Die menschliche Natur und das Innere der Erde
Was ist mit den Schichten des Erdinneren gemeint?
Welche Kräfte wirken dort?
Wie wirken sie sich auf Mensch und Erde aus?
Vorbemerkung
Auf der Tagung für Krankenpflege am Goetheanum 1996 war ich gebeten worden, den Abschlussvortrag zum Thema „Pflege im Zeitalter der Bewusstseinsseele" zu halten. Dabei kam ich auch auf die für das Bewusstseinsseelenzeitalter so notwendige und charakteristische Auseinandersetzung mit dem Bösen zu sprechen und bezog Rudolf Steiners Ausführungen über das Innere der Erde in diesen Zusammenhang mit ein.
Anschließend wurde ich von verschiedenen Teilnehmern gebeten, diesen Aspekt doch für den Rundbrief1 nochmals zur Darstellung zu bringen, damit man ihn dort nachlesen und der eigenen Verarbeitung besser zugänglich machen könne. Ich komme diesem Wunsch hiermit gerne nach, da mir in den letzten Jahren immer deutlicher geworden ist, wie wichtig die Kenntnis der verschiedenen Schichten der menschlichen Gesamtnatur für ein gedeihliches Miteinander im sozialen Leben ist. Entscheidend für eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist jedoch das Studium der diesbezüglichen Vorträge Rudolf Steiners in dem Vortragszyklus ,,Kosmogonie"2 sowie in einer Reihe anderer Vorträge, die er am Anfang des Jahrhunderts zu Beginn der Arbeit in der Esoterischen Schule gehalten hat.
Gliederung der Natur des Menschen
In seinem Werk ,,De Divisione Naturae" gliedert Scotus Erigena die menschliche Natur so, dass er schildert, wie der Mensch
- seinen physischen Leib dem Mineralreich verdankt,
- seinen lebendigen Organismus dem Pflanzenreich,
- seine Seele dem Tierreich,
- sein Denken den Engeln
- und sein Fühlen den Erzengeln.
Der Mensch verdankt so gesehen nur eine Fähigkeit sich selbst: die Urteilsfähigkeit.
In der Anthroposophie finden wir diese Anschauung des Scotus Erigena noch erweitert und entsprechend umfassender dargestellt, indem Rudolf Steiner nicht nur die Wirkungen aller neun geistigen Hierarchien auf den Menschen darstellt, sondern auch die Wirkungen der neun Schichten des Inneren der Erde, die in die menschliche Natur gleichsam von unten heraufragen und sie mitbestimmen. Denn Übernatur und Unternatur begegnen sich im Menschen und bilden gemeinsam die vollgültige menschliche Gesamtnatur. Und so, wie die Wirksamkeit der Hierarchien sich im menschlichen Leib und im bewussten Seelen- und Geistesleben kundgibt, so gilt dies auch für das Heraufwirken der Kräfte der Unternatur aus dem Inneren der Erde durch die unbewussten Leibestiefen des Menschen hindurch, die sein Seelen- und Geistesleben beeinflussen.
Mensch und Erde im Spannungsfeld von Übernatur und Unternatur
Das alte hermetische Prinzip, unten wie oben, wird bei dieser Betrachtung der menschlichen Natur in seiner vollen Realität sichtbar, wenn man sich das Ineinandergreifen von Oben und Unten als ,,Siegel Salomos" vorstellt, auch hermetisches Siegel genannt, das seit den Zeiten der ägyptisch-chaldäischen Kultur als Symbolum in den medizinischen Mysterien gepflegt wurde.
Dabei handelt es sich um zwei sich überschneidende Dreiecke, von denen eines auf der Basis, eines auf dem Kopf steht, wodurch ein mittlerer Bereich entsteht, wie es auch im Hexagramm anschaulich wird:
Das auf dem Kopf stehende Dreieck wird dem Oben zugeordnet, den geistigen Hierarchien. Es ist zugleich der Machtbereich Luzifers, dessen destruktive Einseitigkeit und Tendenz zur Weltflucht durch Liebe zum Sein ausgeglichen werden muss.
