Sozialimpuls aus dem Ätherischen

Welche Sozialimpulse erwachsen aus der ätherischen Seinsebene?

Das Soziale als Prozess

Im Ätherischen geht es um das Soziale als Prozess (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Begabungen des Ätherleibes). Alles Soziale vollzieht sich prozesshaft, muss sich entwickeln. Über das Soziale zu wissen, rettet mich nicht davor, in einer bestimmten Situation kläglich zu versagen, weil es keine Rezepte gibt für das soziale Miteinander. Was hilft, ist eine angemessene Haltung und die Fähigkeit der Prozessführung.

Wie schafft man z.B. eine gute Finanzordnung in einem Kollegium?

Indem man gegenseitig die Bedürfnisse wahrnimmt, die jeder hat, die Höhe der Ausgaben der einzelnen Kollegen berücksichtigt. Man muss zudem feststellen, wie groß die Lücke ist zwischen dem, was manche gerne an Gehalt hätten und dem, was die Ressourcen der Schulgemeinschaft sind. Man muss über die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kollegen und auch über die realen Möglichkeiten der Schule Bescheid wissen, wenn man einen konstruktiven Prozess in die Wege leiten möchte. Man muss etwas vom Leben verstehen, um sozial denken und soziale Prozesse bewusst steuern zu können. Rudolf Steiner beschrieb sieben Lebensprozesse, die man anhand der Verdauung oder anhand der Atmung studieren kann, aber sie gelten auch fürs Soziale (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Die sieben Lebensprozesse). Sogar jede Meditation lässt sich dahingehend studieren. Die genannten Prozesse sind somit auch ein wunderbarer Weg, einen meditativen Prozess zu gestalten.

Die sieben Lebensprozesse angewandt auf das Soziale

  • 1. Öffnung (Atmung)

Wir müssen uns in einem ersten Schritt öffnen für die Menschen, für die wir etwas sozial bewegen wollen – egal, ob es sich um Flüchtlinge, Arbeitslose oder um ein Waldorfkollegium handelt – immer muss man zuerst die Bedürfnisse wahrnehmen, die da sind.

  • 2. Anpassung

In einem zweiten Schritt muss man sich an die Situation und die realen Gegebenheiten anpassen, muss die Ressourcen und Möglichkeiten kennen und herausfinden, welche Unterstützung man organisieren kann und welche Strukturen es braucht, damit das soziale Vorhaben gelingen kann. Nun versucht man das Mögliche im Hier und Jetzt, wissend, dass das noch nicht alles ist.

  • 3. WinWin (Ernährung)

Hier geht es darum, dass jeder etwas bekommt, sozusagen ernährt wird, spürt, dass alle sich auf einem guten Weg befinden. Das tut gut, gibt Kraft.

  • 4. Entscheidung

Bei einer guten Prozessführung müssen hin und wieder Entscheidungen getroffen werden. Unterlässt man sie, bekommt man Probleme, entscheidet man zu früh, zu spät oder falsch, ebenso. Hier muss man die Frage bewegen, was es braucht, um zu einer gerechten Entscheidung zu finden.

Ich liebe das Büchlein von Franz Alt und Peter Spiegel mit dem Titel „Gerechtigkeit“.1 Diese beiden Kulturschaffenden haben die gesamte Ungerechtigkeit des heutigen Lebens daraufhin untersucht, was man tun könnte, was man anstoßen müsste, wo man hinschauen müsste, damit es gerechter zugeht. Gerechtigkeit ist ein großes Thema und hat immer mit dem Leben zu tun.

Wie werden wir einander gerecht?

Ist die Prozesssteuerung gerecht, sodass alle sich gerecht behandelt fühlen?

Wem wird ein Prozess gerecht und wem nicht?

Das sind unglaublich wichtige Fragen, die mit den richtigen Entscheidungen zusammenhängen, die dann bestimmen, wohin es gehen soll.

  • 5. Selbsterhaltung

Dieser Prozess ist wunderschön, aber auch gefährlich. Mit dem Erhaltungsprozess gut umzugehen, ist eminent wichtig im Sozialen. Wenn man ein gutes System oder ein tolles Leitbild gefunden hat, glaubt man es zu „haben“ und will es behalten und immer so machen – bis zur nächsten Krise: Sei es, dass Neueinsteiger kommen, die alles hinterfragen und anders wollen. Man grenzt sie aus, kämpft gegen sie, will seine Macht erhalten, sich selbst verteidigen, es beginnt ein Generationenkonflikt. Man muss bei alledem begreifen, wo ein gewisses Maß an Stabilität und Sicherheit nötig ist und wo man über sich hinauswachsen muss. Das leitet über zum nächsten Lebensprozess.

  • 6. Wachstum

Wirklich sozial wird dieser Prozess durch die Frage:

Wie kann ich meiner Mitwelt etwas von dem zurückgeben, was ich durch mein ganzes leben bis zum Stadium der Selbsterhaltung geschenkt bekommen habe?

