Indirekte und direkte Medienpädagogik

Inwiefern hilft Medienpädagogik Kindern und Jugendlichen medienkompetent zu werden?

Was genau ist unter Medien zu verstehen?

Kinder und Jugendliche wachsen in der von Informationstechnologien beherrschten und gelenkten Welt auf. Davon hat Pädagogik auszugehen. Das bedeutet aber nicht, dass man überall technische Geräte wie Tablets usw. einsetzen muss. Jeglicher Unterricht muss darauf hinwirken, dass die Kinder und Jugendlichen Gelegenheiten finden, innerlich stark zu werden und seelisch zu reifen, sodass sie einerseits den Versuchungen des Medienzeitalters gewachsen sind und andererseits technische Geräte für ihre eigenen Initiativen sinnvoll einsetzen können. Daraus ergibt sich das Konzept der indirekten und direkten Medienpädagogik:

Zum Medienbegriff

Das Wort „Medium“ stammt von dem lateinischen Adjektiv „medius“ ab, das man mit „in der Mitte befindlich, vermittelnd“ übersetzen kann. Ab dem 17. Jahrhundert verwenden es die Naturwissenschaftler als Fremdwort, um ein Element zu bezeichnen, das chemische oder physikalische Prozesse vermittelt. Im 19. Jahrhundert wurden im Umfeld des Spiritismus Personen als Medien bezeichnet, durch die der Verkehr mit Geistern möglich war. Erst Ende der 1950er-Jahre verwendete man das Wort „Medien“ im heutigen Sinne von Massenmedien. Als Medien können die verschiedensten Dinge bezeichnet werden: Handschrift, Druckschrift in Zeitungen, Zeitschriften, Büchern usw., Filme, Radio, Fernsehen, Computer usw. Allerdings unterscheidet sich beispielsweise die Schrift deutlich von einem Film, sodass die gemeinsame Bezeichnung durch das Wort Medien vorhandene Unterschiede verwischt.

Derzeit kann man in der medialen Welt im Wesentlichen drei verschiedene Formen antreffen:

  • Schrift
  • konservierte oder übertragene Sprache und Musik
  • stehende oder bewegte Bilder

Sowohl durch Schrift als auch durch Ton und Bild können Inhalte vermittelt werden. Allerdings ist der aktive Umgang des Menschen mit dem Inhalt jeweils ein anderer, je nachdem, ob er durch Schrift oder durch Ton übermittelt wird. Wenn der Mensch etwas liest, sind vor allem seine Augen tätig und er muss sich anhand der wahrgenommenen Buchstabengruppen eigene Vorstellungen bilden. Bei übertragenen Bildern, vor allem bei Filmen, braucht der Mensch seine Fantasietätigkeit kaum, da die Bilder bereits vorgegeben sind.

Der Umgang eines Menschen mit einem Medium vollzieht sich immer in einem Spannungsfeld. Er lenkt einerseits seine Aufmerksamkeit auf den vermittelten Inhalt. Dabei wird sein Vorstellen und Denken angesprochen, Gefühl und Willensvermögen werden jedoch vernachlässigt. Daher wundert es nicht, dass 130 Leseforscher aus ganz Europa im Januar 2019 eine Erklärung zur Zukunft des Lesens im digitalen Zeitalter publiziert haben, die diesen Mangel und dessen Folgen bewusst machen sollte. Sie verweisen auf eine Metastudie mit insgesamt mehr als 170.000 Teilnehmern, die zeigt, „dass das Verständnis langer Informationstexte beim Lesen auf Papier besser ist als beim Bildschirmlesen, insbesondere wenn die Leser unter Zeitdruck stehen.“ Auch sei die Gefahr einer Verzögerung der Entwicklung des kindlichen Leseverständnisses und der nicht zureichenden Entwicklung des kritischen Denkens gegeben.1

Das gilt auch für das Schreiben. Schreibe ich mit Stift auf Papier, bin ich natürlich sehr auf den Inhalt dessen, was ich schreiben will, konzentriert und meine Hand macht kleine, aber sehr differenzierte Bewegungen. Das Schreiben mit der Hand wird von einer Reihe organischer Prozesse begleitet. Es wird dabei die Feinmotorik gefordert und geschult und es sind auch die entsprechenden Areale im Gehirn tätig. Denselben gedanklichen Inhalt kann man auch auf einem Tablet eintippen. Dabei geht die Tätigkeit bzw. Handlung, die man beim Schreiben auf Papier mit dem Stift vollzieht, in ein „Fingern“ (Byun-Chul Han) über, die Feinmotorik wird nur noch wenig geübt.

Medien unter vier Aspekten betrachten

Im Zusammenhang mit dem Thema Medien müssen also vier Aspekte unterschieden werden, die bei pädagogischen Überlegungen beachtet werden sollten:

  • Medieninhalt: das, was der Mensch in sein Vorstellen und Denken aufnimmt, beispielsweise den Inhalt eines Romans oder eines Films

  • Medienform: das Verfahren, wie der Inhalt präsentiert wird, also Schrift, Ton oder Bild Medienträger: die materielle Grundlage, auf der oder innerhalb der die Medienformen präsentiert werden, also Papier, E-Book, Smartphone, Computerbildschirm usw.

