Entwicklung der Heileurythmie

Woran liegt es, dass Heileurythmie, bis heute noch nicht den Platz, der ihr gemäß wäre, erringen konnte?

Wie viel von ihrem Potential konnte schon in die Praxis umgesetzt werden?

Heileurythmie, die therapeutische Eurythmie, arbeitet hochspezifisch, akkurat und genau. Rudolf Steiner setzt sie sehr bescheiden ein in den Vorträgen für die Ärzte und sagt, man werde nicht alles damit behandeln können, aber doch sehr vieles.

Das erste pädagogisch-medizinisch-anthroposophische Werk wurde von Rudolf Steiner 1907 herausgegeben, „Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft“1. Fast auf jeder Seite wird von „gesunder Entwicklung“ gesprochen, von „Gesundheit“, von der „Überwindung von Krankheitstendenzen“. Prävention in Form von Erziehung, später ergänzt durch Selbstschulung und Selbsterziehung – der Königsweg der Medizin – ist bereits über 100 Jahre alt.

Im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Waldorfschule fragte Elisabeth Baumann, die zusammen mit Karl Schubert die Hilfsklasse betreute, Rudolf Steiner immer wieder um Rat im Zusammenhang mit schwierigen Kindern und bat um spezielle therapeutische und eurhythmische Übungen. Sie bekam bereitwillig Antworten – die Heileurythmie entstand so aus der pädagogischen Praxis heraus. Erna van Deventer-Wolfram verfolgte später die Angaben zur therapeutischen Eurythmie zurück bis ins Jahr 1915 und davor: Von Anfang an ist das Werden der Eurythmie begleitet von Abwandlungen für deren therapeutische Anwendung. Und immer werden auch Laienkurse angeboten und entwickelt sich das pädagogisch-didaktische Element. Das prophylaktische und das heilend-erzieherische Element begleiten die Entwicklung der Anthroposophischen Medizin in ihrer zweiten Etappe. Es ist kein Zufall, dass Ostern 1921 der Heileurythmiekurs 2 gegeben wird – integriert in den zweiten Kurs für Ärzte. Es ist das Jahr, in dem im Juni die heutige Ita-Wegman-Klinik und in Stuttgart von Otto Palmer die Stuttgarter Klinik begründet wurden. Das markiert den Schritt in der Entwicklung der Anthroposophischen Medizin, durch den nun – seit 1920, dem ersten Medizinerkurs – die Krankheitslehre entwickelt wird. Zusammen mit der Wissenschaft von der Krankheit wird auch die Heileurythmie als neue Therapieform systematisch entwickelt. Sie wird so vollständig dargestellt, dass Rudolf Steiner ein Jahr später, als er nochmals gebeten wurde über Heileurythmie zu sprechen, sinngemäß sagte: Eigentlich habe ich bereits alles gesagt.3

Ich kenne das von keinem anderen Zusammenhang, dass Rudolf Steiner schlicht darauf hinweist, er hätte schon alles zu einem bestimmten Thema gesagt. In diesen Vorträgen ist eigentlich alles drin, auch wenn wir bei der Arbeit damit ständig Neues entdecken. Ich bin besonders glücklich darüber, dass im Rahmen unserer 1. Weltkonferenz für Heileurythmie auch die Tonheileurythmie vorgestellt wird, über die Rudolf Steiner im Heileurythmiekurs nicht spricht, sondern sie in einem anderen Vortragszyklus ausführt. Es gehört zu meinen ganz großen Hoffnungen, dass durch die Demonstration der Qualität ‚Tonheileurythmie' die Botschaft in 32 Länder hinausgeht und sich dieser ‚Bazillus’ Tonheileurythmie in Form einer ansteckenden Gesundheit fortpflanzt und überall ansiedelt. Denn natürlich gehört zu dem vollständigen Keim, in dem bereits alles enthalten ist, auch das Rhythmisch-Musikalische (siehe 1. Vortrag). Es ist noch nach vielen Richtungen hin weiterzuentwickeln: In den Qualitäten der Farbe, der Form, der Musik, der Fülle der Rhythmen usw. liegen noch ungehobene Schätze verborgen. Auch diese historischen Zusammenhänge weisen darauf hin, dass die Heileurythmie, diese zutiefst menschliche Eurythmie, wie der Urgrund, der Urzugang, zu einem spirituellen Verständnis der menschlichen Organisation ist. Ohne dieses Verständnis, lässt sich die Anthroposophische Medizin nicht denken und praktizieren.

Heileurythmie ist das Herzstück. Sie selbst ist der reine Ausdruck von Herzlichkeit: Herzlichkeit im Umgang mit der Welt, Herzlichkeit im Umgang mit den Menschen.

Vgl. Vortrag „Vom Wesen der Heileurythmie als Herzorgan der Anthroposophischen Medizin“, Dornach, 1. Weltkonferenz für Heileurythmie, 30. Mai 2008

  1. Rudolf Steiner, Die Erkenntnis des Übersinnlichen in unserer Zeit und deren Bedeutung für das heutige Leben. GA 55, 6. Vortrag.
  2. Rudolf Steiner, Heileurythmiekurs. GA 315.
  3. Ebenda, 8. Vortrag vom 28.10.1922.