Die fünf Ebenen des anthroposophischen Menschenbildes
Was sind die fünf Ebenen des anthroposophischen Menschenbildes?
Inwiefern sind sie jeweils Ausdruck des menschlichen Seins?
Wie kann man sie positiv und negative beeinflussen?
Erkenntnis vom Menschen als Grundlage
Zentrales Anliegen der Anthroposophischen Medizin ist die Erkenntnis vom Menschen als Grundlage aller medizinisch-therapeutischen Interventionen (vgl. Anthroposophie: Leitmotive der Anthroposophie). „Anthropos“ heißt auf Griechisch der Mensch, „sophia“ heißt Wissen, Kunde, Weisheit, Erkenntnis. Das Menschenbild aus der Anthroposophie ist demnach gekennzeichnet von einem weisheitsvollen Blick auf den Menschen, der dessen Vielschichtigkeit Rechnung trägt.
So werden auch die Ursachen für Krankheiten unterschiedlichen Schichten oder Ebenen des Menschen zugeordnet:
- Manche sind durch unzureichende Pflege und schlechte Behandlung des physischen Leibes verursacht.
- Andere sind der Nichtbeachtung der Lebensrhythmen geschuldet.
- Wieder andere haben mit belastenden Beziehungen zu tun.
DIE FÜNF EBENEN DES MENSCHSEINS
Diese unterschiedlichen Daseinsebenen, auf denen wir agieren, jeweils anamnestisch zu erfragen, gehört zum Grundkonzept der anthroposophischen Medizin (vgl. Anthroposophische Medizin: Die fünf Ebenen des Menschseins im medizinischen System). Der Arzt versucht mit Hilfe des Patienten zu ergründen, auf welchen der menschlichen Seins-Ebenen ständige Selbst- bzw. Fremdkränkung vorliegen (vgl. Anthroposophische Medizin: Heilsames Zusammenspiel von Therapeut und Patient).
1. Genetisch-physisch-körperliche Ebene:
Diese Ebene umfasst die Genetik, die Umwelt sowie die Epigenetik. Steiner hat seinerzeit bereits von den Phänomenen der Epigenetik gesprochen, obwohl es das Wort noch gar nicht gab (vgl. Waldorfpädagogik: Pädagogischer Umgang mit den fünf Ebenen des Menschseins). Er betonte dabei, dass das Erbgut wandelbar sei, dass es keine fixe Größe darstelle – und sah auch voraus, dass man das noch herausfinden werde. Das konnte sich zu seiner Zeit, in der man dem genetischen Determinismus huldigte, niemand vorstellen. Er nannte drei Faktoren, die das Erbgut beeinflussen und verändern:
- Immunstimulierung durch Fieber
Wir wissen heute aus der Immunologie, dass die Immunparameter durch Fieber stimuliert werden, dass bestimmte Genbezirke, die vor einem Fieberschub noch geblockt waren, nach dem Fieberschub reagieren (vgl. Anthroposophische Medizin: Notwendiger Paradigmenwechsel in der Medizin).
- Organbildung durch Sinneseindrücke
Zur physischen Ebene gehören auch die Sinne mit den dazugehörigen Sinnesorganen, deren Bedeutung Steiner in der sogenannten Sinneslehre umfassend beschreibt. Er unterscheidet zwölf Sinnesbezirke (vgl. Sinne(spflege): Zwölf Sinnestätigkeiten – Sinnespflege), die wiederum in geistig, seelisch und leiblich orientierte Sinne unterteilt werden. Sie seien hier nur kurz erwähnt:
Geistig orientierte Sinne (vgl. Sinne(spflege): Erkenntnisorientierte Sinne):
- Man kann das Ich eines anderen als Kraftgefüge wahrnehmen über den Ich-Sinn,
- Gedanken über den Gedanken- oder Begriffssinn,
- Worte über den Wort- oder Lautsinn.
- und verfügen über einen Wärmesinn,
Seelisch orientierte Sinne (vgl. Sinne(spflege): Seelenorientierte Sinne):
Wir können hören, sehen, riechen, schmecken
Leiblich orientierte Sinne (vgl. Sinne(spflege): Körperorientierte Sinne):
- Wir verfügen über einen Gleichgewichtssinn,
- einen (Eigen)bewegungssinn,
- einen Lebenssinn
- und einen Tastsinn.
