Tieferer Sinn der Krippenarbeit

Was ist zu tun, um das oberste Ziel, die Entwicklung von mehr Menschlichkeit, zu erreichen?

Wie setzt man dieses Ideal in die Praxis um?

Leitbild der Krippenarbeit hinterfragen

Zur Beantwortung dieser Fragen, muss das Leitbild der Krippenarbeit, dem Menschenwesen geistig, seelisch und körperlich zur Entwicklung zu verhelfen, im Detail hinterfragt werden. Dazu möchte ich einige Gesichtspunkte nennen.

Der Sinn der Krippenerziehung kann nicht nur darin bestehen, Kinder möglichst gut aufzubewahren, damit ihnen nichts passiert und sie in etwa bekommen, was sie brauchen, bis sie wieder den Eltern übergeben werden. Der eigentliche tiefere Sinn unserer Arbeit wird u.a. deutlich, wenn wir beobachten, wie die Computer-Industrie diesen größten aller Märkte, den Markt „kleines Kind“, für sich zu erobern sucht. In den USA gibt es bereits eine Software für drei Monate alte Babys; sobald der Blick Gegenstände zu fixieren beginnt, fängt das Computer-Training an.

Dieser Prozess ist schon so weit fortgeschritten, dass wir uns bewusst dafür einsetzen müssen, eine maschinen- und computergeschützte Kindheit zu erhalten bzw. ganz neu zu schaffen. Da diese Entwicklung in vielen Haushalten nicht mehr zu stoppen ist, müssen wir die heiligen Stunden, in denen die Kinder bei uns in der professionell geführten Kinderkrippe sind, dazu nützen, ihnen das zu geben, was ihnen später hilft, mit dieser Technik-Welt konstruktiv umzugehen.

Geistiges Gegenstück zu Materiellem finden

Die Geisteswissenschaft der Anthroposophie ist zum Ausgleich des Materialismus begründet worden. Der Materialismus wissenschaftlicher Prägung engagiert sich weltweit, religiöse Systeme früherer Zeit auszuhöhlen und lächerlich zu machen.

Die Anthroposophie sieht sich damit vor einer schwierigen Aufgabe: Sie muss auf der einen Seite dazu beitragen, dass die religiösen Systeme wieder verstanden werden und Religion authentisch ausgeübt werden kann; überall, wo ein religiöses Bestreben vorhanden ist, bei Hindus, Moslems und Buddhisten ebenso wie bei den verschiedenen christlichen Bekenntnissen, möchte Anthroposophie helfen, eine Brücke von der Religion zur Naturwissenschaft zu schlagen, um dadurch das Göttliche wieder in das moderne wissenschaftliche Bewusstsein zu integrieren. Auf der anderen Seite hat diese Art der Geisteswissenschaft die Aufgabe, zu jedem materialistischen Naturgedanken das geistige Gegenstück zu finden.

Innere Wahrheit von Naturvorgängen erfassen

Wenn Sie z.B. irgendwo Licht anschalten, kann man das Aufleuchten unter ganz materialistischen Aspekten als ein elektromagnetisches Phänomen erklären.

Wie aber erlebe ich als Mensch das Licht?

Was ist Licht seinem Wesen nach?

Wenn Licht aufleuchtet, erscheinen die Dinge der Welt sofort in Zusammenhang. Und wenn ich die Augen schließe, wird es innerlich hell, weil mein Denken Lichtstruktur hat (vgl. Gedankenkraft: Gedanken als Brücke zur Geisterfahrung). Ein Gedanke ist Licht; wenn wir etwas verstehen, „geht uns ein Licht auf“. Wenn ich etwas mit liebevollem Interesse im Tageslicht betrachte, erlebe ich die Göttlichkeit meiner Seele – dann erstrahlt meine Menschlichkeit, das Höhere in mir. Inneres und äußeres Licht kommen zusammen.

Glauben Sie bitte nicht, es wäre für die kleinen Kinder, die Sie betreuen, gleichgültig, welches Verständnis von Licht Sie haben, wenn Sie morgens den Lichtschalter betätigen; ob Sie gar nichts oder an Elektronen oder elektrische Leitungen denken oder ob Sie geistig-seelisch-leiblich wissen, was Sie tun, wenn Sie den Raum äußerlich erhellen. Erst wenn Sie in dem Augenblick, in dem Sie äußerlich das Licht anknipsen, auch innerlich in sich selbst Licht entzünden, sind Sie wahrhaftig menschlich. Ob wir wirklich zu Wahrheit, Schönheit und Güte erziehen können, hängt auch davon ab, ob wir die Wahrheit, das wahre Wesen des Lichts, erkennen (vgl. Ideale: Die besondere Natur der Ideale).

