Konfliktlösung durch Streitschlichten
Wie lassen sich Konflikte an Schulen lösen?
Welche Rolle spielen Streitschlichter dabei?
Welche Qualitäten sind dafür erforderlich?
Maßnahmen gegen Gewalt an Schulen
Die Schule der Selbstlosigkeit kann man nur absolvieren, wenn man sich dafür die schwierigsten Menschen und Situationen aussucht. Diese sind an Schulen gegeben, wenn es zum Beispiel um Mobbing geht. Was „Mobbing“ bedeutet, weiß heute fast jeder. Es gibt eine Fülle von Artikeln und Beiträgen im Internet über Gewalt an Schulen.
Heutzutage gibt es diverse Trainingsmethoden, nach denen man Streitschlichter ausbildet. Dafür sind selbst die Lehrer oft nicht ausreichend ausgebildet. Doch sind sie sich einig, dass Schüler am besten dafür prädestiniert sind. Deshalb werden nicht nur Lehrer, sondern auch Schüler darin geschult, Streitschlichter zu werden. Das ist eine großartige Entwicklung.
Oft werden dazu Experten wie z.B. geschulte Mediatoren herangezogen. Wenn diese sich mit einem Kreis von Schülern zusammensetzen und ihnen das Streitschlichten beibringen, erleben die Schüler diese Erwachsenen in ihrer Selbstschulung der Selbstlosigkeit. Denn genau das müssen sie vermitteln – etwa mit den folgenden Worten: „Wenn sich zwei streiten, dürft ihr euch nicht reinziehen lassen. Ihr solltet in der Lage sein, euch die Konfliktsituation ruhig anzuschauen und die Übersicht zu behalten, ohne Partei zu ergreifen. Je besser das gelingt, umso besser, sprich: objektiver, kann man sehen, was die anderen machen. Man muss beiden gerecht werden. Denn in einem Streit hat nie nur einer, sondern jeder ein bisschen Recht.“ Wenn man als Kind diese Art von Streitkultur mitbekommt, dient einem das fürs ganze Leben.
Konflikte betreffen alle
Der ausbildende Erwachsene muss sich als neutraler, „selbstloser“ Begleiter zeigen. Zumindest muss er es dann sein, wenn er dem Kind beibringt, wie man zum Streitschlichter wird. Die Schüler sind oft so erfüllt und stolz über ihre Aufgabe, dass sie es richtig gut machen.
Eigentlich müsste man Schüler klassenweise zu Streitschlichtern ausbilden. So wie wir erste Hilfe lehren in der 10. Klasse, müssten wir auch eine Streitschlichter-Epoche einführen, in der die ganze Klasse darüber aufgeklärt wird. Im Grunde geht es um eine neue Streitkultur, einen Umgang mit Konflikten untereinander. Jeder hat schon einmal erlebt, wo Streit hinführt. Ich halte deshalb das Konzept, dass man an Schulen ganz offen und frei darüber redet, nach wie vor für das Beste.
- Verstehen von und Umgang mit Gewaltbereitschaft
Was führt zu Gewaltbereitschaft im Menschen?
Wodurch wird sie ausgelöst?
Wie kann man dem gewaltbereiten Gegenüber mit Verständnis begegnen?
Wer intervenieren will, muss die auslösenden Mechanismen hinter einem Konflikt verstehen. Wir müssen lernen, das gewaltbereite Potential umzulenken und kulturbildend zu nutzen. Denn jedes zehnte Kind ist heute von Mobbing betroffen. Das Positive an dieser schrecklichen Tatsache ist, dass wir sehr früh im Leben erkennen dürfen, dass wir es später so nicht machen wollen. Im besten Falle entsteht dadurch eine Art brüderliche Gesinnung im Klassenverband. Die Schüler begreifen, dass es nicht darum gehen kann, wer hier der/die Beste und Schönste ist oder wer die neueste Markenkleidung und das neueste iPhone hat. Das ist es gerade nicht, was in der Schule zählen sollte.
- Pflegen einer geschwisterlichen Gesinnung
Worauf es ankommt – auch im Sinne einer Prophylaxe – ist die Pflege einer geschwisterlichen Gesinnung. Um nur ein Beispiel zu nennen:
Wer wagt es, seine Markenklamotten an Flüchtlinge zu verschenken und sich selbst mit alten Klamotten zu begnügen?
Und wer traut sich damit in die Schule?
Wenn man diese Dinge in der Schule beim Namen nennt, wird die Weiche bereits in eine andere Richtung gestellt, selbst wenn nicht alle mitmachen. Es geht um das Bewusstsein für solche Themen und die Bereitschaft, damit zu experimentieren. Sich nicht über derlei zu definieren.
Wir waren 46 Schüler in einer riesigen Waldorfklasse, da war Mobbing natürlich an der Tagesordnung, aber auf eine sublime Art: mit unaufhörlichen Sticheleien, mit abfälligen Bemerkungen, mit Naserümpfen, damit, jemanden zu übersehen, gezielt zu lachen, jemanden bloßzustellen. Oft haben Schüler an der Tafel geheult, weil sie etwas nicht konnten. Selbst die Lehrer waren beteiligt daran, vor allem in der Oberstufe. Manchmal wurde eine Strichliste geführt, wie oft Mädchen an der Tafel heulten. Aber es gab damals noch keine Instanz, an die man sich hätte wenden können. Das waren gar nicht einmal bösartige Kommentare. Es war einfach die Art, wie der Lehrer schwieg oder dreinschaute, die jemanden demütigte und lächerlich machte.
Autorität zeigen im rechten Moment
Es gab aber immer einzelne Lehrer, die durch ihre Haltung zeigten, dass in ihrer Gegenwart so etwas nicht möglich war. Das merkte man als Schüler sofort. Sie hatten eine zutiefst integrierende Haltung. Wenn sie beobachteten, wie über jemanden abfällig gesprochen wurde, blieben sie ganz ruhig und stellten klar: „Was habt ihr gerade eben gesagt? In meiner Klasse wird so nicht mit anderen umgegangen!“ Das genügte meist.
Unser Klassenlehrer in der Unterstufe war extrem streng, wenn er solch ein Verhalten bemerkte. Mädchen und Jungs waren gleichermaßen beteiligt: Was man sich so alles erzählte, worüber man sich lustig machte in der Umkleidekabine – meist auf Kosten von Schwächeren, nicht so Beliebten. Wenn etwas Derartiges zu ihm durchsickerte, machte er klar: „Das dulde ich hier nicht!“
Moralisieren hilft nicht. Doch wenn der Erwachsene seine Autorität gebraucht und nicht missbraucht, kann er in solchen Momenten viel bewirken. Da braucht es nicht viele Worte, aber eine klare Haltung, die über Gestik und Mimik signalisiert: „Hier ist eine Grenze, ich toleriere dieses Verhalten nicht“.
Vgl. Vortrag an der Schulärztetagung 2012