Die fünf Aspekte des anthroposophischen Schulungsweges
Um welche fünf Aspekte geht es beim anthroposophischen Schulungsweg?
Fünf essentielle Schulungsaspekte
Die fünf Aspekte des anthroposophischen Schulungsweges sind zugleich die fünf Wege von Krankheit und Gesundheit, die fünf Impulsen zuzuordnen sind.
- 1. Der physische Aspekt – der Karma-Impuls
Der physische Aspekt hängt mit dem individuellen Schicksal zusammen, dem Karma-Impuls: Dazu gehört der physische Körper, wie groß jemand ist oder wie klein, ob man Mann oder Frau ist. Vieles an diesem äußeren Schicksal entscheidet sich an der Verpackung, in der man steckt (vgl. Wesensglieder: Grundlegendes zum Thema Wesensglieder).
Zum Physischen gehört aber auch alles, was mir im Physischen begegnet. Mit jedem Schritt ändert sich die Aussicht. Alles, was mir begegnet, ist Teil meines Schicksals. Es geht darum, sich mit den Gesetzen des Schicksals, mit den Gesetzmäßigkeiten der Begegnung zu befreunden, herauszufinden, wie ich vom Schicksal lernen kann, mich zu individualisieren oder besser gesagt, zu „humanisieren“. Die große Frage des Schicksalsweges, des Schicksalslernens, lautet:
Warum widerfährt mir das jetzt?
- 2. Der ätherische Aspekt – der Gralsimpuls
Beim ätherischen Aspekt geht es über das Physische hinaus in die Welt der Bilder, der Gedanken, der Ideale, aber auch der Imaginationen, die sich in mythologischen Bildern darstellen (vgl. Gemeinschaft(sbildung): Quellen der Gemeinschaftsbildung im Ätherischen). Eine christliche Mythologie ist Archetyp für diesen ätherischen Weg – die Suche nach dem heiligen Gral. Rudolf Steiner nennt sein Buch „Die Geheimwissenschaft…"1 die Wissenschaft vom Gral. Okkult heißt ja verborgen. Immer wenn etwas nur im Gedanklichen, im Imaginativen lebt, ist es für die äußeren Sinne verborgen. Der ätherische Aspekt hängt mit dem Gralsimpuls zusammen (vgl. Anthroposophische Medizin: Fünf Quellen für Kränkung und Heilung).
Wenn wir nun diese beiden Aspekte vergleichen, stellt sich die Frage:
Wie lerne ich, aus den äußeren Begegnungen die Motive für meine Entwicklung zu begreifen?
Brauchen sich der Karma-Impuls und der Gralsimpuls gegenseitig?
Man braucht ja auch zwei Beine, um gehen zu können:
Um aus einem positiven oder negativen Schicksal lernen zu können, brauche ich einerseits gute Ideen, brauche innere Bilder und eine innere Landschaft, in die ich alles integrieren kann.
Andererseits brauche ich ein tiefes Lebensideal als Orientierungspunkt (vgl. Ideale: Ideale als Leitsterne). Davon spricht die Gralssuche.
Es geht darum, Heilung zu finden von allem, was den Menschen von seiner wahren Menschlichkeit trennt, was ihn daran hindert, seine wahre Menschlichkeit zu entwickeln. Das Gralsmysterium beschreibt, wie man immer menschlicher wird und was man dafür überwinden muss. Es ist der Weg der Verwandlung, der inneren Transformation, der mit den Symbolen der Verwandlung von Brot und Wein in die christliche, rein menschliche Substanz verbunden ist (vgl. Religion: Das Geheimnis von Verdauung und Transsubstantiation). Christus nennt sich „Sohn des Menschen“. Es geht ihm um das Menschliche, das entwickelt werden soll.
- 3. Der astrale Aspekt – der Sophia-Impuls
Der dritte Aspekt ist der astrale Aspekt. Mit unserem Astralleib hängen nicht nur unsere Gefühle zusammen – die Gefühle, denen jeder viel mehr glaubt als seinem Denken.
