Lebenssicherheit durch Selbsterkenntnis

Was trägt zu unserer Lebenssicherheit bei?

Wie können wir in bewegten Zeiten Halt und Orientierung finden?

Weshalb sind Selbsterkenntnis und Lebenssicherheit heute wichtiger denn je?

Wissen um den geistigen Kern des Menschen

Ich finde es wichtiger denn je, dass wir Menschen stabil im Leben stehen und über die Rolle von Gut und Böse Bescheid wissen, sodass wir nicht so leicht zu irritieren sind. Der Schlüssel dazu ist das Wissen um den geistigen Kern des Menschen – den sich jeder bewusst machen kann an der Tatsache, dass man immer über das hinausgehen will, was einen heute noch zufriedengestellt hat.

Einer meine Lieblingssätze aus Rudolf Steiners Buch „Die Philosophie der Freiheit“ lautet:1 „Der Mensch ist ein unzufriedenes Wesen.“ Wir wollen immer über den Ist-Zustand hinausgehen. Das bedeutet, dass es in uns eine Kraft gibt, die etwas Neues schaffen will, das es noch nicht gibt. Wenn wir nur ein wenig Selbsterkenntnis üben, werden wir erkennen, dass wir in jedem Augenblick über unser Naturdasein hinausgehen. Denn der Mensch ist ein geistig-physisches Doppelwesen, der in seinem Denken, Fühlen und Wollen eine unsichtbare Welt trägt, die vieles, das noch nicht geworden ist und das nur durch sein Zutun werden kann, enthält:

  • In meinen Gedanken trage ich die Zukunft , stelle im Jetzt aber auch den Bezug zu meiner Vergangenheit, meinem Erfahrungswissen, her.

  • In meiner Seele fühle ich mich selbst und andere immer nur im Augenblick, in der Gegenwart

  • Mein Wille strebt nach vorne, lebt wie in der Zukunft im Noch-nicht-Realen.

Sinn der physischen Konstitution

Ich sehe aber auch ganz klar den Sinn der materialistischen, reduktionistischen, buchstäblich „knochenharten Reduziertheit“. Er liegt darin, dass dadurch die geistige Welt und der Glaube an Gott und das Geistige erst einmal wie gestorben sind. Deswegen gab es berühmte Menschen wie Nietzsche, die postulierten, dass Gott tot sei. Doch erst Dank dieser menschlichen Verfasstheit, sich wie abgeschnitten, reingeworfen, ausgesetzt im ewig Sinnlosen zu fühlen, spürt man diesen Geistkern in sich. Man merkt, dass es, obwohl alles so öde und leer ist, im Inneren eine Instanz gibt, die das überwinden möchte.

Dieser Wunsch, diese Sehnsucht ist mehr als nur die Resonanz auf die erlebte Leere. Wir sind eben nicht nur ein Produkt unserer Umwelt, sondern spüren, dass der Sinn IN uns zu finden ist. So wie Novalis sagt: „Ins Innere geht der geheimnisvolle Weg.“ Oder wie es im Evangelium heißt: „Das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ Sucht das Transzendente nicht irgendwo da draußen, nein, im eigenen Herzen vollzieht sich die Transzendenz. Es ist eine Frage der Selbsterkenntnis, der Wachsamkeit und Achtsamkeit herauszufinden:

Was regt sich am Grunde meiner Seele, wenn ich mir Ruhe und Zeit nehme, um darüber nachzudenken, womit ich mit diesem inneren Empfinden hinwill?

Oberflächlichkeit als Hindernis auf dem Weg zu sich selbst

Doch genau da sehe ich heute ein Riesenproblem, weil wir derartig überflutet werden von Reizen, Informationen und medialer Ablenkung, dass die meisten Menschen gar nicht mehr die Muße haben bzw. sich die Zeit nehmen, auf diese innere Stimme, diesen Wesenskern in sich selbst, das spirituell Wesenhafte in sich, zu achten (vgl. Gefühle und Fühlen: Anregung der Gefühle durch Sinnesschulung). Sie bleiben stattdessen mit ihrem Bewusstsein auf der riesigen Oberfläche dieser Welt – sei es virtuell, sei es physisch.

Der nicht altersgerechte Umgang mit den digitalen Medien bei Kindern (vgl. Medienpädagogik: Negative Folgen einer zu frühen Gewöhnung an digitale Medien), aber auch der ungezügelte Konsum bei Erwachsenen, sind die schlimmsten Entwicklungshemmer, die man sich vorstellen kann. Das wird die Menschen im Laufe ihrer Biografie einholen, wenn sie merken, dass sie sich wie verloren haben. Dann braucht es sehr oft Therapie oder intensive Beratung, damit sie diesen Panzer an Oberflächlichkeit durchbrechen können und zu ihrem eigenen Inneren, aber auch zum Fundament dieser Welt, vorzustoßen. Faustsuchte nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Seine essentielle Erkenntnis war ja, dass dieses Zusammenhaltende in der Welt genauso wie im eigenen Inneren lebt. Wer nicht zu diesem Kern vorstößt, kann sich gar nicht selbstbestimmt entwickeln.

