Kontinuität und Wiederholung im Alltag

Warum sind Kontinuität und Wiederholung gerade für kleine Kinder so wichtig?

Erziehung zu einem gesunden Selbstbewusstsein verlangt Kontinuität. Denn solange das Kleinkind noch nicht über ein abstraktes Erinnerungsvermögen verfügt, d.h. solange es alles, was es nicht sieht, sogleich vergisst, solange ist das kindliche Selbstbewusstsein ganz von den gegenwärtigen Sinneseindrücken abhängig; es muss sein Selbsterleben ständig daran erneuern. Erst wenn es zu denken beginnt, gelingt es ihm, das Selbstbewusstsein aufrecht zu erhalten. Daher ist es so wichtig, dass jedes Kleinkind seine Ecke, seine Gegenstände, sein Bettchen als etwas zu ihm Gehöriges hat, worin es sich immer und immer wieder findet. Es kann sein, dass ein Kind die Mutter stark entbehrt und darunter leidet, beispielsweise dann, wenn die Mutter morgens noch stillt und das Kind danach abgibt. Dann kann es hilfreich sein, neben das Kopfkissen des Kindes eine Milchvorlage aus dem Büstenhalter der Mutter zu legen, die den Geruch der mütterlichen Brust festhält, sodass das Kind die Kontinuität der mütterlichen Geruchswahrnehmung erlebt. Man hat festgestellt, dass Säuglinge schon in den ersten Lebenstagen, wenn sie in Bauchlage den Kopf gerade ein wenig anheben können, das Gesicht sofort auf die Seite drehen, auf der solche mütterlichen „Geruchsartikel” hingelegt wurden - wobei gar keine Reaktion erfolgt, wenn diese Gegenstände von einer anderen Frau stammen. Der Geruchsinn ist also ganz und gar auf die Mutter eingestellt. Manche Mütter tragen dieser Tatsache instinktiv Rechnung: Wenn die Kinder anfangen allein zu schlafen, darf noch eine Wolljacke oder ein anderes Kleidungsstück der Mutter mit ins Bettchen und der Schlaf ist ruhig.

Warum aber bedeutet die Wiederholung des Gleichen eine Verstärkung und Vertiefung des Selbstgefühls?

Warum verleihen die vertraute Umgebung, dasselbe liebe Gesicht, dieselben lachenden Augen, dieselbe warme Hand, derselbe Geruch, derselbe Geschmack Lebenssicherheit?

Dass Säuglingsernährung so langweilig, so wenig „abwechslungsreich“ ist, dass es immer gleich schmeckt, ist gerade das, was Kinder brauchen. Wir Erwachsenen haben diese Eintönigkeit nicht mehr nötig, wir essen gerne jeden Tag etwas anderes. Die Sinne des Säuglings aber verlangen nach der Wiederholung des Gleichen, weil sich das Ich nur über die Sinneserfahrung betätigen und allmählich mit dem Leib verbinden kann (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Begabungen des physischen Leibes).

Intervalle und Selbsterfahrung

Daher verwenden wir im Umgang mit kleinen Kindern auch die wundervollen Quintenklänge, die ganz und gar den Lebenssinn ansprechen und das Ich dazu anfeuern, sich selbst zu erfahren (vgl. Sinnespflege: Die zwölf Sinne). Die Quint ist der Laut des Lebens: Jeder Atemzug bewegt die Lungen im Verhältnis drei zu zwei, im Verhältnis der Quint, so wie wir auch rechts drei und links zwei Lungenlappen haben. Die Quinte ist unter den Intervallen dasjenige, durch das man sich im Körper auf harmonische Weise an der Grenze zwischen der Umwelt und der melancholischen Innenwelt erlebt; sie ist der Klang des heiteren, gesunden Selbstbewusstseins.

Die Terz ist Ausdruck von Melancholie, bringt einen schon ein wenig auf den Weg in das „genüssliche Deprimiertsein“. Und bei der Sext und Septim ist man schon ein wenig am Aussteigen, am Exkarnieren. Die Quintenklänge liegen gerade dazwischen. Wenn wir sie im ersten, zweiten, dritten Lebensjahr immer wieder auf der Leier erklingen lassen und mit Geschichten und Liedchen verbinden, trägt das aufs Innigste zur Stärkung des Selbstbewusstseins, zur Selbsterfahrung, zum „Mitte finden“ der Kinder, bei.

Für Sie selbst wird das Herausfinden, was ein Kind von Zuhause im Sinne der Kontinuität braucht, zu einer objektiven Seelenübung, in der Ihre Sympathien und Antipathien zu Wahrnehmungsorganen für das werden, was das Kind gern hat. Sie sollten nicht meinen, dass das, was Sie selbst als das Schönste betrachten, auch für das Kind das Schönste ist. Es kann durchaus dasselbe sein, muss es aber nicht.

Vgl „Die Würde des kleinen Kindes“, 2. Vortrag, Kongressband Nr. 2, gelbes Heft**