Die vier Qualitäten von Denken und Leben

Welche Gedankenqualitäten gibt es?

Wie kann man die Unterschiede erkennen und charakterisieren?

Es gibt nur vier Arten des „normalen“ Denkens – wenn wir den meditativen Bereich außenvorlassen, der außerdem die Imagination, die Inspiration und die Intuition umfasst. Alles, was wir denken, ist eine Kombination aus diesen vier Arten, genauso wie der Körper nur aus den unterschiedlichen Aggregatszuständen des Stofflichen, incl. der Wärme, zusammengesetzt ist. Ich möchte im Folgenden auf die Natur dieser vier Denkarten eingehen und darauf, welche „Form“ und „Substanz“ sie haben.

1. Fest – Gedanken über sinnlich Erfahrbares

Allen Gedanken sinnlich-substantiellen Inhalts liegt eine Sinneserfahrung zugrunde. Es handelt sich dabei um feste Vorstellungen mit klar umrissenen Inhalten aus Sinnes- und Lebenserfahrung. Diese Sinneserfahrung ist „fest“, kann nicht verändert werden. Was man sieht, hört, riecht etwas, sieht wie jemand sich heute kleidet, wie die Frisur aussieht, hört wie die Stimme in einem bestimmten Moment klingt – all das ist, wie es wahrgenommen wurde. Wenn man es verändert, macht der Beobachter eine neue Wahrnehmung, die als solche unveränderlich ist. Der Sinneseindruck selbst kann nicht verändert werden.

2. Flüssig – abstrakte Begriffe

Dem flüssigen Element kommt man auf die Spur, wenn man sich auf Gedanken konzentriert, die nichts mit Sinneswahrnehmungen zu tun haben, auf Begriffe. Diese sind bildlos, als solche nicht „vorstellbar", obwohl man sich natürlich eine bildhafte Vorstellung von einem Begriff machen kann. Zum Beispiel ist der Begriff „Blume" nirgendwo als „die Blume schlechthin", als das „Prinzip Blume“ sichtbar. Vielmehr gibt es nur Abertausende von ganz bestimmten Blumen, die vorstellbar sind. Das normale Denken basiert auf der Verwendung von Begriffen, um Vorstellungen zu bilden. Dabei nehmen wir den „flüssigen Bestandteil“ des Denkens, die Begriffe, jedoch meist nicht wahr, weil wir es gewöhnt sind bei den sinnlichen Inhalten unserer Vorstellungen Halt zu machen.

3. Luftig – plötzliche Einfälle

Das luftige Element hat eine vollkommen andere Dynamik, benützt aber das „Material“, das uns zur Verfügung steht: die Begriffe und Vorstellungen. Obwohl die Wesensglieder über Zeit und Raum hinausgehen, können sie nur auf das zugreifen, was in Zeit und Raum vorhanden ist. Es handelt sich um das luftige Element des Denkens, wenn plötzlich eine „gute Idee“ aufblitzt, man einen Einfall hat, der wie ein Windhauch ankommt und auch rasch wieder verschwinden kann. „Der Geist weht, wo er will“1, heißt es im Evangelium.

Das Luftige ist sehr individuell in seinem Auftreten: Es gibt Menschen, die ihr Leben lang keine gute Idee haben. Ich kenne andererseits Menschen, die zu Veranstaltungen oder gesellschaftlichen Anlässen eingeladen werden, nur weil sie so viele gute Einfälle haben. Zwei oder drei von ihnen an einem Ort zu versammeln, kann sehr inspirierend sein.

Meine Erfahrung mit Einfällen ist, dass ich sie allzu schnell vergesse. Ein guter Einfall erfüllt mich so sehr, dass ich immer denke, ich müsste ihn nicht aufschreiben, weil er so wunderbar ist, dass ich ihn niemals mehr vergessen werde. Im nächsten Moment habe ich ihn jedoch vergessen. Das ist die luftige Dynamik: Etwas kommt und geht, rein und raus. Es verflüchtigt sich, auch wenn es noch so konzentriert wirkt.

Nur zur Differenzierung:

Eine Intuition kann zwar auch in Form von Gedanken- oder Erinnerungsbildern auftreten oder auch als plötzliche Vorstellung, ist aber grundsätzlich etwas anderes als ein Einfall. Jemand, der vorhat sich umzubringen, tut es wahrscheinlich nicht, wenn im letzten Moment das Bild eines geliebten Menschen auftaucht. Plötzlich tritt etwas aus unserem gesamten Gedankenpool, aus dem, was man sich bereits angeeignet hat, vor das innere Auge. Eine Intuition kommt nicht von außen herein, sie bildet sich aus dem, was man bereits hat. Sie hat deshalb eine andere Qualität als ein Einfall, der aus dem ohne Willensbeeinflussung stattfindenden freien Gedankenfluss auftaucht. Auf Intuitionen kann man sich willentlich vorbereiten – die Intuition ist deshalb der Willensaspekt des Denkens.

4. Wärme – Ideale

Wärme im Denken hat mit Idealen zu tun. Unabhängig davon, welche Ideale man hat, ihnen allen gemeinsam ist die Wärmequalität, die das ganze Seelen- und Geistesleben erwärmt und anregt. Ideale sind Gedanken, deren Sinn paradoxerweise nicht mehr im Bereich des Denkens selbst liegt, sondern in dem Willen, sie zu realisieren. Nur dadurch werden es tatsächlich Ideale (vgl. Ideale: Die besondere Natur der Ideale). Daher kann man an ihnen die spirituelle Natur des Denkens am besten erkennen. Denn der Mensch wird zu dem, wonach er idealistisch strebt. Er verwandelt sich und seine Umwelt vermöge seiner Ideale. Sie – obgleich oberflächlich gesehen „nur" Gedanken – erweisen sich als das Leben und die Arbeit beherrschende geistige Kräfte (vgl. Ideale: Ideale als Kraftquelle).

Man braucht nicht viele Ideale: Wenn man nur ein oder zwei Ideale im Leben hat, werfen sie Licht und Wärme auf das ganze Leben, so wie Licht und Wärme ein Zentrum haben, von dem sie ausstrahlen.

Alle Gedanken, so intelligent sie auch sein mögen, setzen sich aus diesen vier Elementen zusammen.

Zeitliche Dimension der vier Denkarten

Zeitlich gesehen können Vorstellungen veralten. Was heute sichtbar und damit vorstellbar war, kann morgen schon verschwinden oder als Irrtum erkannt sein. Hingegen können Begriffe nicht veralten. Sie machen vielmehr die gedankenschöpferische Tätigkeit in der Gegenwart aus, in der immer wieder eine neue begriffliche Verarbeitung des Wahrgenommenen und Vorgestellten stattfindet.

Neues, Zukünftiges, Werdendes hingegen kommt erst durch Ideen und Ideale in das Denken herein. Das Gedankenleben umfasst und integriert somit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es entspricht der Zeitstruktur lebendiger Wesen. Denn ihre Art zu werden und zu vergehen, zu sterben und geboren zu werden, macht das Fundament der Lebensgesetzlichkeit aus.

Vgl. Ausführungen in einer Arbeitsgruppe an der JK Sept. 2007

  1. Joh. 3, 8: „Der Wind weht wo er will. Du hörst sein Sausen, weißt aber nicht woher er kommt und wohin er geht. So ist jeder, der aus dem Geist geboren ist.“