Fragen und Antworten zum Umgang mit Medien

FRAGE: Wenn man als Eltern dafür sorgt, dass Kinder keine sozialen Medien nutzen und nur wenig Zeit vor dem Bildschirm verbringen, das Kind aber beobachtet, wie andere Gleichaltrige ihre eigenen Geräte benutzen, entsteht bei ihnen das Gefühl: „Ich darf nicht das tun, was andere in meinem Alter tun dürfen.“ Wie erklärt man das einem 11- bis 12-Jährigen?

ANTWORT: Führende Psychologen, Psychotherapeuten und Kinderärzte raten Eltern mittler-weile, Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren von sozialen Medien fernzuhalten und die Bildschirmzeit zu minimieren – basierend auf Forschung und Praxiserfahrung. Ein führender Vertreter dieser Fachleute ist der US-amerikanische Bestsellerautor Jonathan Haidt.1

Technologie muss dienen – sie darf nicht dominieren und manipulieren und schon gar nicht abhängig und süchtig machen. Glücklicherweise haben einige Länder wie Australien, aber auch engagierte Schulleiter, dies bereits umgesetzt.

FRAGE: Aber wie soll man 11- oder 12-jährigen Kindern, die bereits in sozialen Medien aktiv sind, erklären, dass sie jetzt damit aufhören sollten?

ANTWORT: Von einem anderen verstanden zu werden wirkt heilend. Je besser ich ihn verstehe, desto besser fühlt der andere sich. Ein interessierter Blick und eine Haltung, die zeigen, dass man es ernst meint, wirken heilend und öffnen neue Bereiche im Miteinander. Man lernt unglaublich viel, wenn man sich wirklich auf einen anderen Menschen einlässt. Dazu gehört auch, wie man einander die Angst nehmen kann. Das ist eine wichtige Aufgabe.

FRAGE: Was gibt der physische Leib dem Ich? Wie verändert sich meine Beziehung zu meinem Gegenüber, wenn ich darüber Bescheid weiß?

ANTWORT: In diesem Alter kann man schon Klartext reden: „Du hast schon gemerkt, wie viel Zeit es kostet, was es mental mit dir macht, wenn du Hassbotschaften oder Kritik erhältst, wie es dich von anderen Aktivitäten abhält, die für dein Alter viel wichtiger sind! In deinem Alter wächst dein Körper – er muss alle Sinne nutzen, er muss sich bewegen – aber vor allem entwickelt sich dein Gehirn nur dann gesund, wenn du selbst denkst, selbst beobachtest, selbst urteilst und nicht auf einen Bildschirm starrst, auf dem dir alles fertig geliefert wird und du selbst nichts tun musst, außer zu reagieren. Denn wir Menschen sind Akteure, kreative Wesen wir reagieren nicht nur auf das, was andere von uns wollen! Wenn du also Unabhängigkeit und Autonomie entwickeln willst, musst du Unabhängigkeit und Autonomie entwickeln! Sich wie alle anderen zu benehmen – das macht eine Herde – so wird man nicht unabhängig! Als Herdenmitglied wirst du – bestenfalls – zu einem guten Konsumenten und einem manipulierbaren Wähler in der Politik. Leider haben Psychologen und Ärzte erst jetzt entdeckt, wie schädlich früher Bildschirmkonsum ist. Millionen von Kindern und Jugendlichen sind bereits lebenslang geschädigt. Aber solange ich Verantwortung trage, wähle ich das Beste für dich und deine Zukunft. Und ich hoffe, dass wir uns dabei gegenseitig unterstützen können. Wenn ihr später außer Haus seid, könnt ihr machen, was ihr wollt. Aber solange ich Verantwortung trage, werde ich tun, was ich für das Beste für dich halte.“

Ich ermutige Eltern, sich mit anderen Eltern zu vernetzen, die ebenfalls das Beste für ihre Kinder wollen, und dann darauf zu achten, dass künstlerische Aktivitäten an Wochenenden und in der Freizeit gefördert werden wie Musizieren, kreative Hobbys, Theater, Lesen, Gespräche, Spiele (keine Computerspiele!), aber auch Ausflüge, Arbeit in der Natur und Sport. Ein sich entwickelnder Körper braucht das ständige Zusammenspiel von Sinneswahrnehmung, Motorik, Gefühlen, Denken und Handeln – nur dann entwickelt sich eine gesunde Gesamtkonstitution.

FRAGE:Kann man etwas dagegen tun, wenn ein Kind bereits im Alter von 6 Jahren zu Hause einer ungesunden Umgebung ausgesetzt war (viel Lärm, Aggression und Schimpfen)?

ANTWORT:Ja, man kann viel tun! Das Wichtigste ist, dass ein Erwachsener (Therapeut, Pädagoge, Nachbar, Patin, Pate, Großmutter, Großvater), dem das Kind am Herzen liegt, eine gesunde, verlässliche menschliche Beziehung zu ihm pflegt und mit ihm kreativ wird. Geliebt zu werden und kreativ werden zu dürfen, die eigene positive Initiative in der analogen Welt zu entfalten, ist der beste Weg, Resilienz und Autonomie zu fördern.

FRAGE: Sie erwähnten, dass ein Kind mindestens einen Erwachsenen braucht – einen guten, selbstlosen Begleiter. Was aber, wenn das Kind in seinen ersten Lebensjahren ein vernachlässigendes Zuhause hatte und jetzt Trennungsangst in Bezug auf den stabilen Elternteil zeigt, der nur für ihn erreichbar ist?

