Geisterkenntnis und Freiheit

Warum gehören Geisterkenntnis und Freiheit unbedingt zusammen?

Warum darf sich die Existenz des Geistigen nicht beweisen lassen?

Spaltung in Glauben und Wissen

Wir leben heute in einer Zeit, in der sich Naturwissenschaft und Geisterkenntnis weitgehend verständnislos gegenüberstehen. Die in der Neuzeit vorgenommene Spaltung von Glauben und Wissen(schaft) hat sich in einer Weise vertieft, dass es zu einer Frage der Volksgesundheit geworden ist, ob diese Spaltung überwunden werden kann oder nicht. Denn das Erleben der Geistlosigkeit und damit auch der Sinnlosigkeit der eigenen Existenz treibt ungezählte Menschen in Krankheit, Drogenabhängigkeit oder Selbstmord.

Man kann als Mensch kein gesundes Selbstbewusstsein erringen (vgl. Selbstbewusstsein: Ein gesundes Selbstbewusstsein erwerben), wenn an die Stelle des tätigen Menschen-Ich als eines realen geistigen Wesens die abstrakte Person tritt, deren Existenz mit dem Tode endet, insofern sie nur als das Ergebnis molekularer neurophysiologischer Vorgänge gesehen wird (vgl. Selbstbewusstsein: Selbstbewusstsein über den Tod hinaus).

Es ist ein Affront gegen die Menschenwürde, wenn an die Stelle folgenreicher Schicksalserfahrungen die Worte „Zufall“, „Glück“ oder „Pech“ als einzig wissenschaftlich vertretbares Erklärungsmodell treten (vgl. Biographiearbeit: Zufall und Schicksal). Die tiefere Bedeutung dieser Worte kann einerseits aus wissenschaftlicher „Bescheidenheit“ und methodenbedingter Selbstbeschränkung heraus nicht ausgelotet werden, andererseits sind sie einer „echten“ wissenschaftlichen Behandlung ohnehin nicht zugänglich .

Aus sich heraus die Brücke zwischen Materie und Geist finden

Angesichts der akademisch geförderten Aufspaltung von Inhalten in „sicheres Wissen“ und „beliebigen, ungewissen Glauben“ erhebt sich die Frage, warum das so gehandhabt wird. Möglicherweise entspringt dieses Phänomen dem unbewussten Wunsch, selber zu bestimmen, wann man als einzelner Mensch die Frage nach der eigenen geistigen Identität stellt.

Vielleicht spendet die unwissenschaftliche Glaubenswelt uns Trost, solange wir diese Frage noch nicht in aller Konsequenz stellen wollen. Würden wir sie ernsthaft stellen, müssten wir auch die volle Verantwortung übernehmen für alle negativen Folgen dessen, was wir aus der materialistischen und reduktionistischen Sichtweise der heutigen Wissenschaft heraus Natur und Mensch antun. Verantwortung zu übernehmen, hieße konkrete Konsequenzen zu ziehen – im eigenen Leben, im sozialen Miteinander, aber auch im Blick auf das große Ganze.

Es gibt dazu passend einen schönen Spruch: Wer will, findet Wege – wer nicht will, findet Gründe. Wer einen wissenschaftlichen und zugleich empirischen Weg zur Wirklichkeit des Geistes sucht, kann diesen – wenn er wirklich will – u.a. in der anthroposophischen Geisteswissenschaft finden. Für den, der ernstlich will, ist es nicht schwer, die Brücke zwischen Materie und Geist zu finden. Warum nicht? Weil sie in unserem eigenen Denken gegeben ist, und damit kann sie zu einem inneren Evidenzerlebnis werden, ohne dass es äußerer Beweise bedarf (vgl. Denken: Denken als Brücke zwischen der Sinneswelt und der Welt des Geistigen.

Der tiefere Sinn der Nicht-Beweisbarkeit Gottes

Dazu ein Gedankenexperiment: Man stelle sich vor, die Existenz Gottes bzw. des Geistigen als von der Materie unabhängige und dennoch die Materie beherrschende Realität wäre unumstößlich bewiesen, sodass es keinen Widerspruch mehr gäbe – was wäre die Folge? Jeder Zweifel an der Existenz des Göttlichen, des Geistes, wäre beseitigt, wenn es wie von außen zwingend bewiesen werden könnte. Damit hätten wir Menschen aber auch keine Möglichkeit mehr, in Freiheit und selbstbestimmt den Weg zu uns selbst und zum Wesen der Welt zu gehen.

Was würde das für uns alle bedeuten?

Jeder Zweifel an der Existenz des Geistes müsste schwinden, wenn seine Bedeutung mit äußeren Mitteln zwingend bewiesen wäre. Damit hätten wir Menschen aber auch keine Möglichkeit mehr, in Freiheit und selbstbestimmt den Weg zu uns selbst und zum Wesen der Welt zu gehen.

Vgl. „Begabungen und Behinderungen“, 2. Kapitel, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2004

  1. Rudolf Steiner, Philosophie der Freiheit, GA 4, 9. Kapitel.