Erziehung zur Weltzugewandtheit

Unsere Welt braucht engagierte, am Zeitgeschehen interessierte, weltzugewandte Menschen, die sich nicht scheuen, sich für das Wohl der Erde und der Menschen einzusetzen. Voraussetzung für das Gelingen einer Erziehung zur Weltzugewandtheit ist, dass wir das Gedanken-, Gefühls- und Willensleben der Kinder in der Schule so erziehen, dass der körpereigene Egoismus möglichst unbewusst bleibt (vgl. Waldorfpädagogik: Erziehung zur Selbstlosigkeit durch Waldorfpädagogik). Das erfordert in jedem Jahrsiebt eine andere Herangehensweise, einen anderen Schwerpunkt.

• Denken und Welt – 1. Jahrsiebt

Wie kann es gelingt, dass Sinne und Denken sich an die Umwelt anschließen?

Im 1.Jahrsiebt ist es entscheidend, dass der körpereigene Egoismus durch die Sinneserziehung unbewusst bleiben kann. Auch wenn Kinder ständig „haben“, „haben“ sagen und alles in den Mund stecken, also eine unglaublich narzisstische Daseinsform leben, sind sie trotzdem mit ihrem Bewusstsein in ihrer Sinnesoffenheit ganz bei der Welt. Sie ahmen jedoch die Verdauung nach, den Leibaufbau: alles nehmen und reinholen, alles haben wollen. Die Sinne verbinden das Kind mit der Welt und heilen den Egoismus (vgl. Sinne(spflege): Aufgabe der Sinne).

Als eine Art ästhetische Erziehung im 1. Jahrsiebt sollten viele Märchen und Geschichten erzählt werden, die das Denken des Kindes zur Welt hinlenken. Das Kind sollte den Freiraum bekommen, Dinge zu untersuchen und nicht nur vorm Bildschirm sitzen und mit sich und „der Kiste“ beschäftigt sein (vgl. Wille(nsschulung): Motivation und Willenserziehung).

• Gefühl und Welt – 2. Jahrsiebt

Wie gelingt es Weltinteresse zu wecken?

Dazu möchte ich ein Beispiel nennen. Mein schönstes Erlebnis in Witten war ein Elternabend, auf dem eine Mutter mich ansprach, um mir etwas zu erzählen, was mich freuen würde: „Mein Sohn hat gerade die griechisch-römische Epoche in der 5. Klasse. Er erzählte mir mittags immer das Neueste von Cäsar. Vor ein paar Tagen hat er ohne Gruß, ohne ein Wort, seinen Schulranzen in die Ecke geschmissen und nur im Vorbeigehen verzweifelt gerufen: Mama, Cäsar ist tot!“ Er war völlig mitgenommen, weil sein Held auf so bestialische Art ermordet worden war.

Das ist ein Beispiel dafür, dass der Lehrer durch seine wesenhafte Schilderung die Sympathien und Antipathien seiner Schüler, die sich im Laufe der Geschichte entwickeln, so mitnimmt, dass sie gar nicht erst auf die eigene Befindlichkeit und darauf, wie doof die Schule ist, abzielen, sondern sich dem Wesentlichen zuwenden: den Wesen und Vorgängen. Auf diese Weise bildet sich ein sittliches Urteil: Cäsar ist gut aufgrund seines Mutes, weil er bestimmte Dinge in die Welt gebracht hat, weil er einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung von Europa geleistet hat. Für all das kann man Sympathie empfinden und für denjenigen, der einen anderen umbringt, eben Antipathie. Das Gute bzw. das Böse muss so geschildert werden, dass das Kind dafür Sympathie bzw. Antipathie aufbringt.

Unterscheiden zwischen Menschen und Handlungen

Dabei geht es immer um die Handlungen und nicht um die Menschen. Das ist ganz wichtig. Brutus war ja auch ein Mensch, der weiterlebte, der auch viel Gutes getan hat, der aber an dieser Stelle dachte, man müsse beim Alten bleiben und nichts Neues anzetteln, bzw. man müsse die Macht begrenzen und nicht das Cäsarentum fördern. Bei der Sympathie- und Antipathie-Erziehung ist es ganz entscheidend, dass man sie auf Wirklichkeiten, Eigenschaften, Qualitäten lenkt, und nicht dazu benützt, Menschen und ihre Taten in Bausch und Bogen mit einem vernichtenden Urteil zu belegen. Die feine Trennlinie wird über das Wie bestimmt.

Wenn das gelingt, entwickelt sich ein Seelen- und Gefühlsleben, das nicht egoistisch durchtränkt, sondern weltorientiert ist. Es ist schwierig, Weltinteresse zu wecken – das gelingt nur über Emotionen und darüber, dass der Lehrer selbst Interesse an der Welt hat und dass er die Kinder über seine Liebe, seine Begeisterung, seine Freude, sein Interesse, seine Trauer und seinen Frust wirklich mitnehmen kann, hin zur Welt. Der Lehrer als geliebte Autorität ist die Brücke und verkörpert beides, lebt beides vor, Sympathie und Antipathie (vgl. Waldorfpädagogik: Lehrertugenden und Professionalität). Er hat dieses und jenes vorbildliche Urteil, weshalb das Kind es riskieren kann, ihn zu lieben.

• Wille und Welt – 3. Jahrsiebt

Inwiefern hilft Idealismus im 3. Jahrsiebt und wie äußert er sich?

In dieser Phase ist Idealismus gefragt. Der Heranwachsende weiß: Ich will etwas werden! Gedanken werden zu Führern des Willens, geben ihm Orientierung. Wenn die Gedanken weltbezogen sind, ist der dritte Schritt in der Überwindung des Egoismus gelungen. Dann macht der Jugendliche dies und jenes nicht nur um der eigenen Karriere und des eigenen Vorteils willen. Wer gelernt hat, aus Liebe zur Sache zu lernen, qualifiziert sich nun auch aus Liebe zur Welt und nicht, um vor dem Lehrer gut dazustehen: Er will etwas Sinnvolles tun und will etwas bewegen. Dieser Einstellung liegt ein starkes Selbst zugrunde, dem es gelingt, mit die eigene Angst zu überwinden.

Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013