Das Blut als Instrument des Ich

Inwiefern kann das Blut als Instrument des Ich bezeichnet werden?

Welche Rolle spielt das Eisen für die Gesundung des Blutes?

Wie verhält sich das Blut zum Physischen und wie zum Ätherischen?

Selbstheilungskräfte aus dem Blut

In Kapitel VII von „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“1 werden die Selbstheilungskräfte nicht mit Blick auf ihre Funktion als körperliche Schutz- und Abwehrmechanismen des Immunsystems geschildert. Vielmehr werden sie als diejenigen Kräfte dargestellt, die dem Blut innewohnen, das den dreigliedrigen Organismus versorgt:

  • einerseits in Form der weißen Blutzellen , die für die körperliche Abwehr verantwortlich sind,
  • insbesondere aber auch in Form der Tätigkeit der roten Blutkörperchen
  • und der übrigen Bestandteile des Blutes.

Das Blut als Ganzes ist als Instrument der Ich-Organisation Träger der Selbstheilungskräfte.

Warum das Blut Eisen braucht

Dieses Thema wird im dritten Vortrag des Ärzte-Kurses von 19202 eingehender erläutert. Dort wird die Frage: ‚Warum braucht das Blut das Eisen?‘ eine Kardinalfrage der ganzen medizinischen Wissenschaft genannt. Rudolf Steiner erläutert:

„Das Blut braucht das Eisen nämlich. [...] Das Blut ist einfach durch seine eigene Wesenheit krank und muß fortwährend kuriert werden durch den Eisenzusatz. Das heißt, wir haben in dem Prozesse, der in unserem Blute sich vollzieht, einen fortwährenden Heilungsprozess in uns tragend. Will der Arzt durch der Natur Examen gehen [ein Ausdruck des Paracelsus], so muss er vor allen Dingen nicht einen schon abnormen Prozeß der Natur betrachten, sondern einen normalen Prozeß. Und der Blutprozeß ist sicher ein normaler, aber er ist zu gleicher Zeit ein solcher, wo fortwährend die Natur selbst heilen muß, wo fortwährend die Natur durch das zugesetzte Mineral, durch das Eisen heilen muss. So daß wir, wenn wir uns graphisch darstellen wollten dasjenige, was mit dem Blute geschieht, sagen müssen: Dasjenige, was das Blut durch seine eigene Konstitution ohne das Eisen hat, ist eine Kurve oder eine Linie die abwärts führt und die ankommen würde zuletzt bei der vollständigen Auflösung des Blutes, während dasjenige was das Eisen im Blute bewirkt, es fortwährend aufwärts führt, es fortwährend heilt. Wir haben in der Tat da einen Prozeß, der ein normaler ist und der zu gleicher Zeit ein solcher ist, der nachgebildet werden muss, wenn wir überhaupt an Heilungsprozesse denken wollen. Da können wir wirklich durch der Natur Examen gehen, denn da sehen wir, wie die Natur Prozesse vollführt, indem sie dasjenige, was außermenschlich ist, das Metall mit seinen Kräften, dem Menschlichen zuführt. Und wir sehen zu gleicher Zeit, wie dasjenige, was im Organismus unbedingt bleiben will, wie das Blut, [...] geheilt werden muß; dasjenige, was aus dem Organismus herausstrebt, wie die Milch, daß das nicht geheilt zu werden braucht, sondern daß das, wenn es Bildekräfte enthält, in gesunder Weise diese Bildekräfte in den anderen Organismus überführen kann. Das ist eine gewisse Polarität, und ich sage: eine gewisse, nicht eine ganze Polarität zwischen dem Blute und der Milch, die aber ins Auge gefasst werden muß, denn man kann daran eben sehr viel studieren.“3

Das Blut in seinem Verhältnis zum Physischen und zum Ätherischen

In den 2020 erschienenen Studienkommentaren zum medizinischen Werk Rudolf Steiners gehen die Herausgeber auch dieser Frage nach und suchen einer Beantwortung näherzukommen, wie diese Passage zu verstehen ist. Sie beziehen dabei auch die vorbereitenden Notizen Rudolf Steiners ein, die inzwischen in der Neuherausgabe zum 100-jährigen Jubiläum des Kurses in diesen integriert worden sind. Genauer notierte sich Steiner in seinen vorbereitenden Notizen: „Das Blut [...]

  • hat abgestoßen die physischen Bildekräfte
  • und wirkt durch die an es gebundenen ätherischen.“4
  • @ Abstoßung physischer Bildekräfte

Unter Abstoßung physischer Bildekräfte im Blut kann zunächst an den Zellkernverlust der Erythrozyten – die immerhin ‚den Hauptbestandteil des Blutes‘ darstellen – gedacht werden. Denn mit der Abstoßung des zellulären Erbguts und der Mitochondrien während des Reifungsprozesses verliert der Erythrozyt insofern seine ‚äußere Bildungsfähigkeit‘, als eine Zellteilung d.h. Fortpflanzung bzw. ein kernvermittelter Stoffwechsel durch diese Abstoßung nicht mehr möglich ist.

  • @ Wirkung der ätherischen Kräfte im Flüssigen

Die Distanzierung des Blutes von den Kräften der physischen Gestaltbildung zeigt sich aber auch in der durchwegs flüssig-viskösen Form des Blutplasmas, die sich in der hohen Verformbarkeit der zellulären Elemente fortsetzt. An den flüssig-beweglichen Aggregatzustand ist zudem die Wirkung der lebendigen Bildekräfte gebunden.