Diese Sinne sind entscheidend an Aufbau und Funktion des menschlichen Körpers beteiligt. Denn über die kindliche Nachahmung wirkt, das sinnlich Wahrgenommene, bis in die Organbildung hinein (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Begabungen des physischen Leibes). Steiner wusste damals noch nichts von den Spiegelneuronen, beschrieb sie aber in ihrer Funktion, indem er sagte, das Kind ahme alles nach und jede Nachahmung stelle eine physiologische Tätigkeit dar, durch die sich die Konstitution des Kindes ändere.
- Individualität als Entscheidungsinstanz
Steiner war zudem fest davon überzeugt – und das wird heute von der Beziehungs- und Bindungsforschung bestätigt – dass die Individualität des Kindes selbst das Erbgut so „komponiert“, wie es für das Leben und die Entwicklung dieses Menschen stimmig ist (vgl. Begabung und Behinderung: Wer spielt das Klavier der Gene?).
Individualität als Dirigent des Orchesters der Gene
Im Jahr 2000 wurde das sogenannte „Human genom projekt“ veröffentlicht, eine 10jährige Arbeit zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Von der Zeitschrift „nature“ gab es einen Sonderband dazu, der die Richtigkeit von Steiners Annahmen aus schulmedizinischer Sicht bestätigte. Dort wurde im Editorial gesagt, dass das Erbgut viel simpler aufgebaut und viel weniger spezifisch sei, als man bisher dachte. Die große Enttäuschung sei jedoch, dass man das Entscheidende nicht gefunden habe: das Regulator-Gen, das für die Gesamtgestalt und für die Form der einzelnen Organe zuständig ist. Dort hieß es so schön: „Die Gene funktionieren wie ein gutes Orchester, nur kennen wir den Dirigenten nicht.“
Steiner sagte seinerzeit, die Individualität des Kindes wäre dieser Dirigent (vgl. Erziehung: Dimensionen der Erziehung). Das wurde auch von der Resilienz- und Salutogenese-Forschung bestätigt: Unabhängig von Erbgut und Milieu hängt es letztlich immer von dem jeweiligen Menschen ab, ob ein ungünstiges Milieu ihm zum Schaden gereicht und er eine frühkindliche Störung entwickelt oder ob er dadurch stärker wird. Alles hängt von seiner mitgebrachten individuellen Kompetenz ab und davon, ob diese im Umfeld auf eine entsprechende Resonanz trifft. Man hat herausgefunden, dass nicht das Milieu oder die Gene die wichtigsten Schutzfaktoren gegen kränkende Einflüsse sind – und damit entscheidend für eine gesunde menschliche Entwicklung –, sondern die tragende Beziehung, die ein Kind zu mindestens einem Menschen aufbauen kann (vgl. Kindsein heute: Resilienz trotz Risiko). Eine solcherart schützende Beziehung wird von Ehrlichkeit, liebevollem Interesse und Respekt vor der Integrität, der Autonomie und den Grenzen des anderen geprägt.
2. Ätherisch-zeitliche Ebene
Die ätherische Ebene betrifft die Zeit und die Prozesse, die in der Zeit ablaufen (vgl. Trauma – Ursachen und Behandlung: Der therapeutische Fünfstern). Es ist nicht egal, wann man etwas macht – es muss alles zu seiner Zeit geschehen. Man spricht in den Zusammenhang auch von Entwicklungsfenstern. Hierher gehört der Begriff der altersentsprechenden Erziehung sowie die Berücksichtigung von Rhythmen wie gesunde Essens- und Schlafenszeiten. All das wird zusammengefasst unter dem Begriff Biorhythmik. Dieses Gebiet wird in der Waldorfpädagogik sehr ernst genommen: Welche Unterrichtsstunden worauf folgen, aber auch das Thema des altersentsprechenden Lehrplans gehören hierher – nicht vom Inhalt her gesehen, den er vermitteln soll, sondern im Sinne einer Lehrplan-Physiologie: (vgl. Waldorfpädagogik: Entwicklungsphasen und Pädagogik im Schulalter):
Für welche körperlich-seelische Erfahrungswelt ist ein Kind mit 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 Jahren empfänglich?
