Ideale als Leitsterne
Wie lassen sich Ideale konstruktiv und entwicklungsfördernd einsetzen?
Wie lassen sich ein Ziel und der Weg dahin als einander bedingend und gleichwertig erleben?
Ziel und Weg nicht gegeneinander ausspielen
Es gibt Menschen, die sagen, der Weg wäre das Ziel, man solle nicht zielorientiert leben. Das ist aber total abstrakt gedacht, ist ohne Bezug zur Wirklichkeit. Ich muss das Ziel kennen, denn erst dann kann ich meine Kräfte entsprechend anspannen. Nur weil man „Zielwissen“, also Ideale, missbrauchen kann, sollte man nicht darauf verzichten, Ideale zu haben. Eine therapeutische, pädagogische oder sonstige entwicklungsförderliche Methode sollte nie aus dem Wunsch, Missbrauch zu verhindern, abgeleitet werden, sondern aus einem positiven Blick.
Kinder zu lehren, zielorientiert ihren Weg zu gehen, hat laut Rudolf Steiner folgende Voraussetzungen:
Die Lehrer sollten einerseits genau wissen, worauf sie hinauswollten, und entsprechend gut vorbereitet in den Unterricht gehen. Das heißt, sie sollten klare Lernziele haben.
Andererseits sollten sie im Unterricht alles zur Disposition stellen und ihn als reinen Prozess gestalten.
Auf diese Weise erreichen sie das Unterrichtsziel oft schneller. Oder aber sie machen einen lehrreichen Umweg zum Ziel. Ziel und Weg gegeneinander auszuspielen, halte ich schlichtweg für dumm, für einen Ausdruck intellektueller Hypertrophie.
Ideale als Leitsterne versus erdgebundener Fanatismus
Eine Idee konkret umzusetzen zu versuchen, ist hoch spirituell. Denn wenn es einem zum Beispiel gelingt, in einem bestimmten Bereich ein Ideal zu fassen und im Lichte dieses Ideals, gleichsam erwärmt von der Sonne des Zukünftigen, ganz banale kleine Schritte zu gehen, wird man eine Lebensgrundzufriedenheit in der Seele aufbauen können, die sich nur im Licht dieses Ideals, im Sinne eines erstrebenswerten Zieles, erwerben lässt – selbst wenn man es nie ganz erreichen kann.
Man muss aber zwei unterschiedliche Arten, mit Idealen umzugehen, unterscheiden:
Ideale am Himmel sind gut – als Sterne, die uns leiten und still unseren Weg beleuchten.
Ideale, die im Fanatismus lautstark „auf die Erde heruntergezwungen werden“ , sind eine satanische Verkehrung, die Hass erzeugt.
Diese Art Ideale beruhen auf einem Komplott zwischen Luzifer und Ahriman. Luzifer lässt das Ego in seiner Arroganz glauben, dass es alles weiß, und Ahriman versucht, alles im Weg Stehende auszuschalten, erfüllt von Zerstörungswut.
Verdrehte Ideale sind der Konfliktstoff, aus dem Traumata gemacht sind. Umso mehr ist es Aufgabe der Therapeuten, hier Ordnung zu schaffen, indem sie sich selbst darüber im Klaren sind, was oben und was unten angesiedelt ist und aus welchem Stoff Träume, Katastrophen und Traumata gemacht sind. Erst dann begreifen sie, was sich beim traumatisierten Menschen wirklich abspielt.
Friedensfähigkeit erwerben
Um den Bogen zu schlagen zu Steiners Feststellung „Der Mensch ist ein unzufriedenes Wesen“: Wir sind als Menschen unserem Wesen nach Idealisten und deshalb sind wir unzufrieden. Sinn des Schulungsweges ist es jedoch, uns friedensfähig zu machen, indem wir lernen, mithilfe der Ideale am Himmel den Erdenweg zu meistern.
Innerer Frieden entsteht dadurch, dass man Vollkommenheit im Sinne innerer Ganzheit anstrebt. Dafür braucht man zukunftsweisende Ideale. Sie zu erstreben, stimmt bereits friedlich.
Umgekehrt kann man aber auch sagen: Jeder Zustand von Friedlosigkeit kommt von der verführenden Dominanz eines Ideals.
Die eigene Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit zeigt an, in welchem Maß man Ideale weise nützt bzw. gegen sich wendet, also missbraucht.
Als Therapeuten müssen wir Frieden ausstrahlen, brauchen wir eine Kultur des Friedens, um die stresskranken Menschen, die zu uns kommen, überhaupt auf dem Weg zu innerer Ruhe und Frieden begleiten zu können.
Vgl. Ausführungen aus Seminargruppe 5 an der Kunsttherapietagung 2010, Dornach
- Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit, GA 4, S. 27.