Gerinnung des Blutes durch Berührung mit dem Physischen

Bei einer Berührung des Blutes mit der physischen Außenwelt kommt es bekanntlich unmittelbar zur Gerinnung, ein Phänomen, welches der Physiologe Thomas H. Huxley in dem von Steiner gut studierten Lehrbuch wie folgt anführt:

„Berührung mit nicht lebendem Stoffe beschleunigt die Gerinnung. Daher gerinnt das Blut, welches in eine Schüssel gelassen wird, zuerst da, wo es mit den Wänden der Schüssel in Berührung kommt; und ein Draht, in eine lebende Vene gesteckt, bedeckt sich mit Fibrin, trotzdem vollkommen flüssiges Blut ihn umgibt [...] Andererseits verzögert oder vermindert unmittelbare Berührung mit lebendigem Stoffe die Gerinnung des Blutes. So bleibt Blut sehr lange flüssig in einem Stück Vene, welches an beiden Enden zugebunden ist.“5 [...] Diese Kardinalfrage, „was hinter der Erscheinung des Blutes verborgen liegt“6 , „was als geistige Wesenheit hinter dem Blut liegt“7, durchzieht das gesamte Vortragswerk Steiners bis in kulturelle, mythologische und religiöse Zusammenhänge.8

Blut als äußeres Werkzeug des Ich

In der „Okkulten Physiologie“ lesen wir dazu: „Wie das Urbild zu seiner Offenbarung, zu seinem Abbild [...] müssen wir das Blut als äußeres Werkzeug für das Ich ansehen, für alles, was wir als unser innerstes Seelenzentrum, das Ich, bezeichnen.“9 In seinem Vortrag „Blut ist ein ganz besonderer Saft“ von 1906, in dem Rudolf Steiner an den gleichlautenden Ausspruch des Mephistopheles im Faust anknüpft, heißt es dazu:

„Das Blut erfährt durch [...] Sauerstoffaufnahme eine Erneuerung. Dasjenige Blut, welches das menschliche Innere gleichsam dem hereinströmenden Sauerstoff anbietet, ist eine Art von Giftstoff für den Organismus, eine Art Vernichter und Zerstörer. Dieses blaurote Blut wird umgewandelt durch Aufnahme von Sauerstoff, durch eine Art Verbrennungsprozess, in rotes, lebensschaffendes Blut. Dieses Blut, das in alle Teile des Körpers dringt, in allen Teilen des Körpers die Ernährungsstoffe ablagert, hat die Aufgabe, die Stoffe der Außenwelt unmittelbar in sich aufzunehmen und auf dem kürzesten Wege zur Ernährung des Wesens zu verwenden. Der Mensch und die höheren Tiere haben nötig, erst diese Ernährungsstoffe in das Blut überzuführen, das Blut zu bilden, den Sauerstoff der Luft in das Blut aufzunehmen und den Körper durch das Blut aufzubauen und zu erhalten. [...] Im Blute ist also ein wirklicher Doppelgänger des Menschen vorhanden, der ihn fortwährend begleitet, aus dem er fortwährend seine neuen Kräfte schöpft und an den er dasjenige, was er nicht mehr braucht, abgibt. [...] Wie durch das Gehirn die Außenwelt verinnerlicht wird, so wird durch das Blut diese Innenwelt in dem Leib des Menschen zu einem äußeren Ausdruck umgeschaffen. [...] Im Blute liegt das Prinzip für die Ich-Werdung. Ein Ich kann nur da zum Ausdruck kommen, wo ein Wesen die Bilder, die es von der Außenwelt erzeugt, in sich selbst zu gestalten vermag. Ein Ich-Wesen muß fähig sein, die Außenwelt in sich aufzunehmen und innerhalb seiner selbst wieder zu erzeugen. Hätte der Mensch bloß Gehirn, so könnte er nur Bilder der Außenwelt in sich erzeugen und in sich erleben; er würde dann zu sich nur sagen können: die Außenwelt ist in mir als Spiegelbild noch einmal wiederholt; kann er aber diese Wiederholung der Außenwelt zu einer neuen Gestalt aufbauen, dann ist diese Gestalt nicht mehr bloß die Außenwelt: sie ist ‚Ich‘.“10

Vgl. „Einleitung zu Band 15, Schriften zur Anthroposophischen Medizin, Kritische Edition der Schriften Rudolf Steiners“, frommann-holzboog Verlag, Stuttgart 202511

  1. Rudolf Steiner, Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst, GA 27, Kap. VII.
  2. Rudolf Steiner, Geisteswissenschaft und Medizin, GA 312.
  3. Ebenda S. 71f.
  4. Formatierung K. Offenborn.
  5. Huxley 1910, 75.
  6. Rudolf Steiner, Die Erkenntnis des Übersinnlichen in unserer Zeit und deren Bedeutung für das heutige Leben, GA 55, S. 41.
  7. Ebenda, S. 42.
  8. Heusser u. a. (2020), 423–425.
  9. Rudolf Steiner, Eine okkulte Physiologie, GA 128, S. 39.
  10. Siehe FN 6, S. 43–57.
  11. In Band 15 der SKA findet sich auch das umfangreiche Literatur- und Referenzverzeichnis. Wer den Inhalt weiter vertiefen möchte, kann sich dort darüber informieren.