickelt der Mensch erst das Verständnis für wahre Freiheit (vgl. Soziales Leben und soziale Dreigliederung: Ursprung, Verlust und Wiedererlangen von Würde).
Diese Art des Freiheitsstrebens ist aber ein Aspekt des Menschseins, der ganz individuell gehandhabt werden muss: In jedem Augenblick, in dem ein Mensch von dieser Freiheit Gebrauch machen, beginnt sich bereits eine neue Welt zu entfalten – auch wenn man noch unter den Folgen von Fehlern leidet und sich von außen bedrängt fühlt, weil man durch die Notwendigkeit der Auseinandersetzung gebunden ist an die alte Welt der Gesetze, der Schicksalsnotwendigkeiten und Schicksalsgegebenheiten. So bildet sich nach und nach die Substanz eines neuen Himmels und einer neuen Erde, einer neuen Menschenkultur, die hereinzuwehen beginnt in die alte Gesetzeswelt, die zwar weisheitsvoll, aber nicht von Liebe bestimmt ist und die deswegen immer mit äußerem Druck und Anspruch arbeiten muss.
Die neue Welt der inneren Autonomie entfaltet sich dadurch, dass Erkenntnis erworben wird und der Wille sich in das Licht der Erkenntnis stellt. Dadurch entwickelt sich echtes Verständnis, das den Namen Liebe verdient.
Man hat den Eindruck, dass die ganze Apokalypse das Drama schildert, wie die Welt des Gesetzes nach und nach verschwindet und die Welt der Liebe immer mehr ersteht.
Vgl. Vortrag „Die apokalyptischen Siegel und das Geheimnis der menschlichen Entwicklung“, Mai 2007
- Neues Testament, Johannes 8, 31.