Sozialimpuls aus dem Ich

Welche Sozialimpulse erwachsen aus der Ich-Ebene?

Die Ich-Ebene ist Ursprung der Befähigung zu einem Impuls aus der Anthroposophie, auf den viele unter euch bestimmt schon gewartet haben. Es ist der Impuls der Sozialen Dreigliederung, an dem Rudolf Steiner scheiterte, wie er es selbst ausdrückt.

Die Soziale Dreigliederung

Dieser soziale Impuls hat das Anliegen, dass der einzelne Mensch so ich-bewusst und erwachsen wird, dass er sein soziales Verhältnis zur Mitwelt selbst erkennt und eigenaktiv gestalten möchte (vgl. Schicksal und Karma: Ich-Erleben und Schicksalsgestaltung).

Rudolf Steiner sagte, dass er 30 Jahre brauchte, um das Konzept der Sozialen Dreigliederung auszuarbeiten (vgl. Zusammenarbeit: Vergangene, gegenwärtige und zukünftige Gesellschaftsformen), bis er selbst es in seinem vollen Umfang begriff. Dieser Impuls ist reine Ich-Kultur, weswegen er bis heute kaum verstanden wird. Man verwechselt dreigliedrig mit dreiteilig und glaubt, es wäre eine Methode, die man einführen könnte im sozialen Leben. Deshalb verzweifelte Rudolf Steiner nach ein paar Jahren und erklärte den Dreigliederungsimpuls als gescheitert. Niemand hat ihn zu seiner Zeit wirklich verstanden, nicht die Arbeiter und nicht die Intellektuellen. Steiners wirtschaftliche und politische Initiativen scheiterten, nur die Waldorfschule mit ihrer Selbstverwaltung ist davon geblieben (vgl. Zusammenarbeit: Wirtschaftlich-Soziale Aspekte der Zusammenarbeit in einem Kollegium).

Er nennt selbst den Grund: Zum einen hätten die Menschen das Konzept als solches nicht verstanden und zweitens hätten sie die Beispiele für die eigentliche Sache gehalten. Er nannte Beispiele, die veranschaulichen sollten, wie jeder selbst Initiativen und Projekte aus sich heraus mit der entsprechenden Orientierung hinbekommen könnte. Und die Menschen nahmen sie als Rezepte und Vorgaben. Es waren aber nur Beispiele, das ist etwas völlig anderes. Wenn man Beispiele zum Konzept erhebt, kann es nicht klappen. Dann klingt es dogmatisch und funktioniert schlicht nicht.

Es geht um eine gesunde Haltung des Ich der Welt gegenüber in Bezug auf die soziale Prozesssteuerung auf den drei Feldern des Sozialen, der Wirtschaft, dem Rechtsleben und dem Geistesleben (vgl. Gemeinschaft(sbildung): Gemeinschaftsbildung im Wirtschaftsleben). Davon sind wir als Gesellschaft heute noch weit entfernt, was sich in allen drei Bereichen des Sozialen deutlich zeigt.

Heutige pathologische soziale Struktur und Ausrichtung

Rudolf Wirchow, der erste und größte Pathologe, hat ein wunderbares Wort geprägt:

„Politik ist, wenn man sie richtig versteht, Medizin im Großen.“

Die Politik müsste regulierend auf das Geschehen in der Welt einwirken und dafür sorgen, dass der Individualismus und der Egoismus sich nicht hemmungslos austoben. Sie müsste sich darum bemühen, dass im Sozialen und im Wirtschaftlichen genügend Brüderlichkeit herrscht. Die Politik müsste in Form eines regulierenden gesundenden Rechtslebens wie eine Art rhythmisches System zwischen Geist und Stoff, zwischen Geistesleben und Wirtschaftsleben, wirken (vgl. Zusammenarbeit: Vergangene, gegenwärtige und zukünftige Gesellschaftsformen).

In dieser Hinsicht ist die heutige Politik absolut „schwach auf der Brust“, um im Bild zu bleiben. Viele Menschen interessieren sich überhaupt nicht für Politik, haben ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsleben, freuen sich, wenn sie Verkehrssünder sind, spielen mit dem Recht und den Regeln, nehmen sie gar nicht ernst. Das wirklich Schlimme ist aber, dass die Menschen nicht merken, dass das Rechtsleben heutzutage lungen- und herzkrank wird, weil es immer mehr von Angst und Sicherheitsdenken bestimmt wird.

Die Angst hängt mit der Brutalität und Ethikferne der heutigen Wissenschaft zusammen, die alles zerschneidet, technisiert, zergliedert. Die Menschen haben Angst vor dieser Haltung, wollen sich schützen. Die Angst kommt aber auch vom Wirtschaftsegoismus. Man versucht Grenzen zu setzen, Zölle wieder einzuführen, diesen oder jenen Schutzmechanismus wieder zu implementieren.