Pädagogischer Umgang mit dem Wesen des Wassers

Was ist denn die Wahrheit des Wassers?

Diese Frage sollten wir uns stellen, wenn wir das Kind baden. Äußerlich betrachtet ist Wasser eine interessante chemische Substanz, die die Fähigkeit hat, unglaublich viele Stoffe aufzulösen und zwischen ihnen zu vermitteln.

Was aber ist Wasser seelisch-moralisch gesehen?

Warum heißt es im Evangelium, dass das Wasser, das vom Engel bewegt wird, heilende Kräfte in sich aufnimmt?

Was hat das Wasser mit dem Engel zu tun?

Warum ist Wasser die Voraussetzung allen Lebens?

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, die Amöbe. Eine Amöbe ist ein sehr intelligenter Einzeller, mit einer dünnen Haut.

Was macht nun dieses Tierchen, wenn die Pfütze, in der es sich ernährt, oder die Blumenvase, in der es sich entwickelt hat, austrocknet?

Es wird zu „Staub“. Es bildet eine feste Hülle und schützt seinen Kern; zum Schluss ist diese Hülle so fest, dass kein Wasser mehr verdunsten kann und so der letzte Rest von Wasser bewahrt wird. Dann wartet die Amöbe auf bessere Zeiten. Sie kann z.B. mit dem Kehricht in den Wind gelangen, kann mit dem Wind in die Sahara wehen – sie sind wirklich international, diese Amöben – kann in einem Flugzeug um die Welt jetten, bis sie einmal im Regen wieder auf den Boden tröpfelt. Sobald genügend Wasser vorhanden ist, schwillt sie wieder an und lebt weiter, nachdem sie lange Zeit wie tot war und fast keine Lebensprozesse in ihr stattgefunden haben; sie war jedoch nur optimal konserviert.

Alles kann also vorhanden sein, das genetische Programm, die Enzyme, die Substanzen, sogar Nahrungsstoffe, wenn aber das Entscheidende, das Wasser, fehlt, das den Austausch vermittelt, kann sich kein Leben entfalten. Wenn Sie einmal alles zusammennehmen, was Sie vom Wasser wissen, dann sehen Sie: Es ist der Inbegriff von „Dienstleistung“. Die moralische Eigenschaft, immer und überall zur Verfügung zu stehen, wo man gebraucht wird, hat in dieser allumfassenden Form nur das Wasser. Damit ist es der Inbegriff von Selbstlosigkeit und man kann verstehen, dass die Engel so viel mit Wasser zu tun haben. Denn die Engel sind wie das Wasser: Sie begleiten uns durch Geburten und Tode, stehen immer selbstlos zur Verfügung, reden uns aber nicht in unsere Freiheit hinein (vgl. Gedankenkraft: Engel und Gedankenleben).

Innere Wahrheit des Äußeren erleben

Wenn wir uns nun beim Baden eines Säuglings bewusst sind, was wir tun, wenn wir wahr und ehrlich sind und die Wahrheit des Wassers in uns lebt, baden wir das Kind in Engel-Substanz. Dann kann es physisch erleben, was den Schutzengel geistig ausmacht: Reinheit, Zartheit, Durchsichtigkeit, Klarheit, Sauberkeit, Moralität, Regeneration, Heilung, Trost, Erfrischung.

Es ist also wichtig, dass wir uns als Krippenerzieher bemühen in allen Einzelheiten des täglichen Lebens die innere Wahrheit der äußeren materiellen Vorgänge zu erleben. Angesichts dieser hohen Anforderung kann man verstehen, warum Rudolf Steiner sagte, in der Oberstufe der Schule, bei den Jugendlichen, könnten ruhig junge Akademiker unterrichten, aber im Kindergarten und in der Kinderkrippe sollten ältere, lebenserfahrene, moralisch gebildete Persönlichkeiten arbeiten.

Nun sind es gerade junge Leute, die sich zum Beruf des Kindergärtners oder Krippenerziehers besonders hingezogen fühlen; es ist ein ausgesprochener Jugendberuf. Da ist es besonders wichtig, dass man gerade für und mit diesen jungen Menschen gründlich an den altersweisen Eigenschaften und Einsichten arbeitet.

Vgl. „Die Würde des kleinen Kindes“, 1. Vortrag, Kongressband Nr. 2, gelbes Heft