Anthroposophie als Instrument der Selbstbefähigung
Inwiefern ist Anthroposophie ein Instrument der Selbstbefähigung?
Anthroposophie ist keine Weltanschauung und auch keine Religion, sondern muss als Wissenschaft vom Geist verstanden werden, die auf Erkenntnissen von Rudolf Steiner aufbaut (vgl. Anthroposophie: Anthroposophie als Geisteswissenschaft). Anthroposophie befähigt jedoch, die verschiedenen Religionen besser zu verstehen, Toleranz zu entwickeln und weltanschaulich flexibel, offen und bewusst zu werden. Rudolf Steiner wollte seine Darstellungen als Arbeitshypothese verstanden haben, die jeder selbst auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen sollte.
Das eigene Ich kultivieren, die Welt verstehen
Anthroposophie gibt uns das Werkzeug zur Hand,
einerseits das eigene Denken, Fühlen und Wollen frei zu handhaben zu lernen,
und dadurch andererseits diverse Zusammenhänge und Welterscheinungen sinnvoll beurteilen und einordnen zu können.
Wenn Kinder im genannten Sinne zu urteilen lernen, können sie später ihre eigene Weltanschauung bilden. In der „Philosophie der Freiheit“ können wir lesen:1 „Die Natur macht aus uns ein Naturwesen, die Gesellschaft ein den Gesetzen gemäß handelndes Wesen2. Ein freies Wesen kann der Mensch nur selbst aus sich machen.“
Wenn Leute sagen, dass es für sie keine Freiheit gibt, glaube ich ihnen das sofort. Denn die gibt es nur, wenn man sie auch ausüben will. Könnte man jemanden zur Freiheit zwingen, wäre es keine Freiheit (vgl. Ideale: Die Ur-Ideale – Wahrheit, Liebe und Freiheit). Was Freiheit wirklich ist, muss man erst verstehen, es auch sinnvoll finden – und schließlich zu handhaben lernen.
Selbstschulung durch Übungen im Alltag
Die Erste wäre, uns mit Anthroposophie in einer Art zu beschäftigen, dass sie uns freier, selbständiger, verständnisvoller und beweglicher macht (vgl. Anthroposophie: Anthroposophie als Weg zur Wahrheit). Vor allem über den in Rudolf Steiners Grundlagenwerk zur Selbstschulung beschriebenen Schulungsweg3 kann es uns gelingen, unser Ich „auf die Spur“ zu bringen.
- Nebenübungen zur Charakterschulung
In dieser Hinsicht sind heute die Nebenübungen wichtiger denn je (vgl. Herz(chakra): Nebenübungen für die Charakterschulung).4
Was bringt die Entfaltung der Herzlotusblume5, das Üben der sechs Eigenschaften der Nebenübungen?
Man entwickelt dadurch Eigenschaften und Fähigkeiten, die jeder gestresste Mensch heute braucht – insbesondere, wenn er als Pädagoge tätig ist. Durch die Nebenübungen lernt man das eigene Denken, die eigenen Handlungen sowie das eigene Fühlen zu beobachten und zu beherrschen (vgl. Herz(chakra): Schulung der „sechs Eigenschaften“). Gleichzeitig versucht man den äußeren Ereignissen mit Positivität und Unbefangenheit zu begegnen. So wird man sensibel und wach für gesundende bzw. zerstörerische, kränkende Einflüsse im Sozialen.
- Der achtfache Pfad des Buddha
Auch der achtfache Pfad des Buddha bringt ein großes Ausmaß an Erkenntnis im Alltag: Er verlangt das Bemühen um rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechte Rede, rechtes Handeln, rechten Lebenswandel, rechtes Streben, rechte Achtsamkeit und rechtes Sich-Versenken.6
Sich selbst sozial befähigen
Für einen Lehrer oder Erzieher ist es ein absolutes Muss empfinden zu können, wenn er ein Kind verletzt. Als Kinderarzt bekommt man auf erschütternde Art mit, wie sehr Pädagogen die ihnen anvertrauten Kinder oft verletzen, weil sie nicht fühlen können, wie kalt und destruktiv ihr Verhalten oder auch schon der Tonfall ihrer Stimme ist, wenn sie ein Kind rufen oder ermahnen. Für Pädagogen ist es deshalb unerlässlich:
- sich um innere Ruhe zu bemühen,
- allabendlich Rückschau zu halten, damit man ein wenig von sich selbst loskommt (vgl. Selbsterkenntnis und Selbsterziehung: Selbstschulung gegen Angst),
- sensibel zu werden für Seelenwärme und Seelenkälte.
Auf diesem Wege kultiviert man sein Ich. Rudolf Steiner sagte, durch die sechs Nebenübungen würde man nicht hellsichtig, doch sie geben dem Ich Stärke und Sicherheit mit auf den Weg. Sie sind eine reine Ich-Kompetenzschulung, aber in einer Art, dass man lernt zur anderen Verfügung zu stehen und nicht nur sich selbst zu behaupten.
Vgl. „Kinder verändern sich – wie kann Erziehung mithelfen?“ Vortrag zum 40jährigen Jubiläum des Waldorferzieherseminars in Stuttgart 2015
- Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit, Grundzüge einer modernen Weltanschauung, seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode. 16. Auflage. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1995.
- Heute würden wir sagen: ein angepasstes, nicht verhaltensauffälliges Wesen. Ein braves Wesen: einen guten Staatsbürger und Konsumenten.
- Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse Höherer Welten?, GA 10.
- (vgl. Herz(chakra): Schulung der „sechs Eigenschaften“)
- Dem Hellseher eröffnet sich durch die Ausübung der zwölfblättrigen Lotusblume auch ein tiefes Verständnis für Naturvorgänge. Alles, was auf ein Wachsen und Entwickeln gerichtet ist, strömt Seelenwärme aus. Alles, was mit Vergehen, Zerstörung und Untergang begriffen ist, tritt mit dem Charakter der Seelenkälte auf.“
- Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Edler_achtfacher_Pfad, ges. 09.08.2023.