Auswirkungen der technischen Entwicklung

Um dahin zu gelangen, muss man in Zeiten der Digitalisierung auch verstehen, was die Konsequenzen der technischen Entwicklung sind und warum sie solche Blüten treibt, wie z.B. Elon Musks Idee, den Mars zu besiedeln. Der technische Fortschritt vollzog sich schrittweise und wirkte sich auf unterschiedliche Bereiche des Menschseins aus (vgl. Medienpädagogik: Befreiung durch Technik und ihre Folgen):

  • Die Entwicklung der Maschinen hat dem Menschen die harte körperliche Arbeit abgenommen.

  • Die Messtechnik nahm dem Menschen das sensorische Fühlen ab, die Sinnesempfindungen wurden dadurch wie ersetzt.

  • Und jetzt ist das Gehirn dran, jetzt wird die menschliche Kreativität und Intelligenz von der künstlichen Intelligenz maschinell nachgeahmt.

Das Positive daran ist, dass der Mensch durch all das freier geworden ist, weil ihm sehr viel Belastendes und Zeitraubendes von der Technik abgenommen wurde. Jetzt könnte er sich ganz auf die eigene Entwicklung und das eigene Innere besinnen. Die große Gefahr dabei ist jedoch, dass er Opfer dieser Technologie wird. Dafür ein paar Beispiele.

Der Geist des Todes hinter der Technik

Den Gedanken der Besiedelung des Mars durch den Menschen, nachdem wir die Erde zerstört haben, finde ich natur- und entwicklungsfeindlich. Doch auch die damit verbundenen transhumanistischen Ideale, dass auch der Erdenmensch als ein hochintelligentes, bewusstes Maschinenwesen auf der Erde leben soll und vielleicht mit den Menschen auf dem Mars kommunizieren, ist nichts Lebensfreundliches und richtet sich gegen die menschliche Natur.

Denn im Falle der propagierten „Verschmelzung mit der Maschine“ haben wir unsere ganzes Entwicklungspotential an eine unlebendige Maschinenwelt abgegeben – an einen Geist der Technik (vgl. Medienpädagogik: Technische Entwicklung und brennende Gegenwartsfragen). Auch Technik hat eine spirituelle Grundlage, ist eines „Geistes Kind“. Doch ist dieser Geist ein Geist des Todes, denn Technik muss immer lebendige, lebenspendende Ressourcen anzapfen, wie die Sonne, oder aus Lebendigem entstandene Rohstoffe, wie die fossilen Brennstoffe, zugeführt bekommen, um zu funktionieren. Dabei werden diese Ressourcen und Rohstoffe verbraucht und vernichtet. Das heißt im Klartext: Technik setzt sich immer an die Stelle von Leben – in uns und um uns.

Der Zerstörung unserer Menschlichkeit Einhalt gebieten

Weil das so ist, meine ich, dass die transhumanistischen Ideale nicht unser Weg sein können. Wir müssen um des Menschseins und der Umwelt willen stattdessen lernen, mit der Technik lebensfreundlicher umzugehen. Das bedeutet weniger Medienkonsum, aber auch weniger zu verbrauchen, damit die Ressourcen sich wieder regenerieren können. Wir müssen uns als Verbraucher fragen, was wir im Alltag tun können, um das Lebendige zu fördern. Dabei geht es um viel mehr, als um einen sparsamen Umgang mit den Ressourcen – obwohl das ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung wäre.

Ich las letztens, dass ein Waschgang von 60 Grad 5 Stunden Computerverbrauch entspricht. Das ist unglaublich viel! Dieses Beispiel verdeutlicht, dass es große Auswirkungen hat, wenn wir unsere Komfortzone verlassen, wenn wir unsere Gewohnheiten ändern und uns möglicherweise für ein unbequemeres Leben entscheiden und auf alles Unnötige in unserem Konsum- und Verbrauchsverhalten verzichten.

Doch nur, wenn wir uns unseres wahren menschlichen Potentials als geistige Wesen bewusst sind, werden wir dem Umbau des Menschen zu einem Maschinenwesen entschieden Einhalt gebieten können. Nur dann können wir erkennen, dass das, was uns als verlockender und erstrebenswerter Fortschritt angepriesen wird, die schrittweise Zerstörung unserer Menschlichkeit bedeuten kann und wird.

Vgl. Vortrag „Wer bin ich? Was ist mein Weg? Biografiearbeit als Schlüssel zu einem neuen Selbstverständnis“, gehalten bei einem Webinar zur Biografiearbeit am 13. Und 14. März 2020

  1. Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit, GA 4.