Folgen eines kranken sozialen Organismus

Die Pathologie ist also, dass im Wirtschaftsleben Freiheit herrscht. Die Gemeinschaft definiert in der Wissenschaft (Geistesleben) als scientific community, was Wissenschaft ist und was nicht. Sie gibt die Regeln vor. Das ist auch im Religiösen so. Das Geistesleben spielt sich immer mehr in Gesinnungsgruppen ab, folgt nicht mehr dem Prinzip individueller Freiheit in der Forschung. Doch genau deswegen explodiert heute das Rechtsleben, es hypertrophiert als direkte Folge der Erkrankung des sozialen Organismus. Das zeigt sich in einer wachsenden Flut an neuen Bestimmungen, an noch mehr Kontrolle, noch mehr Dokumentation.

Weil das Geistes- und das Wirtschaftsleben heute nicht gesund sind, kränkelt auch das Rechtsleben und bietet keinen Raum mehr für wichtige Impulse und ihre rechtliche Absicherung. Stattdessen versucht es die Gesellschaft zu schützen vor Übergriffen seitens der Wissenschaft und der Wirtschaft. Daraus ergibt sich eine überbordende Bürokratie, die dazu führt, dass gerade Aktivitäten und Initiativen, die aus der angewandten Anthroposophie kommen, in Europa entweder gar nicht mehr erlaubt oder immer mehr eingeschränkt werden

Das betrifft Demeter Nahrungsmittel, anthroposophische Arzneimittel, eine freiheitliche Pädagogik und selbstbestimmende Eltern, die ihre Schule selbst aussuchen wollen. In Europa ist es heute verboten, biologisch-dynamische Präparate herzustellen. Außerdem gibt es kein Gesetz, das die anthroposophischen Arzneimittel zulässt und absichert. Demeter Säuglingsnahrung darf nicht mehr hergestellt werden, weil es eine EU-Richtlinie gibt, dass Säuglingsnahrung nach amerikanischem Muster mit künstlichen Vitaminen versetzt werden muss. In den Demeter Richtlinien steht, dass man das Demeter Gütesiegel nicht mehr verwenden darf, wenn man künstliche Vitamine nimmt. Wenn wir also unseren hohen Qualitätsanspruch aufrechterhalten und mit gesundem Wachstum genügend Vitamine auf natürliche Art erhalten wollen, dürften wir keine Säuglingsnahrung mehr herstellen.

Welche Orientierung das soziale Leben gesunden lässt

Im Folgenden möchte ich kurz auf die nötige gesunde Orientierung in diesen Bereichen eingehen.

  • Gesunde Orientierung im Wirtschaftsleben

Eine gesunde Wirtschaft orientiert sich an den Bedürfnissen der beteiligten Menschen.

Wenn sich die Wirtschaft jedoch am maximalen Gewinn für den einzelnen orientiert, und jeder letztlich nur für sich arbeitet und nicht für seine Kunden, Klienten, Geschäftspartner, Mitarbeiter und Kollegen, kann das nicht gutgehen. Das ergibt ein krankes Wirtschaftssystem, in dem die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Heute (2018) besitzen 8 Menschen die Hälfte des Bruttosozialproduktes weltweit. Vor 10 Jahren gab es noch 300 Milliardäre. In ein paar Jahren sind es vielleicht nur noch 2 Menschen – und dann träumt einer von den beiden vom alleinigen Besitz der Hälfte des Menschheitseinkommens. Das ist krankes Denken, krankes Fühlen, krankes Handeln.

Eine Wirtschaft, die auf Nachhaltigkeit setzt, ist bedürfnisorientiert und bemüht sich um einen gesunden Ausgleich. Man entwickelt sich ökonomisch miteinander und füreinander.

  • Gesunde Orientierung im Rechtsleben

Ein gesundes Rechtsleben, zu dem auch die Politik gehört, ist überall da demokratisch, wo alle Menschen von den Folgen betroffen sind. Dazu braucht es eine Kultur des Mitspracherechts, der Information, des Dialogs, der Verständigung, damit jeder weiß, wofür er sich und worüber er entscheidet. Sonst wird man einander und dem Staats- und Sozialwesen nicht wirklich gerecht.

  • Gesunde Orientierung im Geistesleben

Ein gesundes Geistesleben braucht Freiheit und krassen Individualismus. Wenn ein Mensch nicht nach seiner eigenen Façon selig werden darf, fühlt er sich unglücklich.

Heutige pathologische soziale Struktur und Ausrichtung

Die Pathologie ist heute, dass die Freiheit im Wirtschaftsleben herrscht. Die Gemeinschaft definiert in der Wissenschaft (Geistesleben) als sientific community, was Wissenschaft ist und was nicht. Sie gibt die Regeln vor. Das ist auch im Religiösen so. Das Geistesleben spielt sich immer mehr in Gesinnungsgruppen ab, folgt nicht mehr dem Prinzip individueller Freiheit in der Forschung.

Doch genau deswegen explodiert heute das Rechtsleben, es hypertrophiert als direkte Folge der Erkrankung des sozialen Organismus. Das zeigt sich in einer wachsenden Flut an neuen Bestimmungen, an noch mehr Kontrolle, noch mehr Dokumentation.

Ich-Kultur wäre, das Pathologische der heutigen Ausrichtung zu durchschauen und sich für gesündere Strukturen einzusetzen.

Vgl. Vortrag „Der Anthroposophische Sozialimpuls“ in Wien, Mai 2018