Das auf der Basis stehende Dreieck wird dem Unten, den Schichten des Erdinneren im Sinne der in ihnen wirksamen Kräfte zugeordnet. Es ist zugleich der Machtbereich Ahrimans, dessen lähmende Zerstörungskraft durch den Willen zur Freiheit ausgeglichen werden muss. 3
Die Mitte, wo die beiden Dreiecke sich überschneiden, ist die Erdoberfläche mit ihren Lebensformen und auch der Mensch. Das ist der Machtbereich des Christus, der uns den gesunden Weg der Mitte lehrt: Als ,,Verus merkurius" verbindet er die obere und die untere Welt so, dass die Kräfte von oben und unten in der Mitte im besten Fall im Gleichgewicht gehalten werden und der Mensch so zu sich selbst finden und seine Aufgabe in der Welt bewusst ergreifen kann (vgl. Menschheitsentwicklung: Der göttliche Weltenplan).
Auch im Erdkern ist der Christus seit der Tat auf Golgatha anwesend. Dort wirken Kräfte, die sich ähnlich auswirken wie die menschlichen Organe.
Allgemeines zu den Schichten des Erdinneren
Rudolf Steiner schildert die verschiedenen Schichten des Erdinnern aus seiner okkulten Anschauung heraus so, dass die in diesen Schichten konzentrierten Kräfte den in der höheren menschlichen Natur sich offenbarenden und auch auf der Erde wirksamen geistigen Kräften aus den Hierarchien entgegengesetzt sind.
Das Erdinnere gliedert sich aus geistiger Sicht Rudolf Steiners in neun Schichten, die nicht scharf gegeneinander abgegrenzt sind, sondern fließend ineinander übergehen. Diese nur geistig wahrnehmbare Gliederung darf nicht mit der geophysikalischen Struktur des Erdinneren verwechselt werden. Der Mensch steht mit seinem Seelenleben unter dem Einfluss dieser Schichten, wirkt aber durch seine eigene seelisch-geistige Entwicklung auch veredelnd oder zerstörerisch auf diese zurück. Am Ende der gesamten Erdentwicklung wird der Mensch sich und das Erdinnere vollkommen umgestaltet haben und die ganze Erde durch Arbeit an sich selbst vergeistigt haben.4
Die seelisch-geistige Gestalt des Erdinneren steht mit der rein physischen Erdstruktur in Wechselwirkung, so wie etwa die verschiedenen Schichten des menschlichen Seelenlebens mit bestimmten Körperfunktionen korrespondieren. Doch weder kann man die Schichten des Seelenlebens einfach gleichsetzen mit anatomischen Details des physischen Körpers, noch sollte man Steiners Beschreibung des Erdinneren als „physische Anatomie" der Erde missverstehen.
Da Rudolf Steiner verschiedene Namen und Ausdrücke für die jeweiligen Erdschichten verwendete, wurde in der nachfolgenden Gesamtübersicht das sich in diesen Schichten vollziehende Kräftewirken beschrieben und nicht eine bestimmte der verschiedenen Terminologien Steiners verwendet. Diese möge jeder selber im Original nachlesen, so wie diese Ausführungen überhaupt als Anregung gedacht sind, sich gerade zu dieser Zeit, in der sich die Unternatur aus Abgrundtiefen immer stärker in das alltägliche Bewusstsein heraufdrängt, mit dieser Seite des menschlichen und irdischen Wesens auseinanderzusetzen.
Vgl. Notizen im Nachklang der Internationalen Schwesterntagung vom 9. bis 12. Mai 1996 am Goetheanum
- Rundbrief Nr. 18, Johanni 1996.
- Rudolf Steiner, Kosmogonie, GA 94.
- Vgl. https://anthrowiki.at/Erdinneres: «Dante schildert den Höllenraum als sich nach unten zu immer mehr verengenden Trichter, auf dessen Grund sich – im Erdenzentrum – die Eishölle befindet – ein vielsagendes Bild des immer stärkeren Eingeschlossen- und Eingefrorenseins in den materiellen Kräften. Von hier unten greift Ahriman herauf nach dem Menschengeist und will ihn in die geistigen Gesetzmäßigkeiten des Materiellen Daseins hineinzwingen. Ahriman will den Menschengeist mechanisieren. Durch Ahriman würde das menschliche Ich zersplittert. Diese Splitter will sich Ahriman einverleiben und dadurch der göttlichen Schöpferkraft teilhaftig werden, die als Funke im menschlichen Ich lebt.«
- Vgl. FN 3.