Pflege des religiösen Lebens im Kindesalter

Wie kann die Pflege des religiösen Lebens in der frühen Kindheit aussehen?

Was bedeutet sie für das Vorschulkind?

Elemente einer religiösen Lebensgestaltung

Die Kirchenväter und Gläubigen der alten Zeit haben noch instinktiv gewusst, dass das Bedürfnis nach dem Religiösen tief in der menschlichen Natur verankert ist und daher von Anfang an auch der Pflege bedarf.

Die Elemente einer religiösen Lebensgestaltung umfassen alles, wozu ein Vorschulkind von sich aus begabt ist (vgl. Religion: Das leiblich religiöse Verhalten des Kindes):

  • Es liebt Wiederholungen, und das ist gerade das Wesen religiöser Übungen: Gebete vor dem Essen und vor dem Schlafengehen z.B. werden regelmäßig wiederholt.

  • Es liebt die Anwesenheit der Erwachsenen – und selten sind Eltern konzentrierter bei der Sache, als wenn sie mit ihrem Kind die Kerze vor einem Engelsbild anzünden, ein Dankeslied singen oder ein Schutzengelgebet sprechen.

  • Kinder lieben Ruhe und Geborgenheit, in die sie immer wieder zurückkehren können, nachdem sie eine Zeit lang sich selber überlassen waren und alles Mögliche taten. Und es gibt keine schöneren Ruhemomente, als wenn Erwachsene gemütlich etwas erzählen oder vorlesen, was mit dem Leben, den Jahresfesten oder den zahllosen Wundern der Schöpfung zusammenhängt.

Urvertrauen durch Wesensbegegnung

In keinem Lebensalter gehen Erfahrungen so tief und graben sich so unauslöschlich in die leiblich-seelisch-geistige Konstitution ein wie im Vorschulalter. Kann ein Kind Andacht, Freude, Erwartung, Anteilnahme, Interesse aneinander und die Verehrung eines Höheren in diesem Alter erleben, erlebt es eine tiefgreifende Selbsterfahrung und Selbstbestätigung. Denn es ist voll vertrauensvoller Hingabe, wenn es auf die Welt kommt, und es erwartet, dass sein Vertrauen Bestätigung findet (vgl. Die ersten drei Jahre: Gehen - Sprechen – Denken: Embryonale Leibwerdung und Bildebewegungen). Auf diese Weise kann sich das oft beschriebene „Urvertrauen" festigen.

Religiöses Üben kann schon unmittelbar nach der Geburt beginnen, wenn die Mutter sich über ihr eben geborenes Kind freut und es in die Arme schließt. Das ist die erste Wesensbegegnung auf der Erde, der Anfang einer starken Bindung zwischen zwei Menschen-Ichen. Diese Beziehung kann schon an der Wiege des Säuglings gepflegt werden, indem man morgens und abends ein Gebet spricht,1 ein Lied singt und dabei die Stimmung der Verehrung und Dankbarkeit der göttlichen Welt gegenüber empfindet und zum Ausdruck bringt. Nicht Wissen und darüber Reden ist das Entscheidende am religiösen Leben, sondern das übende Tun, die Pflege der Wesensbeziehung zwischen Mensch und Gott.

Je früher und selbstverständlicher der Erwachsene die wichtigsten Elemente der religiösen Übung, das Erleben von Andacht und Ehrfurcht im Gebet, mit dem Kind vollzieht, umso freudiger und selbstverständlicher wird es damit umgehen – selbst wenn es die Worte des Gebetes noch lange nicht versteht. Es nimmt jedoch die Zuwendung des Erwachsenen und die besondere Qualität der Gefühls- und Gemütsstimmung in sich auf und fühlt sich in dieser Atmosphäre geborgen, sicher und in sich bestätigt. Menschen- und Gottesliebe sind nah verwandt: Wer die geistige Welt liebt, kann nicht anders als auch die Menschen als geistige Wesen mit zu lieben. Und wer lernt, die Menschen zu lieben, hat damit eine Brücke zum Verständnis der Gottesliebe bzw. der Liebe zur Welt des Geistes.

Rückschau auf den vergangenen Tag

Sobald die Sprachentwicklung der Kinder so weit ist, dass man sich mit ihnen unterhalten kann (vgl. Die ersten drei Jahre: Gehen - Sprechen – Denken: Sprechen – Zuhören – Liebefähigkeit), gehört es zu den wichtigen Elementen der religiösen Übung, auf den vergangenen Tag zurückzublicken und sich zu fragen:

Was war besonders schön?

Wo war es schwierig?

Was konnten wir heute lernen?

Wie soll es morgen weitergehen?

Die Ereignisse des Tages nochmals anzuschauen und dann für die Nacht zur Ruhe zu bringen – das bringt den Menschen zu sich und damit auch der geistigen Welt näher.

Ist die Zeit der hingebungsvollen Nachahmungstätigkeit abgeklungen, ist eine derart tiefe Einprägung in die körperliche Konstitution nicht mehr möglich. Später ist es sehr schwer, dieses Defizit zu kompensieren und Existenzvertrauen und Daseinsfreude „zu lernen". Wenn religiöse Erziehung nicht bedeutet, Kindern „moralische Grundsätze" beizubringen, sondern wenn sie das gemeinsame Erleben der genannten religiösen Qualitäten wie Ruhe, Friede, Andacht, Ehrfurcht und Vertrauen ermöglicht, erleben die Kinder im späteren Leben inneren Halt und finden leichter zur inneren Ruhe. Selbst wenn der Jugendliche oder der Erwachsene sich noch zu keinem eigenen religiösen Weg entschlossen hat, trägt ihn die Erinnerung an die Erfahrungen der Kindheit und gibt ihm Kraft und Lebenssicherheit.

Hingabe als allgemeine religiöse Erfahrung

Dabei spielt es keine wesentliche Rolle, welches Bekenntnis der religiösen Erziehung zugrunde liegt. Denn die religiösen Werte und Stimmungen, auf die es in der Kindheit ankommt, finden sich in allen Religionsbekenntnissen wieder.

Welchem Glaubensbekenntnis man sich später zuwendet, sollte am Ende ernsthafter innerer Überlegungen und Auseinandersetzungen mit der Gottesfrage stehen. Man wird sich in jedem Fall dankbar an die kindlichen Erfahrungen religiöser Hingabe erinnern, denen die Erwachsenen mit schlichten Mitteln Raum gaben und so die kindliche Religiosität bestätigten.

Der Einwand, dass man Kinder nicht im Rahmen eines bestimmten Religionsbekenntnisses oder überhaupt zum Religiösen erziehen dürfe, da die Entscheidung für ein religiöses Leben jedem völlig frei überlassen bleiben müsse, kann von der Tatsache der vielen Kirchenaustritte in den letzten Jahrzehnten entkräftet werden: Sie zeigt auf, dass viele Menschen im späteren Leben sich von der religiösen Anschauung ihres Elternhauses verabschieden und geistig ihre eigenen Wege gehen.

Vgl. „Welchen Auftrag hat die Religion in Erziehung und Heilkunst?“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997

  1. Vgl. Rudolf Steiner, Gebete für Mütter und Kinder, 7. Aufl. Dornach 1994; Brigitte Barz, Mit Kindern beten, Stuttgart 1995.