Anspruch und Erwartung im sozialen Miteinander

Welche Rolle spielen Erwartungen und Ansprüche im sozialen Kontext?

Zusammenhang von Anspruch und Kritik

Wer Ansprüche stellt, fühlt sich meist auch berufen, Urteile zu fällen. Menschen, die viel urteilen, meistens kritisch, aber auch lobend, wenn etwas gelingt, was ihren Ansprüchen genügt, können anspruchsvoll genannt werden. Wer keine Ansprüche an seine Mitwelt stellt, sieht auch keinen Grund, Menschen oder Umstände zu loben oder zu kritisieren.

Es ist wichtig, diesen Zusammenhang zu erkennen. Ansprüche an sich selbst und andere zu haben, stimmt kritisch. Was von diesen Ansprüchen abweicht, wird bemäkelt. Wer sich seiner eigenen Anspruchshaltung nicht bewusst ist, kann unter Umständen daran zu kranken beginnen. Oft liegen hier die tieferen Ursachen für depressive Verstimmungen. Denn Ansprüche und Erwartungen führen nicht nur zu einer verschärften Urteilsbildung, sondern auch zu größerer Enttäuschung.

Mithilfe von Therapie kann man der eigenen Anspruchshaltung und den Ursachen dafür auf die Spur kommen und im besten Falle lernen, die Ansprüche auf ein gesundes Maß zu reduzieren, so dass man sich selbst und andere besser in ihrem Sosein akzeptieren kann.

  • Ansprüche entspringen unserem Erkenntnisleben,
  • Erwartungen haben mehr mit unserem Gefühlsleben zu tun.

Wir hoffen auf Erfolg, sehnen uns nach etwas, erwarten Anerkennung oder Berücksichtigung und sind enttäuscht und frustriert, wenn das Erwartete nicht eintrifft, oder aber glücklich und zufrieden, wenn es sich erfüllt.

Unausweichliche Probleme

Wirklich belastend und schwierig sind vor allem Probleme, die andauern und unausweichlich erscheinen, die man nicht einfach aus der Welt schaffen kann, mit denen man zunächst leben muss. So gibt es schwierige Situationen, am Arbeitsplätzen wie auch zu Hause,

  • wenn jemand, der seelisch labil oder unzugänglich ist, aufgrund seiner Stellung großen Einfluss hat,

  • bzw. wenn man ständig auf jemanden Rücksicht nehmen muss und wichtige Dinge nicht zur Ausführung kommen können.

Alle menschlichen Schwächen, die wir mehr oder weniger ausgeprägt auch von uns selber kennen, verursachen im sozialen Zusammenhang Probleme, wenn sie Einfluss auf den Gang der Dinge haben. Letztlich liegen den sozialen Problemen immer ganz bestimmte Fehlleistungen und Unzulänglichkeiten, wie z.B. Engstirnigkeit, zugrunde.

Werden Probleme zum „Dauerbrenner“, kann das sich krankmachend auswirken. Menschen, die es schwer haben, seelische und soziale Probleme zu verarbeiten, verlieren die Fähigkeit der Problemlösung nach und nach auch auf physischer Ebene. Das heißt, die körpereigene Abwehr, die zur Gesunderhaltung notwendig ist, beginnt ebenfalls nachzulassen, und nach 10 oder 15 Jahren können infolge der Schwäche des Immunsystems unterschiedliche Krankheiten auftreten, je nachdem, wo der Organismus ohnehin seine Schwachstelle hat.

Problembewältigung als Entwicklungsaufgabe

Kann man nun lernen, sich auf diese Situation so einstellen, dass man eine positive Veränderung herbeiführen bzw. dazu beitragen kann?

  • Ein Ansatz zur Problembewältigung wäre die Veränderung der äußeren Verhältnisse.
  • Ein zweiter Ansatz wäre die Veränderung der inneren Verhältnisse.

Immer dann, wenn Unfähigkeiten und Schwächen zum Tragen kommen, gibt es viel zu lernen, und auch die Möglichkeit, die mangelnden Fähigkeiten auszubilden. Dieser innere Weg der Veränderung der eigenen Einstellung gegenüber dem Problem ist für alle der schwierigere, aber zugleich auch der fruchtbarere. Man übt dabei, die Schwächen anderer Menschen genauso tolerant mitzutragen, wie man seine eigenen Schwächen mittragen und aushalten muss. So wird man seelisch stärker und sozial kompetenter.

Probleme aktiv zu verarbeiten stärkt auch das Immensestem. Diese Tatsache ist inzwischen von der immunologischen Forschung empirisch bestätigt worden und hat bereits Konsequenzen für die Behandlung von Krankheiten, denen eine Immunschwäche zugrunde liegt wie beispielsweise Krebs oder AIDS. Hier wird der Psychotherapie im Sinne einer Konflikt- bzw. Problembewältigung ein immer wichtigerer Platz im gesamten therapeutischen Konzept eingeräumt.

Vgl. „Elternfragen heute“, 2. Auflage, Kapitel über den Umgang mit sozialen Problemen