Wir können vieles der eigenen Leistung zuschreiben, das wäre aber nur die halbe Wahrheit. Denn meine Leistungen hingen auch von den Chancen ab, die ich in Kindheit und Jugend hatte, welche Menschen mir begegnet sind, welche Bücher ich lesen durfte. Alles, was ich bin, verdanke ich genau genommen meiner Um- und Mitwelt.

Werde ich nicht erst gerade dadurch individuell, dass ich das merke und schaue, was ich zurückgeben kann?

Beim Wachstum geht es über uns hinaus. Schiller und Goethe haben das so schön ausgedrückt: Wenn die Pflanze blüht, schmückt sie ganz selbstlos den Garten und gibt zurück, was sie davor alles an sich gezogen hat an Nährstoffen. Was die Pflanze unbewusst macht, müssen wir Menschen bewusst vollziehen, wenn uns an einer gerechten Prozessorientierung liegt. Es ist sehr sozial, erst einmal autonom zu werden, auch wenn das egoistisch aussieht. Denn wenn ich nichts habe und niemand bin, kann ich auch nichts geben. Mit dem Stadium der Selbsterhaltung kommt die kritische Frage, ob und wie ich vom Empfangen zum Geben übergehe:

Was muss in mir passieren, dass ich das möchte?

  • 7. Reproduktion

Dieser Prozess bedeutet, dass ich in der Lage bin, etwas ganz von mir abzulösen und nicht mehr darüber zu bestimmen. Wenn jemand z.B. Geld angespart hat, stehen ihm mehrere Möglichkeiten, es zu verteilen, offen. Laut Steiner gibt es prinzipiell Leihgeld, Kaufgeld und Schenkungsgeld, mit oder ohne Zweckbindung. Man kann Geld:

  1. einfach spenden im Vertrauen, dass es gut angewendet wird
  2. zweckgebunden spenden
  3. als Leihgeld verzinst herleihen

Im Sinne des Reproduktionsprozesses wäre es richtig, etwas von sich abzulösen und in die Freiheit zu entlassen. So wollte Rudolf Steiner Erziehung verstanden wissen: Das Kind in Ehrfurcht empfangen, es in Liebe erziehen und begleiten und es in Freiheit entlassen – das geht durch die ganzen sieben Prozesse. Das wäre gute Erziehung.

Die soziale Frage als Erziehungsfrage

Steiner geht sogar so weit zu sagen, dass alle sozialen Fragen ausschließlich Erziehungsfragen seien. Alle Menschen leben so, wie sie durch ihre Erziehung geworden sind. Wenn ein Mensch sich kriminell oder sonst wie korrupt benimmt, müsste man ihn eigentlich fragen, wie er erzogen wurde und was bewirkt hat, dass er an der Stelle einen so großen blinden Fleck hat.

Selbst, wenn wir wissen, dass man nur das und das machen müsste, damit es gerechter zugeht, würde es trotzdem nicht geschehen, weil die dafür zuständigen Menschen nicht so erzogen sind, dass sie darauf Lust haben. Es ist ein Erziehungsproblem, dass alles ist, wie es ist. Man wurde im herrschenden Erziehungssystem nicht zu Toleranz, Respekt, zum Interesse am anderen, zur Gerechtigkeit, zur Ehrlichkeit, erzogen worden. Das ganze System ist doch so, dass die Erwachsenen, die uns heute Ärger machen, einmal liebe Kinder waren, die ein Schulsystem durchliefen, das sie so hat werden lassen (vgl. Soziales Leben und soziale Dreigliederung: Ursprung, Verlust und Wiedererlangen von Würde). Dass man diese Zusammenhänge nicht sehen will, ist ein großes soziales Problem. Steiner bringt es auf den Punkt, indem er sagt, die soziale Frage sei eine pädagogische Frage.

Die pädagogische Frage wiederum ist eine medizinische Frage. Denn wenn Pädagogik sich nicht an einem gesunden Menschenbild orientiert, sondern Menschen zur Karriere oder zu diesem oder jenem Ziel hin erziehen will, wenn sie an die gesellschaftlichen Verhältnisse angepasst werden sollen und nicht der autonome, mündige, freie, wache mit Empathie begabte Mensch als Leitbild für die Erziehung gilt, wird die Gesundheit der Betroffenen darunter leiden. Deshalb handelt es sich hier um eine Art „Verschiebebahnhof“: Die sozialen Probleme müssen mit pädagogischen Mitteln gelöst werden und die pädagogischen Probleme brauchen eine therapeutische gesundheitlich orientierte Vorgehensweise – was uns zu den 7 Lebensprozessen zurückführt als gesundenden sozialen Impulsen aus der Anthroposophie.

Vgl. Vortrag „Der Anthroposophische Sozialimpuls“ in Wien, Mai 2018

  1. Franz Alt und Peter Spiegel, Gerechtigkeit: Zukunft für alle. Die Grundsatzerklärung, ISBN: 9783579086637.