Wann sollte was unterrichtet werden, damit das Kind altersentsprechend körperlich geschickt und seelisch geweckt wird und in ihm seinem Alter gemäße Fragen wachgerufen werden als „Nahrung“, die es in einem bestimmten Lebensalter braucht?
Das ist ein komplexes Gebiet, weshalb es auch den Schularzt braucht, der Lehrer und Eltern im Bereich der primären Prävention dahingehend berät, wie sie die Erziehungsprozesse durch gesundende Zeitabläufe begleiten und unterstützen können.
Lebensrhythmen des Menschen
Rudolf Steiner stellte einen Bezug zwischen den heute bekannten Rhythmen und dem Menschen her:
Das Ich lebt im 24-Stunden-Rhythmus (vgl. Lebensrhythmen: Pflege des Tagesrhythmus),
die Seele im Wochenrhythmus (vgl. Lebensrhythmen: Der Wochenrhythmus): Um etwas seelisch zu verarbeiten, braucht man mindestens eine Woche – das bekommt man nicht an einem Tag hin.
Die Lebensorganisation wird auch Ätherleib genannt und folgt dem 4-Wochen-Rhythmus (vgl. Lebensrhythmen: Der Monatsrhythmus), d.h., wenn man eine schlechte Gewohnheit ablegen und stattdessen eine gute verankern will, braucht man dafür vier Wochen. Gute Gewohnheiten haben einen stabilisierenden Einfluss auf den Ätherleib.
Der Begriff „Ätherleib“ ist ein von Steiner benützter Terminus, der auf das blaue Himmelslicht zurückgeht. Er sagt, alles Leben auf der Erde, wie z.B. die Chlorophyll-Assimilation von Licht, findet unter Einfluss des durchsonnten blauen Himmels der Atmosphäre statt. Sie ist die direkte Energiequelle des gesamten Lebens.
3. Seelisch-astrale Ebene
Die wesentlichen Beziehungs- bzw. seelischen Faktoren sind Ehrlichkeit, liebevolles Interesse, Respekt vor der Autonomie (vgl. Beziehung: Beziehung als Heilquelle). Entscheidend ist dabei jeweils, dass man diese Qualitäten zu fühlen imstande ist. Denn die Seele umfasst primär die Gefühlsebene. Was man nicht fühlt, ist für den Betreffenden nicht real. Interesse wird erst zu Liebe, wenn man den anderen meint und nicht insgeheim etwas für sich selbst haben möchte. Das gilt auch für den Respekt vor der Freiheit, der Autonomie des anderen. Wer sich freilassend geliebt und verstanden, aber auch ehrlich behandelt fühlt, kann mit Goethe sagen: „Ich fühlte mich in Deinen Augen gut.“ Das schrieb er seiner Geliebten.
Die uns anvertrauten Kinder und Patienten sollten sich in unseren Augen gut fühlen und nicht mit distanziertem, gleichgültigem Blick von oben herab angeschaut werden. Es gibt so viel Zweifel, Spott, Zynismus, aber auch so viele Ängste, die eine gesunde Beziehung verstellen und das Gefühlsleben korrumpieren können. Das wieder freizulegen, ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit.
4. Individuelle Ich-Ebene
Das Ich ist das entscheidende Zentrum dieses Menschenbildes. Wir benennen mit „ich“, was wir uns selber zusprechen:
Ein Kind erkennt schon mit drei Jahren: Ich bin.
Ein Neunjähriges fühlt zum ersten Mal die Einsamkeit des Ich-Seins, fühlt sich plötzlich nicht mehr selbstverständlich zur Familie gehörig: Es fühlt zum ersten Mal das Alleinsein, das Ausgesetzt-Sein, die Verwundbarkeit als Ich.
Mit 16 fühlt man erstmals die Verantwortung für das eigene Ich, für das, was man denkt, was man will. Man sagt nicht mehr alles frei heraus, sondern prüft, ob etwas stimmt. Woher weiß ich, dass etwas stimmt? Man fühlt sich plötzlich für sich und das, was man tut, verantwortlich.
