Konstruktiver Umgang mit Wandlungsbedarf in Leitung und Mitgliedschaft

Muss in Vorstand und Mitgliedschaft von „Freier Hochschule für Geisteswissenschaft“ und „Allgemeiner Anthroposophischer Gesellschaft“ (AAG) nicht dringend ein Kulturwandel in der Zusammenarbeit stattfinden?

Behindert die oft als rückwärtsgewandt wahrgenommene Haltung mancher Mitglieder nicht eine weitere Ausbreitung der anthroposophischen Impulse?

Zwischen Anspruch und Realität

Der Anthroposophischen Bewegung wird oft vorgeworfen,

  • dass ihr in der Lebenswirklichkeit nach wie vor etwas Sektiererisches und Dogmatisches anhafte,

  • dass die Mitglieder oft unverständlich reden und mehr der Vergangenheit als der heutigen Zeit zugewandt seien,

  • dass die Art und Weise, wie die Leitung von AAG und AG in Dornach sich in den vergangenen Jahrzehnten betätigt habe, undemokratisch und pyramidal gewesen sei.

Diese Vorwürfe mögen berechtigt sein. Man kann diese Problematik jedoch auch als Aufforderung verstehen, selbst verstärkt mitzuhelfen, dass sich etwas zum Positiven verändert.

Ist nicht auch unter Anthroposophen das Negative, Destruktive dazu da, für das Positive, Konstruktive immer wacher zu werden?

Warum laufen wir weg, wenn es schwierig wird, anstatt uns stärker zu engagieren?

Sei du selbst die Veränderung 1

Rudolf Steiner hat mit den Menschen gearbeitet, die da waren. Auch er konnte sich keine „idealeren“ Mitglieder suchen. Mit den Menschen, Mitteln und Möglichkeiten zu arbeiten zu wollen, die vorhanden sind, erscheint mir eine der wichtigsten Qualitäten in unserer Zeit zu sein.

Denn jedes Mitglied in der Anthroposophischen Gesellschaft und in der Hochschule hat die Möglichkeit, Gesellschaft und Hochschule in einer Weise zu repräsentieren, die es für angemessen hält. Je mehr wir das einsehen und nach bestem Vermögen praktizieren, anstatt nur Vorwürfe zu erheben und an Anderen Kritik zu üben, umso besser wird es der Gesamtbewegung gehen.

Und ja, der Kulturwandel im Umgang miteinander ist tatsächlich ein dringendes Erfordernis. Das haben auch die Vorstände und Sektionsleiter am Goetheanum gemerkt – bis in ihr eigenes Miteinander herein.

Persönliche Erfahrung

Als ich 1988 ans Goetheanum kam, konnte man als Sektionsleiter in seiner eigenen Sektion frei schalten und walten – vorausgesetzt, man konnte sich auch die dafür nötigen finanziellen Mittel beschaffen. Ansonsten hatte man aber bezüglich dessen, was am Goetheanum geschah und von ihm ausging nichts zu sagen. Die Sektionsleiter hatten allenfalls beratende Funktion in den gemeinsamen Besprechungen mit dem Vorstand am Goetheanum. Dieser fühlte sich für alle drei im Weihnachtsstatut genannten Gremien verantwortlich. Er empfand sich als Goetheanum-Leitung, als Vorstand der AAG/AG und Leitung der Hochschule.

Es war dann ein kontinuierlicher Arbeitsprozess über die Jahre bis 2012, in dem die Einsicht wuchs, dass ein Arbeiten gemäß des Weihnachtsstatuts in jeder Hinsicht hilfreich wäre (vgl. Anthroposophie: Die Statuten der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft). So haben wir heute eine verantwortliche Goetheanum-Leitung, in der die Vorstände der Gesellschaft und die Leiter der Sektionen am runden Tisch sitzen und Unternehmens-Entscheidungen, die das Ganze betreffen nach gründlicher Beratung gemeinsam fällen.

Die Umsetzung dieser Entscheidungen wird dann selbstverständlich über die dafür verantwortlichen Gremien realisiert. Gemäß dem Weihnachtsstatut vertritt der Vorstand die Goetheanum-Leitung in der Mitgliedschaft der Gesellschaft – ist sie aber nicht. Ebenso wenig ist er die Leitung der Hochschule. Rudolf Steiner nannte dafür als verantwortliches Gremium den Kreis der Sektionsleiter.

Noch ausstehende Strukturwandlung

Dieses Hochschulkollegium ist derzeit noch nicht realisiert. Steiner bezeichnete dies Gremium auf der Weihnachtstagung als Direktorium der Hochschule. Es kann dieses Gremium aber jederzeit – bei entsprechendem Willen der Sektionsleiter und innerhalb der Goetheanum-Leitung auf den Weg gebracht werden.

So erfreulich dieser grundlegende Kulturwandel am Goetheanum selbst war, so wurde er jedoch noch nicht zureichend von der weltweiten Mitgliedschaft wahrgenommen, weswegen mancherorts noch die alten pyramidalen Bilder figurieren.

Vgl. „Die Aufgabe der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft im 21. Jahrhundert“, Sept. 2023, Akanthos Akademie Edition Zeitfragen

  1. Das vollständige Zitat lautet: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für die Welt.“ (Mahatma Gandhi).