Zukunftssaat gewinnen im Alter

Wozu dienen uns Erkenntnisse im Alter, die wir im eigenen Leben nicht mehr umsetzen können?

Was kann uns helfen, mit dem Wissen um die Endlichkeit des eigenen Lebens und die altersbedingte Begrenztheit des eigenen Wirkens konstruktiv umzugehen?

Inwiefern hilft uns der Wiederverkörperungsgedanke dabei, eine lebensübergreifende Zukunftsperspektive zu entwickeln?

Lebenserfahrung als Zukunftssamen begreifen

Je älter man wird, desto klarer weiß man, wie man am liebsten gelebt hätte. Manches davon kommt uns noch in diesem Leben zugute, aber vieles davon ist wie ein Weisheitssamen, wie eine Saat für Zukünftiges, weil man die daraus gewonnenen Erkenntnisse und Impulse in diesem Leben oft nicht mehr verwirklichen kann. Aus dem, was man gelernt hat, würde man rückblickend vieles anders machen wollen – hat aber aufgrund des vorgeschrittenen Alters und der damit einhergehenden veränderten Lebenssituation keine Möglichkeit mehr dazu.

Will man nicht in einem Gefühl der Sinn- und Nutzlosigkeit und der Trauer versinken, muss man den Blick über das aktuelle Erdenleben hinaus erweitern und empfinden lernen: Alles, was ich in diesem Leben nicht mehr verändern und erreichen kann, wird zu einer Zukunftssaat. Es wird fruchtbar werden in einem zukünftigen Leben.

Gegenwärtigkeit der Natur versus Zukunftsorientiertheit des Menschen

Anders als der Mensch haben Tiere diese Zukunftsorientiertheit nicht, haben keinen intrinsischen Entwicklungsdrang. Tiere und die gesamten Naturreiche erfüllen ihr gegenwärtiges Dasein in immer ähnlicher Weise. Sie verändern sich über lange Zeiträume hinweg, hauptsächlich dann, wenn sie sich an eine neue Umwelt anpassen müssen.

Das ist beim Menschen ganz anders. Der Mensch passt sich nicht nur an seine Umwelt an, sondern geht ständig darüber hinaus. Dadurch hat jedes Jahrhundert, ja jedes Jahrzehnt ein anderes Gesicht bekommen. Für mich ist das ein klares Indiz dafür, dass der Mensch, im Gegensatz zu den Naturreichen, ein sich wiederverkörperndes Wesen ist, das aus den Erfahrungen eines vergangenen Lebens lernen darf für ein nächstes und übernächstes Leben (vgl. Entwicklung: Entwicklungsgedanke und Wiederverkörperung).

Deswegen sind für mich biografische Fragen im Alter alles Zukunftsfragen. Sie drehen sich im Grunde alle um das eine Thema:

Was will ich über die Todesschwelle noch mitnehmen als Saat und Keim für die Zukunft?

Mich begeistert diese Perspektive. Ich bin deshalb auch nicht mehr traurig darüber, dass ich vieles nicht mehr verwirklichen kann. Was habe ich in der Jugend alles gedacht, wie ich die Welt verändern möchte! Im Laufe des Lebens wird man jedoch ganz bescheiden. Alles, was sich verwirklichen ließ, ist eine Quelle wachsender Dankbarkeit, und was nicht möglich war, ist eine Quelle berechtigter Hoffnung für die Zukunft.

Vgl. Videobeitrag „Freudvolles Älterwerden – Freiheit durch Verzicht“, vom 13.11.2022