Zwischen 20 und 23 – das sind statistische Mittelwerte – beginnt man ernsthaft die eigene Existenz, das eigene Ich selbst zu hinterfragen: Wozu all das? Will ich das überhaupt und wenn ja, warum? Sie suchen nach ihrer wahren Identität und wollen sie in allem selbst bestimmen: spirituell, seelisch, wertemäßig, beziehungsmäßig. Wer diese Themen für sich durcharbeitet, kann dann auch formulieren, was er unter diesem Ich versteht.
Wahrhaft Mensch werden
Aus Sicht der Anthroposophie sind wir Menschen dazu aufgerufen immer menschlicher zu werden, uns als „Werdewesen“ zu begreifen. Der Mensch unterscheidet sich wesentlich von Mineralien, Tieren und Pflanzen, von allem, was die Natur bietet, durch ein Merkmal: durch seine Unvollkommenheit. In der Natur ist alles vollkommen, keines der uns umgebenden Naturwesen könnte schöner oder perfekter sein – es sei denn es ist umweltbedingt geschädigt. In vielen Hochreligionen wurden Tiere aufgrund ihrer Vollkommenheit als Götter verehrt. Der Mensch empfindet sich dagegen unvollkommen: Kein Mensch würde von sich sagen, er wäre vollumfänglich Mensch. Jeder ist sich bewusst, dass er noch menschlicher sein könnte und sollte. Deshalb ist das Credo der Anthroposophie: Wahrhaft Mensch werden zu wollen: Zu lernen, die eigenen Werte zu bestimmen und daraus das eigene Leben menschenwürdig zu gestalten; und so auf die eigene Umwelt zurückzuwirken, dass Leben unterstützt und nicht gekränkt und bedroht wird.
5. Spirituelle Ebene – Quinta Essentia
Paracelsuns nannte diese fünfte Ebene die „Quinta Essentia“ (vgl. Anthroposophische Medizin: Fünf elementare Perspektiven der Medizin). Diese Ebene ist zentral für das Anthroposophische Menschenbild: Unser Denken, Fühlen und Wollen sind nicht körperlicher Natur und auf den Körper beschränkt, sondern können von jedem, der sich nur ein wenig auf sich selbst besinnt, als außerkörperlich erlebt werden.
Kinder erleben ihr Metabewusstsein oder Metagedächtnis zum ersten Mal mit 9 Jahren. Das hängt mit dem genannten Gefühlserlebnis zusammen. Sie sehen sich plötzlich wie von außen und fühlen sich ihrer Familie und ihrem Freundeskreis nicht mehr selbstverständlich zugehörig. Sie fragen plötzlich, warum sie in diesem Zusammenhängen sind. Natürlich reflektieren die Neunjährigen das noch nicht. Aber die 23-Jährigen tun es, sie stellen sich total infrage – und das kann man nur, wenn man sich als „außer sich“, also wie von außen, erleben kann.
Es ist Rudolf Steiners ganz großer Verdienst, das Denken, Fühlen und Wollen als außerkörperliche Kompetenzen entdeckt zu haben:
dass das Gehirn unsere Gedanken, Gefühle und Absichten nicht hervorbringt, sondern nur spiegelt,
dass der Mensch eine gedankliche, gefühlsmäßige, intentionale Aura hat, einen mehr oder weniger „heiligen Schein“ von Gedanken, Gefühlen und Bestrebungen, die tatsächlich außerkörperlich sind.
Darauf möchte ich im Folgenden genauer eingehen.
Drei Entwicklungsgesten und Denken, Fühlen und Wollen
Aus der Embryologie kennen wir drei unterschiedliche evolutive Dynamiken:
die Proliferation, das reine Wachstum,
die Differenzierung, z.B. das Einsprossen der Nerven oder die Differenzierung in männlich und weiblich,
die Integration aller Teile zu einem Gesamtbild.
Sie haben wesentlich mit dem Denken, Fühlen und Wollen zu tun. Steiner sagt:
Gedanken seien umgewandelte, leibfrei gewordene Wachstums- und Regenerationskräfte des Körpers (Proliferation), die dort nicht mehr gebraucht werden. Diese außerkörperliche Gedankenkompetenz ermögliche das geistige Wachstum des Menschen.
