Hilfen bei Eheproblemen

Wer kann von sich sagen, dass er wirklich zu Toleranz und Verträglichkeit erzogen worden ist?

Lässt sich Erziehung zur Verträglichkeit im späteren Leben nachholen?

Beziehungsprobleme lösen durch Erziehung zur Verträglichkeit

Um auf diese Fragen einzugehen, soll noch das pädagogische Problem der Selbsterziehung angesprochen werden. Rudolf Steiner, der einmal nach der Ursache zunehmender Eheschwierigkeiten gefragt wurde, bemerkte dazu, dass sie in erster Linie Ausdruck einer nicht stattgefundenen Erziehung zur Verträglichkeit sei. Diesbezüglich können wir sicher alle noch viel hinzulernen. Ich möchte daher zwei Hilfen nennen, die sich auf diesem Gebiet bewährt haben:

  • Besinnung auf die geistige Welt

Das erste Hilfsmittel ist, sich auf das eigene Verhältnis zur geistigen Welt zu besinnen:

Was ist mein Lebensziel?

Welches ist das Ideal meiner Entwicklung?

Wie sehe ich es in Verbindung mit der Tatsache, dass alle anderen Menschen sich ebenfalls entwickeln?

Gibt es ein uns Menschen gemeinsames Ideal des Werdens, der Menschlichkeit, zu dem die unterschiedlichsten Wege hinführen?

Und: Kenne ich das Lebensideal meines Ehepartners?

Kann ich dieses Ideal lieben als sein Zentrum, seine innerste Sehnsucht nach Da-seinsverwirklichung?

  • Den anderen nehmen, wie er ist

Das zweite Hilfsmittel ist die Befolgung eines sozialtherapeutischen Ratschlages von Rudolf Steiner: „Man nehme den anderen Menschen, wie er ist, und versuche aus dem, was er ist, das Allerbeste zu machen.“1

Tatsächlich tut man meist genau das Umgekehrte: Man nimmt sich selbst so, wie man ist, und mäkelt an dem anderen herum. In dem Augenblick, in dem man Freude daran gewinnt und die nötige Fantasie entwickelt, aus allem, was gesagt wird und geschieht, das für das gemeinsame Leben Fruchtbarste zu machen, wird es nicht mehr zu kraftraubenden, sich ewig wiederholenden Konflikten kommen. Durch ein solches Bemühen lernt man sich gegenseitig erst richtig kennen, lernt über Unvollkommenheiten des anderen zu schmunzeln, die einen früher zur Weißglut bringen konnten, und bemerkt viele positive Gestaltungsmöglichkelten des gemeinsamen Lebens, die man bisher noch gar nicht entdeckt hatte.

Wenn man in der Kinderarztpraxis mit Eltern über diesen Punkt spricht, nicken die Männer meistens ganz verständnisvoll, wohingegen die Frauen einem entgegenhalten: „Die Erfahrung habe ich schon oft gemacht, dass es keinen Streit mehr bei uns gibt, wenn ich mich so verhalte, wie mein Mann es von mir erwartet. Wenn ich mich in allem füge und flexibel zeige, gibt es zwar keine Probleme, aber ich fühle mich in meinen Wünschen, Fragen und Problemen alleingelassen und nicht ernstgenommen.“

Und hier liegt tatsächlich ein Kern des Problems. Solange man sich so fühlt, als müsse man sich unterordnen und als herrsche keine Partnerschaftlichkeit beim Äußern von Bitten und Wünschen, steht man noch nicht auf dem oben angedeuteten Boden. Denn dieser Boden kann nur durch einen freien Entschluss betreten werden. Man will das Beste daraus machen im Vertrauen auf die Entwicklungsfähigkeit des anderen, auch wenn er sich vorerst gar nicht ändert.

Ermutigende Bejahung des anderen

Die Erfahrung zeigt, dass ein Mensch, der ständig von einem anderen in seinem Sosein bejaht und in seiner Existenz bestärkt wird, sich in einer solchen Atmosphäre anders entwickeln kann als jemand, der im Inneren resigniert hat, weil er spürt, dass er dem anderen doch nichts recht machen kann, dass er den hohen, in ihn gesetzten Erwartungen nicht entspricht.

Es zeigt sich immer wieder, dass in Gesprächen dieser Art der charakteristische Unterschied im Seelenleben von Mann und Frau zum Tragen kommt und, wo das unbewusst bleibt, zum Konflikt führen muss:

  • SIE hat aufgrund ihrer stärkeren seelischen Farbigkeit und Regsamkeit eine konstitutionelle Neigung, IHN zu idealisieren und mehr in ihm zu sehen, als er bieten kann.

  • Umgekehrt hat ER die konstitutionelle Neigung, sich rascher zufrieden zu geben, eher etwas weniger von dem wahrzunehmen, was SIE ist und eigentlich will, und hat in ihren Augen oft zu geringe Ansprüche an das gemeinsame Leben und seine Gestaltung.

Bei der Frau bestünde die Übung des oben angeführten Satzes – „den anderen nehmen, wie er ist, und daraus das Beste machen“ – mehr darin, sich zu bemühen, realistischer zu werden, und beim Mann läge die Verwirklichung des Satzes mehr darin, ein wenig idealistischer zu werden. Beiden gemeinsam wäre das damit verbundene Bemühen, die Persönlichkeit des andern in ihrem Sosein ernst zu nehmen.

Vgl. Vortrag, „Die männliche und weibliche Konstitution“, 1987

  1. Rudolf Steiner, Wie kann die seelische Not der Gegenwart überwunden werden? Vortrag vom 10. 10. 1916 in Zürich. In: Die Verbindung zwischen Lebenden und Toten, GA 168.