Wenn ich alle meine Gefühle durchleuchtet und verstanden habe, wenn ich sie wirklich begreife, habe ich Weisheit erworben. Die größte Weisheit, die uns zugänglich ist, lebt in der Sprache. Die Gefühle sind meist jedoch sehr unbewusst. Aber wenn wir uns darin üben, unsere Gefühle auszusprechen, werden sie uns bewusst. Wenn wir Worte dafür finden, wenn das Unaussprechliche aussprechbar wird, entsteht zwischen Menschen, die sich so ehrlich austauschen, ein Stückchen Weisheit. Auf dem anthroposophischen Weg geht es auch darum, über die Sprache und das Aussprechen Weisheit zu lernen.
Das schönste Instrument dafür ist die Kunst – die Kunst des Sprechens, die Kunst der Eurythmie, des Malens, des Plastizierens. Alle Künste sind dem Gefühl und der Sprache zutiefst verwandt (vgl. Kunsttherapie: Atmung, Kreislauf, Gefühlsleben und Kunst). Jede Kunst will sprechen, hat eine Aussage, eine Physiognomie, ist expressiv. Das ist der Sophia-Impuls. Religiös gesprochen ist es der Maria-Sophia-Impuls. Denn Maria „bewegt alle Worte in ihrem Herzen“ . Maria hat die ganze Weisheit der Sprache in ihrem Herzen. Der Logos ist das Wort – IHN hat sie geboren, IHN versteht sie.
- 4. Der Ich-Aspekt – der Michaels-Impuls
Nun kommen wir zum Ich-Aspekt der Anthroposophie: Damit kommen wir zu dem Erzengel Michael. Unser Ich hat eine innige Beziehung zu Michael.
Wie erfahren wir unser Ich?
Wie arbeitet unser Ich?
Das sind wirklich interessante Fragen. Wir haben in der Umgangssprache das Wort „Person“ oder Persönlichkeit. Das deutet an, dass etwas durch mich hindurch tönt, „personare“. Die Wortweisheit tönt durch mich hindurch. Bei jemandem, der „high“ ist, der nicht wirklich ins Leben einsteigen will, befindet sich das Ich weit draußen und tönt nicht hindurch. Deswegen erscheint so jemand als eine schwache Persönlichkeit.
Damit kommen wir zum Mysterium von Michael und dem Drachen, dem Mysterium von Licht und Finsternis. Das Schwert, mit dem Michael den Drachen besiegt, ist eine typische Imagination für das Ich, das durchstoßen, ja sogar durchbrechen muss, das die Widerstände des Physischen besiegen muss, um hereinkommen und sich inkarnieren zu können (vgl. Michael der Bezwinger des Drachen als Inspirationsquelle für das Ich). Um das zu üben, beschreiten wir den Erkenntnisweg, den vorhin genannten freiwilligen Weg des Lernens. Der Königsweg der Entwicklung besteht darin, dass etwas freiwillig aus Einsicht verwandelt und gelernt wird, dass man nicht wartet, bis das große Leid kommt, an dem man aufwacht.
- 5. Der kosmisch-spirituelle Aspekt – der Christus-Impuls
Nun zum kosmisch-spirituellen Aspekt: Über unser Denken gehen wir weit über uns hinaus und gelangen in den Gedankenkosmos und zu der Kosmologie, aus der wir morgens einzelne Aspekte betrachten, mit der wir es aber auch heute Abend zu tun haben, wenn wir zu den Sternen aufschauen. Der kosmisch-spirituelle Aspekt weist uns den Weg des Interesses für die Kräfte, die Wesen und die Weisheit, aus denen dieser ganze Weltzusammenhang entstanden ist.
In der Anthroposophie wird ganz klar der Zusammenhang hergestellt mit dem Logos oder der Christus-Wesenheit. Ich las einmal etwas in einem Vortrag Rudolf Steiners, wodurch mir plötzlich klar wurde, in welche Richtung das weist. Da sagte er: Es genügt dem Christus heute nicht mehr, dass man nur an ihn glaubt – er will verstanden werden (vgl. Anthroposophie: Anthroposophie als Geisteswissenschaft). Das kann wie so ein Schock sein.
Wie kann man ihn verstehen?
Und was hat das für Konsequenzen?
Welcher Art muss eine Wissenschaft sein, die den Christus versteht?
Der fünfte Aspekt ist der Weg zu Christus, der ein sehr komplexer, kosmologischer und umfassender Weg ist (vgl. Biographiearbeit: Biographiearbeit als Weg zu Christus).
Vgl. Ausführungen vom IPMT in Santiago di Chile 2010
- Die Geheimwissenschaft im Umriß, GA 13, Dornach 1989.