Das außerkörperliche Gefühlsvermögen bilde sich aus leibfrei gewordenen, umgewandelten Differenzierungskräften, die den Körper bis zur Pubertät durchgestaltet haben, und nun im Fühlen Polarisierung – Sympathie, Antipathie, Harmonie, Disharmonie, das gesamte Spiel der Gefühle – ermöglichen. Es ist die Grundlage unserer Empathie-Fähigkeit.
Entsprechendes gelte für die Ich-Kompetenz des freien Wollens, das als leibfrei gewordene Integrationskraft die Voraussetzung und Basis für Selbstbestimmung ist. Diese Willenskompetenz lässt uns die eigene Entwicklung im Sinne einer Übereinstimmung von Denken, Fühlen und Handeln selbst in die Hand nehmen.
Dieses real geistig-körperliche Konzept der Doppelnatur des Menschen bildet die Basis des anthroposophischen Menschenbildes. Diese Doppelnatur wird in dem schönen Gedicht von Juan Ramon Jimenez treffend beschrieben:
Ich bin nicht ich.
Ich bin der, der an meiner Seite geht,
ohne dass ich ihn erblicke,
der sanftmütig schweigt, wenn ich rede,
den ich oft suche,
den ich oft vergesse,
der verzeiht, wenn ich hasse,
der umherschweift, wo ich nicht bin,
der aufrecht bleibt, wenn ich sterbe.
Inkarnation…
Als Geste ausgedrückt: Wir Menschen kommen aus einer geistigen Welt, Leben, Seele und Geist verbinden sich bei der Zeugung mit einem physischen Keim und bauen ihn im Zuge der Embryonalentwicklung auf (vgl. Die ersten drei Jahre: Gehen – Sprechen – Denken: Dreischritt der Inkarnation). Nach der Geburt müssen wir uns im Zuge der Inkarnation mit Erbgut und Milieu auseinandersetzen. Im Laufe des Wachsens und Reifens treten die nicht mehr benötigten Wachstumskräfte heraus aus dem Leib und werden zu Gedanken-, Gefühls- und Willenskräften, wodurch man lernen kann, sich geistig selbst zu finden und selbst zu bestimmen. Wir entwickeln ein individuelles Denken, Fühlen und Wollen – individuell deshalb, weil diese Kompetenz den Lebenskräften unseres eigenen Körpers entstammt. Je älter wir werden, desto mehr Kräfte verlassen den Körper (vgl. Entwicklung: Stadien der menschlichen Entwicklung).
… und Exkarnation
Wenn wir sterben, wird auch der letzte Rest an Lebenskräften leibfrei (vgl. Sterben und Tod: Dreifacher Tod): Das spirituelle Kraftgefüge, das den Körper lebenslang unterhalten und zusammengehalten hat, tritt heraus und macht in der geistigen Welt eine Metamorphose durch, verwandelt seinen Seins-Zustand und geht als außerkörperliches Leben, Seele und Geist in die geistige Welt ein, während der Körper ziemlich rasch zerfällt.
Und da wir nie in einem Erdenleben ganz Mensch werden können, geht dieser Prozess selbstverständlich weiter durch wiederholte Erdenleben – aber mit dem klaren Ziel, immer menschlicher zu werden, immer autonomer, immer ich-hafter (vgl. Entwicklung: Entwicklungsgedanke und Wiederverkörperung).
Bernd Rosslenbroich hat in seinem wunderbaren Buch1 nachgewiesen, dass die gesamte Evolution Autonomie fördert, die im Menschen gipfelt, der unausgesetzt an seiner Befreiung arbeitet. Angesichts der vielen Krisen und Kriege spüren wir deutlich, wie unfrei der Menschen noch ist, wie viel Befreiungsarbeit noch vor uns liegt.
Vgl. Vortrag „Das anthroposophische Menschenbild“, 2014
- Bernd Rosslenbroich, On the Origin of Autonomy, A New Look at the Major Transitions in Evolution, Heidelberg, New York, Springer 2014.