„Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“ als Meditationsbuch
Inwiefern ist das im Titel genannte medizinische Grundlagenbuch1 auch ein Meditationsbuch?
Welche Rolle spielt dabei das Denken?
Welche Bedeutung hat das sinnlichkeitsfreie Denken für die Erfassung der inneren und äußeren Welt?
Die verbindende Rolle des Denkens
Die anthroposophische Meditation nimmt ihren Ausgangspunkt beim Denken. Dieses geht auch wach wahrnehmend mit, wenn es um Körpermeditationen, Sinnesschulung und Wortmeditationen geht.2
Immer spielt das Denken eine zentrale Rolle, wenn es um die Erfassung der Welten geht, in die der Mensch eingebunden ist:
Die naturwissenschaftlichen Methoden beruhen auf einer Erforschung der „sinnenfällig gegebenen Welt“,3 die mithilfe des Denkens analysiert wird, um die zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten zu finden.
Die geisteswissenschaftliche Methode im Sinne Steiners stützt sich auf das Denken, das zum Anschauungsorgan für Geistiges weiterentwickelt werden kann.
Ein gemäß der anthroposophischen Erkenntnisschulung „erkraftetes Denken“4 wird methodisch bereits in Kapitel I beschrieben und liegt allen weiteren Ausführungen des Buches zugrunde.
Das Verbindende zwischen Natur- und Geisteswissenschaft kann nicht im Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren liegen. Es kann nur im Denken selber gefunden werden, da dies in beiden Bereichen gleichermaßen führend ist, wenn etwas verstanden werden soll.
Stärkung des sinnlichkeitsfreien Denkvermögens
Auch für die anderen Grundschriften Rudolf Steiners gilt, dass ihre Lektüre das sinnlichkeitsfreie Denkvermögen stärkt. Doch ist dies bei dem Grundlagenwerk der Anthroposophischen Medizin5 in besonderem Maße der Fall. Denn es ist so abgefasst, dass man ohne eigene echte Gedankenanstrengung kaum Gewinn davon hat bzw. das Werk als unzugänglich empfinden muss.
6 und „Die Geheimwissenschaft im Umriss“7 sowie auf ergänzende Schriften und Vorträge, in denen die Übungen beschrieben sind zur Weiterentwicklung der Tätigkeiten des Denkens, Fühlens und Wollens. Damit ist klargestellt, dass Medizin nicht nur bedeutet, viel über den Menschen zu wissen, sondern auch, die geistigen Quellen zu kennen, denen der Mensch sein Dasein und seine Entwicklungskompetenz verdankt.
Von Kritikern der Anthroposophie wird mit Bezug auf die meditative Selbstschulung gerne der Einwand erhoben, dass keiner der Schüler Steiners bisher die von ihm beschriebenen höheren und höchsten Einweihungsgrade erreicht habe.
Meisterschaft durch Übung
Wer jedoch den von Steiner empfohlenen Weg zur höheren Erkenntnis beschreitet, kann bei sachgemäßer Befolgung schon der allerersten Übungsanweisung: „Schaffe dir Augenblicke innerer Ruhe und lerne in diesen Augenblicken das Wesentliche von dem Unwesentlichen unterscheiden“,8 an sich selbst erleben, wie stark die Wirkung einer solchen Übung ist, wenn man sie durchführt und beginnt, mit ihr zu leben. Dadurch hat man bereits eine Erfahrung gemacht, die Vertrauen stiftet, auch anderes zu versuchen oder auch Forschungsergebnisse Steiners zumindest hypothetisch für möglich zu halten und Leben und Erfahrung im Lichte einer solchen hypothetischen Annahme zu reflektieren.
Das kann z.B. auch Medizinstudenten motivieren, den einen oder anderen Hinweis aus der anthroposophischen Geistesforschung zum Ausgangspunkt einer Doktorarbeit bzw. späteren Habilitation zu machen – was Steiner in seinen Kursen mehrfach vorgeschlagen hat und was auch wiederholt geschehen ist.9
Vgl. „Einleitung zu Band 15, Schriften zur Anthroposophischen Medizin, Kritische Edition der Schriften Rudolf Steiners“, frommann-holzboog Verlag, Stuttgart 202510/sup>
- Rudolf Steiner, Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst, GA 27.
- Rudolf Steiner, Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst, Vorträge für Ärzte und Medizinstudierende, GA 316.
- Rudolf Steiner, Wahrheit und Wissenschaft, 11. Kapitel, GA 3.
- Rudolf Steiner, Vorstufen zum Mysterium von Golgatha, GA 152, Seite 51–53.
- Siehe FN 1.
- Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10.
- Rudolf Steiner, Die Geheimwissenschaft im Umriss, GA 13.
- Sie FN 4, 1. Kapitel.
- Vgl. https://medsektion-goetheanum.org/forschung/publications; [6.1.2025].
- In Band 15 der SKA findet sich auch das umfangreiche Literatur- und Referenzverzeichnis. Wer den Inhalt weiter vertiefen möchte, kann sich dort darüber informieren.