Der anthroposophische Sozialimpuls

Was ist unter dem Anthroposophischen Sozialimpuls zu verstehen?

Anliegen und Menschenbild der Anthroposophie

Mit dem wunderbaren Namen Anthroposophie (anthropos = Mensch, sophia = Weisheit, Wissen) geht ein großer Anspruch einher (vgl. Anthroposophie: Leitmotive der Anthroposophie). Denn Anthroposophie ist ein Impuls, der jeden Menschen, egal, wo er herkommt, die Frage stellen lässt:

Wer oder was ist der Mensch?

Weiß ich, wer ich wirklich bin?

Inwiefern kann mir die Anthroposophie bei der Aufklärung über mich selbst helfen?

Und wo im Menschen erwacht ein sozialer Impuls?

Denn alles, was vom Menschen ausgeht, liegt in ihm selbst begründet.

Rudolf Steiner sagte im 1. Leitsatz der Anthroposophie:1 „Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschen zum Geistigen im Weltall führen möchte.“ Es ist eine spirituelle Orientierung, die Mensch und Welt verbinden und dabei helfen möchte, die differenzierte Vielfalt des Menschseins über die Welt hin sowie die verschiedenen Kulturen, politischen Systeme, Lebensweisen und Religionen zu integrieren (vgl. Christus heute: Christusbewusstsein entwickeln lernen). Nur wenn wir das Ganze im Bewusstsein haben, können wir so auf den Menschen schauen, dass wir nicht nur hier und heute, sondern auch rückblickend in die Vergangenheit und vorausblickend in die Zukunft, die zutiefst sinnvollen Entwicklungsperspektiven des Menschen erkennen (vgl. Menschheitsentwicklung: Individualisierungsprozesse in der Menschheitsentwicklung). Das zu gewährleisten, ist Anliegen der Anthroposophie.

Im Hinblick auf die Frage, welcher Sozialimpuls sich aus diesem Menschenbild ergibt, möchte ich fünf Aspekte nennen, die eng verbunden sind mit der menschlichen Konstitution, der sie entspringen (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Die fünf Ebenen des anthroposophischen Menschenbildes).

Der Mensch als Pentagramm

Ich skizziere im Folgenden den Menschen als Pentagramm mit seinen fünf unterschiedlichen Aspekten, die ich in einem weiteren Schritt als Quelle von 5 Arten von Sozialimpulsen charakterisieren möchte.

  1. Ich beginne links unten mit dem physischen Aspekt (linker Fuß),

  2. verorte rechts oben den ätherisch-prozesshaften Aspekt (rechte Hand) ,

  3. links oben das Astral-Seelische, (linke Hand)

  4. rechts unten die Ich-Organisation (rechter Fuß) , unsere spirituelle Persönlichkeit, unser Wesenskern, der uns sagen lässt: Ich bin ich (und nicht jemand anderes) als Qualität unserer Identität.

  5. Der Kopf von alledem ist die Quinta Essentia der Alchimisten, das 5. rein spirituelle Prinzip aus leibfreien, rein geistig tätigen Kräften.

  • Ad 1. Physischer Aspekt

Hiermit ist unser physischer Leib gemeint (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Begabungen des physischen Leibes).

  • Ad 2. Ätherischer Aspekt

Er umfasst das unbewusste und bewusste Ätherwirken, das führe ich gleich näher aus (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Begabungen des Ätherleibes).

  • Ad 3. Astralisch-Seelischer Aspekt

Rudolf Steiner sah das Seelische, aber auch das nachtodliche Leben in den Planeten- und Fixstern-Sphären angesiedelt und ordnete den Mikrokosmos des Menschlichen dem Makrokosmos der Welt zu (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Begabungen des Astralleibes). Deswegen nimmt er den Ausdruck astral, damit wir die Verbindung unserer Seele, aber auch des Nachtodlichen und der Nacht, mit den Sternen nicht vergessen.

  • Ad 4. Aspekt der Ich-Organisation

Hier geht es um das Wunder, dass wir, obwohl wir medizinisch-psychologisch einen so komplexen Organismus darstellen, in dem die Organe ständig arbeiten, egal, ob wir sitzen, stehen oder liegen, davon, wenn wir gesund sind, gar nichts merken. Wir haben einfach das Gefühl: Ich bin ich. Da herrscht absolute Ruhe. Die Prozesse, die uns am Leben erhalten, erledigt die Natur unterhalb der Bewusstseinsschwelle wie von selbst. Die Natur will offenbar, dass wir uns in unserem Bewusstsein auf uns und die Welt konzentrieren und von unserem Körper absehen können. Das menschliche Prinzip, nennt Steiner die Ich-Organisation (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Begabungen der Ich-Organisation).

  • Ad 5. Prinzip der Quinta Essentia

Dieser Aspekt ist für den Sozialimpuls aus der Anthroposophie grundlegend. Das begreifen wir unmittelbar, wenn wir fragen:

Bezieht sich das Sozialsein nur auf unseren Umgang mit anderen Menschen und Geld?

Oder gibt es auch geistig mehr oder weniger soziale Orientierungen?

Ist es egal, was ich denke und fühle?

Ist es egal, wenn ich jemanden freundlich grüße und anschließend hinter seinem Rücken schlecht über ihn rede?

Ist es egal, wenn ich unehrlich bin und korrupt handle?

Wir spüren deutlich, dass das überhaupt nicht egal ist.

Aber können wir konkret empfinden, dass auch die unsichtbare Welt und das Unsichtbare unseres Seins Einfluss auf die Welt haben?

Denken, Fühlen und Handeln aus verwandelten Entwicklungskräften

Im Unsichtbaren unseres Denkens und Fühlens wurzelt unsere Haltung und die Art, wie wir das Sichtbare gestalten. Das fünfte Prinzip ist die Art, wie wir denken, fühlen und aus welchen Impulsen wir handeln.

Das hat bisher nur Rudolf Steiner profund erklärt, das können Sie in seinen Werken ausführlich nachlesen. Er ist der Frage nachgegangen, woher die Kraft des Denkens und Fühlens kommt. Emotionen haben ja eine Wucht, viele können es spüren, wenn jemand sie hasst oder negativ an sie denkt. Vor allem Kinder spüren, wie man ihnen gegenüber eingestellt ist. Die Magie des unsichtbar Wirksamen, das von Gedanken, Gefühlen, Bestrebungen und Intentionen ausgeht, das hat eben auch einen Ursprung. Diese Zusammenhänge erforschte Rudolf Steiner sein ganzes Leben lang immer detaillierter und beschrieb sie in seinem letzten Buch für Ärzte2 als Metamorphose der Lebenstätigkeit oder der Wachstums- und Regenerationstätigkeit in Gedankentätigkeit (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Die Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte).

Vgl. Vortrag „Der Anthroposophische Sozialimpuls“ in Wien, Mai 2018

  1. Rudolf Steiner, Anthroposophische Leitsätze, GA 26, S. 6 (1989).
  2. Rudolf Steiner, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst, GA 27.