  • Der werdende Mensch, der sich durch das, was er tut, entwickelt und selbst erlebt

Neben den unendlichen Möglichkeiten, Computer zur Steuerung technischer Vorgänge einzusetzen, kann man sie auch als Medienträger nutzen. Nur weil im Alltag Computer als Medienträger besonders ins Auge fallen, bezeichnet man sie als Medien, aber sie sind weit mehr als das. Sie können an die Stelle des Menschen treten, in Art und Umfang, wie Menschen dies wollen.

An dem oben beschriebenen Medienbegriff lässt sich gut verdeutlichen, welche Fähigkeiten die Medienmündigkeit eines Menschen beinhaltet. Sie erstreckt sich einerseits auf die verschiedenen Medien und umfasst dazu auch persönliche und soziale Fähigkeiten. Die Inhalte, die durch die verschiedenen Medien an den Menschen herantreten, sind unzusammenhängend und oft einseitig oder gar falsch. Der Mensch muss das erkennen und beurteilen können.

Voraussetzungen für das Erlangen von Medienmündigkeit

Das setzt eine gute Allgemeinbildung voraus. Pädagogik hat daher dafür Sorge zu tragen, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Schulzeit eine möglichst umfassende und kohärente Allgemeinbildung erwerben können.

  • Schreiben und Lesen

Kinder müssen die drei Medienformen Schrift, Bild und Ton beherrschen. Flüssiges Schreiben und Lesen sind eine Grundvoraussetzung für den Umgang mit den Inhalten des Internets – wenn man von YouTube & Co absieht. Denn alle wissenschaftlichen Darstellungen, alle Internetlexika wie Wikipedia usw. setzen die Fähigkeit voraus, anspruchsvolle Texte lesen und verstehen zu können.

  • Knowhow in Bezug auf Film- und Audio-Produktion

Ein kompetenter Umgang mit der Filmkultur setzt voraus, dass Jugendliche erfahren und gelernt haben, wie ein Film entsteht. Sie müssen einmal selbst einen Film gedreht haben. Dasselbe gilt für die Medienform „Ton“. Jugendliche sollten einmal in ihrem Leben ein Radiofeature produziert haben, um von dieser Erfahrung aus beurteilen zu können, wie Radioberichte entstehen.

  • Wissen um Funktionieren von Computer, Internet und Suchmaschinen

Selbstverständlich sollten Jugendliche auch verstehen, wie der Medienträger Computer prinzipiell funktioniert, wie das Internet aufgebaut ist und wie Suchmaschinen arbeiten. Dass die Schüler*innen auch üben, wie man analoge und digitale Medienträger sinnvoll zur Recherche und Präsentation einsetzt, ist ein wichtiges Thema im Oberstufenunterricht.

  • Sich bewusst auf ausgesuchte Inhalte konzentrieren

Achtsamkeit und Aufmerksamkeit sind weitere Fähigkeiten, die der Mensch für den sinnvollen Umgang mit Informationstechnologien braucht, denn in jeder Sekunde, in der der Mensch online ist, muss er Entscheidungen treffen, worauf er seine Aufmerksamkeit lenken soll. Er muss daher lernen, sorgfältig darauf zu achten, was er beachten möchte und was nicht.

Der Kommunikationsexperte Howard Rheingold fasste die notwendigen Fähigkeiten, über die man verfügen muss, um digitale Medien und Netzwerke sinnvoll zu nutzen, sehr prägnant zusammen:

„Digitale Medien und Netzwerke können nur diejenigen Menschen ermächtigen, die sie zu nutzen lernen – und stellen Gefahren für jene dar, die nicht wissen, was sie eigentlich tun. [...] Diejenigen Menschen, die keine grundlegende Bildung ihrer Aufmerksamkeit, im Erkennen von Unsinn, in der Teilhabe, in der Zusammenarbeit und im Netzwerkbewusstsein erwerben, sind potenzielle Opfer all jener Fallen, auf die Kritiker hinweisen – Oberflächlichkeit, Leichtgläubigkeit, Ablenkung, Entfremdung, Sucht. Ich mache mir Sorgen um die Milliarden von Menschen, die Zugang zum Netz haben, ohne auch nur die geringste Ahnung davon zu besitzen, wie sie Wissen finden und es auf Korrektheit überprüfen können, wie man sich für etwas einsetzt und an etwas teilhat, anstatt passiv zu konsumieren, wie man die Aufmerksamkeit in einem Dauerbetriebsmilieu diszipliniert und einsetzt, wie und warum jener Privatheitsschutz verwendet werden soll, der in einer zunehmend aufdringlichen Umwelt noch verfügbar ist.“2

  • Empathie und soziale Verantwortung

Informationstechnologien ermöglichen die Bildung sozialer Netzwerke. Aber dort begegnet man sich nur virtuell, zum Teil sogar nur vermittels der Schrift. Wie sich immer wieder zeigt, braucht man gerade beim Agieren in sozialen Netzwerken besonders gut ausgebildete empathische Fähigkeiten (vgl. Medienpädagogik: Herausforderungen des digitalen Zeitalters für Erziehung und Therapie).

Auch das soziale Verantwortungsbewusstsein muss stärker ausgebildet sein als im realen Leben, denn man sieht die Folgen seiner virtuellen „Handlungen“ nicht unmittelbar.

Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3

  1. Broschüre Struwwelpeter 2.1. Ein Leitfaden für Eltern durch den Medien-Dschungel

  2. Howard Rheingold: Aufmerksamkeit, Erkennen von Unsinn und Netz-Bewusstsein. In: John Brockman: Wie hat das Internet Ihr Denken verändert? Die führenden Köpfe unserer Zeit über das digitale Dasein. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011, S. 202.