Innere Ruhe als magisches Mittel
Was hilft unruhigen Kindern sich zu konzentrieren?
Was kann der Lehrer tun im Sinne eines guten Vorbildes?
Was besagt das pädagogische Gesetz?
Beruhigende Nachahmung des Pädagogen
Alle Störungsbilder, die Unruhe und Unaufmerksamkeit als Leitsymptom haben, egal wie sie verursacht wurden, können mithilfe eines magischen Mittels bekämpft werden: Mit der Magie der tiefen inneren Ruhe des Lehrers und Erziehers. Der liebevolle Blick auf das Kind aus einer Seele, die im Kern ruhig und aufmerksam ist, eine Haltung, die dem Kind helfen will, die für das Kind auf professionelle Art da und bereit ist, es so zu nehmen, wie es ist, und mit ihm einen Weg zu gehen – diese erzieherische Haltung, die man sich nur durch Selbsterziehung aneignen kann, ist das allerbeste Heilmittel gegen Unruhe (vgl. Erziehung: Erwerb von Konzentration und Besonnenheit). Warum?
Weil das Kind in dieser Ruhe und akzeptierenden Hinwendung ein Vorbild hat, das es wie aufsaugt und nachahmt. Es darf einen reifen Menschen nachahmen, der es ihm ermöglicht, an ihm zu reifen. Es darf jemanden erleben, der zuhört, der das Kind sieht, der nichts von ihm will, sondern der ihm Raum gibt, so zu sein, wie es ist.
Professioneller Dialog mit dem Kind
Jetzt erst kann der professionelle Dialog ansetzen im Sinne eines dialogischen Unterrichtens, das Steiner zu seiner Zeit schon zu beschreiben versuchte, indem er sagte, die Lehrer müssten auf die latenten Fragen ihrer Schüler achten und sie beantworten. Der ganze Waldorfunterricht basiert auf diesem dialogischen Prinzip: Die Schüler fragen, der Lehrer antwortet. Wenn der Lehrer fragt, versucht er herauszufinden, welche Fragen die Schüler haben, was sie brauchen. In einer solchen fragenden, dialogischen Haltung, kann sich das Kind entfalten. Die Voraussetzung dafür ist innere Ruhe.
Die erste Übung aus „Wie erlangt man…“,1 dem Hilfsbuch für jeden Lehrer und Erzieher, der seinen Schülern wirklich weiterhelfen will, handelt von der inneren Ruhe: „Man schaffe sich Augenblicke innerer Ruhe, in denen man versuche, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden.“2 Es genügen zehn Minuten am Tag, in denen man sich mit diesem Buch beschäftigt. Auch wenn man noch keine Übung durchgeführt hat, geht es einem nach der Lektüre schon ein bisschen besser im Umgang mit den Kindern, das wage ich zu behaupten. Denn indem wir dieses Buch lesen, ahmen wir bereits den großen Meister der inneren Ruhe, der Selbstdisziplin, des Selbstmanagements, wie man heute sagt, nach. Wir sollten uns natürlich die Übungen heraussuchen, die in uns genau die Fähigkeiten hervorrufen, die dem Kind fehlen – damit wir sie ihm vorleben können: innere Ruhe, Aufmerksamkeit, Liebe und Respekt für das Kind.
Karmische Verbindung von Lehrer und Schüler
Der karmische Aspekt wird heute in der Schulmedizin insofern auch gesehen, als man merkt, dass es Menschen gibt, von denen sich auch die schwierigsten Kinder etwas sagen lassen. Diese karmisch bedingte Verbundenheit von bestimmten Lehrern und Kindern gibt es natürlich auch in der Waldorfschule. Weshalb es in einer Klassenkonferenz oft auch darum geht herauszufinden, wer den besten Zugang zu einem bestimmten Kind hat.
In der Wittener Waldorfschule versuchten wir in schwierigen Situationen immer, einen Patenlehrer zu finden, der Zugang zu dem betroffenen Schüler hatte und bereit war, sich um seine Belange zu kümmern. Das bedeutete konkret: über ihn zu meditieren, innerlich mit ihm zu leben; jeden Tag wissen zu wollen, wie es ihm geht, auch wenn er nicht immer mit ihm sprechen konnte; ihn zu begleiten, bis er soweit war, sich von sich aus zu verabschieden; nicht loszulassen, verbindlich zu bleiben, ihn mit professioneller selbstloser Liebe zu lieben. Der Lehrer fühlte sich aufgrund einer karmischen Beziehung verantwortlich für das Kind. Das Kind musste sich nicht gut benehmen, sondern der Lehrer bemühte sich um das richtige Verhalten dem Kind gegenüber.
Auch in solchen Fällen gilt das pädagogische Gesetz (vgl. Erziehung: Erziehungseinflüsse und ihre Folgen für die Biografie): Der Pädagoge wirkt vom Ich aus auf das untergeordnete Wesensglied, den Astralleib (vgl. Waldorfpädagogik: Pädagogische Einflussnahme auf die Wesensglieder). Dieser wirkt wiederum auf den Ätherleib und dieser auf den physischen Leib: Das höhere Wesensglied wirkt jeweils auf das niedrigere Wesensglied. Die Botschaften des Kindes werden vom Lehrer verarbeitet und ich-geführt wiederum als Antwort an die Seele des Kindes zurückgegeben.
Vgl. Vortrag am Thementag „Unruhiges Kind“, Nov. 2012
- Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten? GA 10.
- Ebenda, 1. Kapitel.