Der Mensch als Offenbarung des Göttlichen

Was hilft die Brücke zu schlagen zwischen Spiritualität und Wissenschaft?

Inwiefern ist der Mensch Gottes Ebenbild?

Rudolf Steiner hat uns insofern eine hilfreiche Brücke gezeigt, als er das Denken als DIE spirituelle Kraft entdeckte, als unser ewiges Leben bereits hier im irdischen Dasein (vgl. Denken: Denken als Brücke zwischen der Sinneswelt und der Welt des Geistigen). Körpergebunden als Wachstums- und Regenerationskraft ist diese Kraft vergänglich, aus dem Körper wieder befreit als Gedankenkraft wird sie zu unserem „ewigen Leben“, das es uns ermöglicht, im Denken mit unseren Gottesbildern, mit den Bildern der Verstorbenen, mit den Bildern höherer Wesen zusammenzuleben (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Körpergebundenes Leben und leibfreies Denken). Alles erarbeiten wir in Gedanken.

Dieses gedankliche Selbstverständnis, diese Möglichkeit, sich etwas in Gedanken zu erarbeiten und am Leben zu prüfen, ob es trägt, ob es tauglich ist, bildet die Brücke zur heutigen Naturwissenschaft, weil auch sie auf dem Denken und der Beobachtung basiert. Wenn man sich diese Gedankenkompetenz bewusst macht als Brücke zwischen Göttlichem und Materiellem, hat man ein wirklich integriertes Menschenbild, das alles umfasst.

Das anthroposophische Menschenbild

Nun zu einem sehr konkreten Brückenschlag zwischen Spiritualität und Wissenschaft: dem Menschen als Gottes Ebenbild. Im Alten Testament heißt es: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde.“1 Das entspricht dem Anthroposophischen Menschenbild (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Die fünf Ebenen des anthroposophischen Menschenbildes), das sich auf die christlichen Grundwerten stützt: Ecce Homo – das ist der Mensch. Jesus spricht von sich ja als vom Menschensohn, vom Sohn des Menschen. Diese Gottebenbildlichkeit zu verstehen, ist ein wichtiges Motiv. Denn wenn man sich die aufrechte Menschengestalt anschaut, zeigt sie heute schon im Bilde, was wir einmal werden können.

• 1. Lebensjahr

Im ersten Lebensjahr stellen sich gesunde Kinder auf ihre eigenen Füße und machen ihre eigenen Schritte. Wie lange dauert es dagegen im Menschenleben, bis der Erwachsene wirklich den Mut hat sich auf eigene Füße zu stellen und seinen eigenen Weg zu gehen! Sich nicht abhängig zu machen von Lob, von Erpressung, von Geld, von allen möglichen Usancen unserer Umwelt, sondern aus sich heraus sich selbst bestimmt (vgl. Angst: Wurzeln und Überwindung der Angst vor Verletzung)! Die kleine aufgerichtete Kindermenschengestalt zeigt bereits im ersten Jahr im physischen Bild, was wir geistig werden können .

• 2. Lebensjahr

Im zweiten Lebensjahr sagt jedes Kind die Wahrheit. Zu lügen erlernen wir erst, wenn wir denken können. Bevor wir mit dem Ich-Sagen bewusst zu reflektieren beginnen, können wir noch nicht lügen. Jeder Mensch hat also ein Jahr in seinem Leben nicht gelogen – das ist wie eine Ressource von Wahrhaftigkeit, die einem keiner nehmen kann, auf die man immer zurückgreifen kann. Das zweijährige Kind zeigt also im Bild, dass der Mensch wahrheitsfähig ist: „Kindermund tut Wahrheit kund“ – manchmal sehr zum Leidwesen der Erwachsenen.

• 3. Lebensjahr

Im 3. Jahr, wenn das Kind zu sich „ich“ sagt, leuchtet die eigene Identität auf, etwas rein Spirituelles, etwas, das man nur denken kann. Das berühmte Ich-bin-ich-Sagen ist der erste selbständige Gedanke, den das Kind fasst. An dieser Reflexion wird ihm sein Dasein bewusst. Damit beginnt die außerkörperliche Reise der freien geistigen Tätigkeit und Selbstbestimmung (vgl. Die ersten drei Jahre: Gehen – Sprechen – Denken: Denken – Selbstbewusstsein – Geisterkenntnis ).

Gestalt und Organe als Abbild des Göttlichen

Der gesunde Körperbau des Menschen zeigt: Er hat den Kopf oben, steht auf eigenen Füßen, hat ein ungebrochenes Rückgrat, die Hände sind frei: Man sieht ihnen nicht an, ob sie schlagen, stechen, kratzen oder beten werden, d.h. man weiß nicht, was ein Mensch im nächsten Augenblick tun wird . Unsere Hände sind Organe der Freiheit, sie brauchen die Bestimmung durch das Denken, das Fühlen, die Initiative. Wenn man die anatomische Bildgestalt der Hände nimmt, taugen sie nur zum Koffertragen, dafür sind sie anatomisch veranlagt. Für alle anderen Tätigkeiten muss der Mensch seine Hände aus der anatomisch vorgegebenen Haltung befreien, um mit den vielen Freiheitsgraden der Gelenke zu tun, was er will. Das bedeutet: Die Veranlagung zu freier geistiger Selbstbestimmung ist den Händen anzusehen.

Jedes Organ bildet eine solche organbezogene Weisheit ab: Das Göttliche offenbart sich so gesehen in der aufrechten Menschengestalt. Wir wissen nur so viel von Gott, wie wir denken können. Alle Menschenbilder, alle Gottesbilder und auch alle Bilder von der Welt basieren auf dem menschlichen Denken. Viele Menschen, die in ihrem Willen fest halten an etwas, das sie noch nicht verstehen, sprechen dann von „glauben“. Wir haben als Menschen heute jedoch die Aufgabe zu verstehen, was wir glauben und auch zu glauben, was wir verstehen (vgl. Anthroposophie: Anthroposophie als Weg zur Wahrheit).

Vgl. Vortrag „Das anthroposophische Menschenbild“, 2014

  1. Altes Testament, 1. Buch Mose 1:27.