ANTWORT: Wenn man hier helfen möchte, ist es entscheidend, im Umfeld des Kindes (Schule, Nachbarschaft, Freunde – Psychologen, Therapeuten usw.) nachzuschauen, wer eine solche Aufgabe übernehmen kann: zum Beispiel ein solches Kind ein Jahr lang innerlich eng zu begleiten, es sozusagen geistig zu adoptieren und gleichzeitig eine positive Beziehung zu den Eltern aufzubauen, damit sie Vertrauen gewinnen und das Kind einem so oft wie möglich für kreative Aktivitäten anvertrauen. Ohne echtes menschliches Engagement geht hier nichts. Aber jedes echte Engagement (selbst wenn es nur ein Wochenende im Monat ist, an dem man etwas Schönes mit dem Kind unternehmen kann) ist für die Biografie dieses jungen Menschen von unschätzbarem Wert.

FRAGE: Angesichts der Herausforderungen der Gesellschaft und der Herausforderungen, die Kinder in ihre Klassenzimmer bringen: Wo findet man engagierte Waldorflehrer? Und wie kann man diese Menschen unterstützen, während sie sich um die Schule und unsere Kinder kümmern?

ANTWORT: Diese Frage ist eine der wichtigsten unserer Zeit! Seit Jahrhunderten gelten Schulen als Orte der Disziplin und von Wissenserwerb. Rudolf Steiner hingegen war schon 1919, als er seinen ersten Lehrerfortbildungskurs hielt, fest davon überzeugt, dass Schulzeit Entwicklungszeit ist – körperlich, geistig und seelisch. Es geht um Bildung, nicht um Wissen. Wissen kann man sich für Prüfungen aneignen, wenn man gut ausgebildet ist. Das ist kein Problem. Rudolf Steiner forderte, dass jeder Mensch das Recht hat, bis zum Alter von 18 Jahren zu lernen und sich zu entwickeln – ohne Prüfungen, aber mit einer einfühlsamen Beschreibung der tatsächlich erworbenen Fähigkeiten am Ende jedes Schuljahres.

Junge Menschen, die sich so entwickeln durften, sollten in der Lage sein, am Ende ihrer Schulzeit die für ihren weiteren Lebensweg benötigte Abschlussprüfung abzulegen. Das kann ein Realschulabschluss, ein Abitur oder die Aufnahmeprüfung für eine internationale Universität sein. Ich selbst hatte das Glück, an einer Waldorfschule studieren und mich bis zur 12. Klasse frei entwickeln zu können. Danach habe ich mich gerne ein Jahr lang auf das Abitur vorbereitet und aus eigenem Antrieb die dafür nötige Anstrengung unternommen. Dieser Tatsache verdanke ich meine lebenslange Freude am Lernen, am Entdecken und am Hinarbeiten auf konstruktive Entwicklungsziele.

Anders gesagt: Es geht darum, Menschen während der Schulzeit zu gesunden, körperlich, geistig und seelisch leistungsfähigen, eigenverantwortlichen Menschen mit starkem Charakter und Empathie zu befähigen.

Doch dies ist nicht möglich ohne

  • kreatives Spiel,

  • künstlerische Betätigung,

  • Interesse an der Natur und ihrer Bedeutung für den Menschen sowie für das Leben von Pflanzen und Tieren

  • und die Fähigkeit, die großen Fragen unserer Zeit nach Lebenssinn und Menschheitsentwicklung zu stellen.

Die Schulzeit ist dazu da, eine eigene Lebensperspektive zu finden und nicht, den Leistungsstandards von Wirtschaft und Politik zu entsprechen und sich durch ständige Prüfungen ihren Anforderungen anzupassen. Dabei bleiben die eigenen Entwicklungsbedürfnisse und -sehnsüchte ungenutzt oder zumindest unterschätzt.

Deshalb rate ich Eltern und allen, die sich für Kinder und Jugendliche interessieren, denen deren Entwicklung am Herzen liegt, eine berufsbegleitende Waldorfpädagogik-Ausbildung zu absolvieren und einen inneren Entwicklungsweg zu beschreiten, wie ihn Rudolf Steiner zum Beispiel in seinem Buch „Wie man Erkenntnisse der höheren Welten erlangt“2 beschreibt. Denn ohne den Willen, sich selbst zu bilden und zu humanisieren, fehlt die Energie, einerseits das Beste für die eigenen Kinder zu tun und andererseits die gegenwärtige Krise (Ökologie, Kriege, Hunger, Armut, ungesunde Landwirtschaft usw.) zu überwinden. Selbstbildung ist die beste Voraussetzung, um ein guter Erzieher für andere zu werden. Gesellschaft und Erde brauchen Menschen, die aufwachen, Verantwortung übernehmen und sich aus eigener Einsicht und Entscheidung für eine bessere Zukunft für Mensch und Planet einsetzen.3

Vgl. Fragen-Beantwortung im Rahmen einer online-Tagung in Indien zum Thema „Resilienz Förderung im digitalen Zeitalter“, am 27. April 2025

  1. Jonathan Haidt, Generation Angst
  2. Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10, Dornach 1993.
  3. Michaela Glöckler, Kita Kindergarten und Schule als Orte gesunder Entwicklung
    Michaela Glöckler, Gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen im digitalen Zeitalter
  4. Michaela Glöckler, Prof. Dr. Edwin Hübner, Stefan Feinauer, Media Protect e.V. Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt