Zwölf Sinnestätigkeiten – Sinnespflege
Den im Folgenden zusammengestellten 12 Sinnestätigkeiten mit ihren wichtigsten Fördermöglichkeiten bzw. schädigenden Einflüssen liegt die Steiner‘sche Sinneslehre1, 2, 3 zugrunde:
SINNE, DIE VORZUGSWEISE DEN KÖRPER IN DIE SELBSTERFAHRUNG BRINGEN (vgl. Sinne(spflege): Körperorientierte Sinne):
1. DER TASTSINN
Sein Organ (vgl. Sinne(spflege): Grundlegendes zum Tastsinn):
Tastkörperchen und freie Nervenendigungen
Er vermittelt:
Selbsterleben an der Körpergrenze durch Berührung, Geborgenheit durch Körperkontakt, Existenzvertrauen
Hinweise zur Pflege:
Wechsel zwischen Alleinsein und Geborgenheit, zärtlichem Köperkontakt und ruhigem sich selbst Überlassen-Sein: Loslassen-Können ist genauso wichtig wie In-den-Arm-Nehmen.
Insbesondere im Säuglings- und Kleinkindalter:
Spielräume schaffen, wo das Kind tasten, untersuchen, entdecken kann
Schädigende Einflüsse:
Äußere Versorgung ohne wirkliches inneres Annehmen des Kindes
Zu viel Geborgenheit oder zu viel Alleingelassen-Sein
Berühren als Übergriff ohne Respekt vor der leiblich-seelischen Integrität des Kindes
2. DER LEBENSSINN
Sein Organ (vgl. Sinne(spflege): Grundlegendes zum Lebenssinn):
Vegetatives Nervensystem
Er vermittelt:
Behaglichkeit, Harmonie-Erleben, Empfinden, dass die Vorgänge zusammenstimmen
Hinweise zur Pflege:
Rhythmischer Tagesablauf
Zuversichtliche Lebensstimmung
Erleben von richtigem Maß und richtigem Zeitpunkt, d.h. von Ordnungen, die stimmig sind
Freudige Stimmung beim Essen
Schädigende Einflüsse:
Streit, Gewalt, Ängstigung, Hetze, Schreck, Unzufriedenheit, Maßlosigkeit, Nervosität;
Beziehungslosigkeit der Handlungsabläufe zueinander
3. DER EIGENBEWEGUNGSSINN
Sein Organ (vgl. Sinne(spflege): Grundlegendes zum Bewegungssinn):
Die Muskelspindeln
Er vermittelt:
Wahrnehmung der eigenen Bewegung, Freiheitserlebnis und Gefühl der Selbstbeherrschung infolge der Beherrschung des Bewegungsspiels
Hinweise zur Pflege:
Kinder selber tätig werden lassen
Das Kinderzimmer so einrichten, dass alles angefasst werden kann und freies Spiel möglich ist
Sinnvolle Bewegungsabläufe
Schädigende Einflüsse:
Kinder auf Schritt und Tritt mit bestimmten Regeln oder Verboten verfolgen
Fehlende Anregung zum Tätig-Werden durch Passivität oder Abwesenheit von Vorbildern Bewegungsstau vor dem Bildschirm
Umgang mit automatischem Spielzeug, das die Kinder zu Zuschauern macht
4. DER GLEICHGEWICHTSSINN
Sein Organ (vgl. Sinne(spflege): Grundlegendes zum Gleichgewichtssinn):
Bogengangsystem in der Nähe des Innenohrs
Er vermittelt:
Erleben von Gleichgewicht, Ausgleich, Ruhepunkte, Selbstvertrauen
Hinweise zur Pflege:
Bewegungsspiele, Wippen, Stelzenlaufen, Springen, Laufen etc.; Ruhe und Sicherheit im Umgang mit dem Kind
Streben nach innerem Gleichgewicht seitens des Erwachsenen
Schädigende Einflüsse:
Bewegungsarmut
Innere Unruhe, Ruhelosigkeit
Depression, Resignation, Lebensüberdruss
Innere Zerrissenheit
SINNE, DIE VORZUGSWEISE DAS SEELISCHE ERLEBEN AN DER UMWELT IN DIE SELBSTERFAHRUNG BRINGEN (vgl. Sinne(spflege): Seelenorientierte Sinne):
5. DER GERUCHSSINN
Sein Organ:
Riechschleimhaut in der Nasenwurzel
Er vermittelt:
Verbundenheit mit dem Duftstoff
Hinweise zur Pflege:
Differenzierte Geruchserlebnisse aufsuchen an Pflanzen, Nahrungsmitteln, in Stadt und Land
Schädigende Einflüsse:
Schlecht belüftete Räume
Geruchsbelästigungen
Ekelerregende Eindrücke und Verhaltensweisen
6. DER GESCHMACKSSINN
Sein Organ:
Geschmacksknospen in der Zungenschleimhaut
Er vermittelt:
Zusammen mit dem Geruchssinn differenzierte Geschmackskompositionen aus süß, sauer, salzig, bitter
Hinweise zur Pflege:
Eigengeschmack der Nahrungsmittel durch Art der Zubereitung hervortreten lassen
„Geschmackvolle“ Beurteilung von Menschen und Dingen
Ästhetische Gestaltung der Umgebung
Schädigende Einflüsse:
Geschmacksverstärker, künstliche Aromen, „Ketchup-Missbrauch“: Alles schmeckt ähnlich
Geschmacklose Bemerkungen
Taktlosigkeit
Unästhetische Umgebung
7. DER SEHSINN
Sein Organ:
Auge
Er vermittelt:
Licht- und Farberleben
Hinweise zur Pflege:
