Die harmonisierende Kraft des Karma und die Schule Raphaels
Was ist unter Harmonisierung von Karma zu verstehen?
Was ist mit der Schule des Raphael gemeint?
Schicksalsbeziehungen harmonisieren dank Raphael
Je mehr Menschen beginnen, ihr Leben im Sinne des hygienischen Okkultismus als individuellen Erkenntnis- und Einweihungsweg zu begreifen, umso heilkräftiger können sie auch im Sozialen wirken. Wenn sich Schicksalsbeziehungen harmonisieren, werden sie tragfähig für heilsame Aufgaben.
Dies galt in höchstem Maße für die Schicksalsbeziehung zwischen Rudolf Steiner und seiner ärztlichen Mitarbeiterin Ita Wegman.1, 2 So konnte sich durch ihr Zusammenwirken der Erzengel der Heilkunst, Raphael, offenbaren und dadurch das Fundament für die Anthroposophische Medizin gelegt werden (vgl. Anthroposophische Medizin: Ita Wegmann und die Entwicklung der Anthroposophischen Medizin). Ihr Ziel ist es, die individuelle Gesundheit im Kontext der sozialen zu fördern. Diese „Ur-Gesundheit“ wurzelt im Ich des Menschen als individuellem und sozialem Wesen, das sich und sein Schicksal erkennen möchte. Dabei ist Raphael der lehrende Begleiter.
Als Ernst Lehrs, ein Waldorflehrer der ersten Stunde und Autor des Werkes Mensch und Materie,3 Rudolf Steiner fragte, wie man denn das Wesen Raphaels erkennen könne, antwortete dieser, der Weg zu Michael sei heute relativ leicht zu finden. Dann aber komme lange nichts – und dann erst käme man zu Raphael.
Ich habe diese Äußerung von Ernst Lehrs selber in meiner Studentenzeit erzählt bekommen. Er gehörte zu der Gruppe junger Leute, für die Rudolf Steiner den „Jugendkurs“4 gehalten hatte, in dem die Suche nach dem Zeitgeist Michael im Zentrum stand. Ich fragte mich immer wieder:
Wollte Rudolf Steiner dem hochbegabten Mathematiker und Naturwissenschaftler damals einfach nur mit dieser Antwort erst einmal zum „Selber-Nachdenken“ bringen?
Oder war die Antwort Steiners an ihn: Du hast noch lange Zeit mit der Michael-Erkenntnis zu tun, frage nicht schon nach dem nächsten Arbeitsvorhaben?
Der lange Weg zu Raphael
Die Antwort kann aber auch einfach ganz wörtlich genommen eine schlichte Wahrheit ausdrücken: dass es ein langer Weg ist, von der gedachten und auch gefühlten Einsicht zur persönlichen Lebenserfahrung und Realisierung zu kommen.
Ist nicht der lange Weg, der vom Kopf durch das Herz in die Hand – und in den die Hand erkraftenden Stoffwechsel – führt, der Weg von Michael zu Raphael?
Das Gute kann nur gefunden werden, wenn man es tut. Solange man es nur denkt und fühlt ist es nicht da. Die Meditation von Rudolf Steiner, die er den jungen Ärzten und Medizinstudenten gab, wäre unter diesem Aspekt die zentrale Raphael-Meditation. Sie trägt den Titel: „Wie finde ich das Gute?“5
In seinem Vortrag über den hygienischen Okkultismus beschreibt Rudolf Steiner das Leben selber als analog zu einem Krankheitsprozess, der fortwährend der Heilung bedarf. Er ergänzt diesen Hinweis, indem er von der Merkurweisheit der Doppelnatur des Ätherischen spricht, die sich zeigt
- als Lebenstätigkeit und Heilkraft einerseits
- und als denkendes Erkennen andererseits.
Der Heilkraft im Organismus entspricht die echte, spirituell erleuchtete Erkenntnis: „Die dem menschlichen Organismus innewohnende Heilkraft in Erkenntnis umgewandelt, gibt eben okkulte Erkenntnisse.“6
Die Raphael-Schule
Als Medizinstudentin fragte ich die Onkologin und langjährige Leiterin der Lukas Klinik in Arlesheim, Rita Leroi7, wie man sich dem Erzengel Raphael verbinden könne. Sie antwortete: Michael ist das Antlitz Christi, Raphael seine helfende Hand. Er lebt in der Arzt-Patienten-Beziehung, „wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind“8. Er ist ein brüderlicher Wegbegleiter, ein Ratgeber und Helfer in jeder Not. Er verkörpert das Wesen selbstloser Hilfeleistung und den Dienst am anderen sowie am Leben selbst.
Sehr begeistert war ich dann, als ich hörte, dass mit der esoterischen Begründung der Medizinischen Sektion am Goetheanum im September 1924 auch eine „Raphael-Schule“ begründet werden sollte, die damals aber nur keimhaft veranlagt werden konnte und die es immer weiter zu entwickeln gilt. Die Hinweise Rudolf Steiners hierzu weisen einerseits in Richtung Karma-Erkenntnis als Schule des Lebens und der Entwicklung. Andererseits weisen sie Ärzten und Pharmazeuten den Weg zum Verstehen des Wesens der Substanzen und ihrer Heilwirkungen für den individuellen Menschen und für typische Krankheitsprozesse. Keimhaft und klar charakterisiert Rudolf Steiner diesen Impuls einer Raphael-Schule im sogenannten „pastoral-medizinischen Mantram“, einer wegweisenden Meditation, die er zum Abschluss des „Pastoral-Medizinischen Kurses“ für Ärzte und Seelsorger gemeinsam formuliert:
Ich werde gehen den Weg,
Der die Elemente in Geschehen löst
Und mich führt nach unten zum Vater
Der die Krankheit schickt zum Ausgleich des Karma
Und mich führt nach oben zum Geiste
Der die Seele in Irrtum zum Erwerb der Freiheit leitet
Christus führt nach unten und nach oben
Harmonisch Geistesmensch in Erdenmenschen zeugend.9
Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015
- J. Emanuel Zeylmans van Emmichoven, Die Erkraftung des Herzens: Eine Mysterienschulung der Gegenwart, Rudolf Steiners Anleitungen für Ita Wegman, Arlesheim 2009.
- Margarete und Erich Kirchner-Bockholt, Die Menschheitsaufgabe Rudolf Steiners und Ita Wegman, Dornach 1981.
- Ernst Lehrs, Mensch und Materie. Ein Beitrag zur Erweiterung der Naturerkenntnis nach der Methode Goethes, Frankfurt am Main 1987.
- Rudolf Steiner, Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation, Pädagogischer Jugendkurs, GA 217, Dornach 1988.
- Siehe auch Peter Selg, Die „Wärme-Meditation“: Geschichtlicher Hintergrund und ideelle Beziehungen, Dornach 2005.
- Rudolf Steiner, Die soziale Grundforderung unserer Zeit In geänderter Zeitlage, GA 186, Dornach 1990, S. 75.
- Silke Helwig, ‚Es geht um mein Leben': Zum 100. Geburtstag von Rita Leroi, Basel 2013.
- Neues Testament, Matthäus 18,20.
- Rudolf Steiner, Das Zusammenwirken von Ärzten und Seelsorgern. Pastoral-Medizinischer Kurs, GA 318, Dornach 1994, GA 318.