Idealismus als spirituelle Geburt

Wie hängen spirituelle Geburt und Idealismus zusammen?

Inwiefern ist Idealismus Ausdruck lebendigen Denkens?

Wesen und Geist als etwas real Geistiges

Jemand sagte einmal zu mir: „Ich bin katholisch. Und was ich überhaupt nicht gut finde, ist das Reden der Anthroposophen von ‚Wesen‘, von ‚Geist‘, von ‚Geistern‘. Das ist mir unheimlich.“ Das klingt nur gefährlich, wenn nicht geklärt ist, ob jemand, wenn er vom Geiste redet, ein Gespenst meint oder etwas real Geistiges. Ich überlegte mir also, was ich darauf antworten könnte. Denn Gott ist ein Wesen, Maria ist eines, das Jesuskind ist eines, Christus ebenfalls und wir alle doch auch. Dass jemand diese Sichtweise unheimlich findet, hat vielleicht auch damit zu tun, dass wir Anthroposophen selbst eine Blume und den Merkur als Wesen ansehen. Die Anthroposophie meint aber niemals etwas Gespenstisches, sondern etwas real Geistiges, Wesenhaftes, mit dem man sich in höchster geistiger Liebe verbinden kann.

Idealismus ist ein Weg, sich mit etwas Geistigem zu verbinden – ist aber im Grunde eine Denkart. Mehr noch: Idealismus enthüllt uns die wahre Natur des Denkens, denn nur in dieser Form und Ausprägung führt das Denken zur Wesensveränderung. Durch den Idealismus wirkt die Ich-Fähigkeit im reinen Denken. Das kann damit beginnen, dass man über eine Vorstellung von etwas Schönem und Erstrebenswertem meditiert, bis man die Idee dahinter erkennt. Diese kann dann zum Ideal erhoben werden, indem man sagt: „Das will ich verwirklichen!“ Das wirkt sich dann auf die ganze Existenz aus.

Idealismus als Entdeckung des Ich im Denken

Erst wenn ich beginne, eine Idee umzusetzen, wird sie zu meinem persönlichen Ideal. Ich benütze mein eigenes Wesen, um einen Gedanken zu realisieren, und so wird der Gedanke Teil von mir und ich werde zum lebendigen Ausdruck dieses Gedankens. Ein Ideal greift nur, wenn ich es umsetze, weil ich erkenne, dass ein Gedanke eine geistige Realität ist, wie ich selbst auch eine geistige Realität bin. Das ist, was man „spirituelle Geburt“ nennt. Im Evangelium heißt es, dass wir „wiedergeboren“ werden müssen aus Wasser und Geist – aus den Lebenskräften bzw. den Kräften des Ätherischen in seinen beiden Ausprägungen:

  • leibgebunden als Wachstums- bzw. Regenerationskraft (Wasser)
  • und leibfrei als Denken (Geist).

Idealismus ist deshalb viel mehr als eine „bürgerliche Weltauffassung“, ist nicht nur eine historische Epoche der Goethezeit, sondern ist die Epoche, in der die Menschen ihr Ich im Denken zum ersten Mal entdeckten. Das ist ein Menschheitsfortschritt, der nicht verlorengehen darf. Wir sollten alle dazu beitragen, dass jeder an dieser Errungenschaft teilhaben kann, dass wir sie nicht verlieren, während wir als Menschheit neuen zukünftigen Errungenschaften entgegengehen.

Vgl. Zusammenfassung von Ausführungen in der Arbeitsgruppe an der JK Sept. 2007