Aufmerksam machen auf die feinen Farbunterschiede in der Natur
Das Vorbild des eigenen Interesses daran
Harmonische Farbzusammenstellung bei der Bekleidung und Wohnungseinrichtung
Schädigende Einflüsse:
Fixierung durch destruktive oder „dumme“ Bilder
Grelle Farben
Fernseh- und Computer-Abusus
Düstere Stimmung
Interesselosigkeit
Farblos-triste Umgebung
8. DER WÄRMESINN
Sein Organ:
Wärme- und Kälte-Rezeptoren
Er vermittelt:
Wärme- und Kälte-Erleben
Hinweise zur Pflege:
Pflege des Wärmeorganismus durch altersentsprechende Bekleidung
Verbreitung seelischer und geistiger Wärme
Schädigende Einflüsse:
Übertriebene Abhärtungsmaßnahmen
Überheizte Räume
Unzureichende Bekleidung
Kalte, unpersönliche Atmosphäre
Übertriebene oder unechte „Herzlichkeit“
SINNE, DIE DER SEELISCH-GEISTIGEN WAHRNEHMUNG UND SELBSTERFAHRUNG DIENEN (vgl. Sinne(spflege): Erkenntnisorientierte Sinne):
9. DER HÖRSINN
Sein Organ:
Ohren
Er vermittelt:
Tonerlebnisse; Erschließen des seelischen Innenraumes
Hinweise zur Pflege:
Singen
Klassische Musik hören und spielen, insbesondere Bach, Händel, Haydn, Mozart (live, wenn irgend möglich)
Beim Erzählen und Vorlesen von Geschichten die Geschwindigkeit des Sprechens der Aufnahmefähigkeit der Kinder anpassen
Warten, damit innere Bilder, Tongedächtnis und Wortklänge entstehen können
Schädigende Einflüsse:
Akustische Überforderung insbesondere durch Medien (zu laut, zu schnell, zu lang, nicht persönlich-menschlich)
Oberflächliches Daherreden
Unmenschlicher Tonfall
10. DER WORTSINN
Sein Organ:
Bildet sich infolge der Wahrnehmung von Bewegungsabläufen und Sprachwahrnehmungs-Prozessen als Sinn für Wahrnehmung von Ganzheiten
Er vermittelt:
Gestalt- und Physiognomie-Erleben (Gestaltsinn)
Erfassen von Körpersprache und Lautgestaltung eines Wortes
Hinweise zur Pflege:
Warmer, herzlicher Tonfall
Auf Gesten und Körpersprache achten
Inneres Erleben in Übereinstimmung bringen mit den Äußerungen, da sonst unwahre Eindrücke entstehen
Sinn für individuellen Ausdruck haben
Schädigende Einflüsse:
Mangelndes Übereinstimmen von Wort und Handlung
Kühles, neutrales Verhalten, bei dem das Kind nie recht weiß, ob die Eltern fröhlich, traurig, zugewandt oder in Wirklichkeit abwesend sind
Doppelbödiges Reden, bei dem Inneres und Äußeres nicht zur Deckung kommen
11. DER GEDANKENSINN
Sein Organ:
Bildet sich infolge der komplexen Wahrnehmung der Lebensvorgänge, der „Stimmigkeiten“ und „Unstimmigkeiten“ in der Umgebung
Er vermittelt:
Unmittelbares Sinnerfassen eines Gedankenzusammenhanges
Hinweise zur Pflege:
Pflege der Wahrhaftigkeit und Stimmigkeit
In Bezug bringen der Dinge und Vorgänge zueinander
Erleben von Sinnzusammenhängen in der Umgebung
Schädigende Einflüsse:
Sinnlose Handlungen
Verworrenes, unkoordiniertes Denken
Stimmungsabhängiges Verdrehen von Sinnzusammenhängen
12. DER ICH-SINN
Sein Organ:
Bildet sich infolge der Tast- und Berührungswahrnehmung an der eigenen Körpergrenze als Organ zur Gesamtwahrnehmung der Kraftgestalt des anderen
Er vermittelt:
Wesenserfahrung, unmittelbares Erleben und Erkennen des anderen Menschen als „Ich“
Hinweise zur Pflege:
Frühes Ertasten und Erleben der liebevollen Bezugsperson
Liebe der Erwachsenen untereinander und zum Kind
Begegnungs- und Besuchskultur
Den anderen wirklich wahrnehmen (das „Du“ Martin Bubers)
Schädigende Einflüsse:
Desinteresse, Nichtachtung, in Abwesenheit schlecht über andere reden
Medienkonsum und Umgang mit virtuellen Realitäten, bei denen keine reale Wesenserfahrung gemacht werden kann
Materialistische Vorstellungen vom Menschen
Vgl. 1. Kapitel, „Gesundheit durch Erziehung“ , Persephone, Kongressband
- Lindenberg, Christoph: Rudolf Steiner, Themen aus dem Gesamtwerk (TB Nr. 3) - Zur Sinneslehre. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2004
- Mehr über das Zusammenspiel der Sinne unter: (vgl. Sinne(spflege): Leiblich, seelisch und geistig orientierte Sinne) und (vgl. Sinne(spflege): Problem der Vernetztheit der Sinne)
- Siehe auch: (vgl. Sinne(spflege): Allgemeines zum Thema Sinne) und (vgl. Sinne(spflege): Aufgabe der Sinne)