Goldene Regel für den Umgang mit Technik und Medien
Wie muss Erziehung im Hinblick auf einen gesunden Umgang mit der technischen Entwicklung aussehen?
Ab welchem Alter wird der Umgang mit Medien frühestens empfohlen?
Im ersten Jahrzehnt sind Medien tabu
Gerade auf diesem Gebiet ist es nötig, dass das Kind von Anfang an die Möglichkeit bekommt, durch Nachahmung am Vorbild des geliebten Erwachsenen zu lernen. Wird ihm vorgelebt, dass Tablet und Smartphone ähnlich wie das Auto Dinge sind, die im Leben der älteren Jugendlichen und der Erwachsenen ihren festen Platz haben, so können im Laufe der Schulzeit die notwendigen Fähigkeiten erworben werden, um den eignen Umgang mit der Informationstechnologie und die selbstbestimmte Nutzung der sozialen Medien und Netzwerke zu lernen (vgl. Medienpädagogik: Aufruf gegen zu frühe Gewöhnung an Medien).1,2
Computer sollten nicht zu ständigen Begleitern der Schüler werden, bevor diese die Arbeiten kennen und schätzen gelernt haben, die er übernimmt, und bevor sie wissen, wie er überhaupt funktioniert.
Je einfacher das Bedienen der Geräte wird, desto mehr ist der Erwachsene gefordert, das Kind und den Jugendlichen vernünftig zu begleiten, ihm deutlich zu machen, warum „einfach und kinderleicht“ nicht bedeutet, dass es auch „für Kinder gut ist“… Denn wenn in den wichtigsten Entwicklungsjahren digitale Eindrücke verarbeitet werden müssen, die nur Auge und Ohr ansprechen und alle anderen Sinne ausgrenzen und keine reale Interaktion mit der Umwelt darstellen (vgl. Sinne(spflege): Zwölf Sinnestätigkeiten – Sinnespflege), kann sich kein gesundes Nerven-Sinnessystem ausbilden. Auch die Entwicklung von Empathie kann nachgewiesenermaßen auf solchen Wegen nicht erfolgen. Kindheit und Jugend sind einmalige Entwicklungsräume und -zeiten, in denen sich ein gesundes Verhältnis zu Mensch und Umwelt entwickeln muss (vgl. Kindsein heute: Kindheit in Gefahr):
In der Kindheit braucht es neben empathischen, nachahmenswerten Vorbildern viel Raum für Eigenaktivität und Entdeckerfreude sein.
In der Jugendzeit braucht es freilassende Erwachsene, die die notwendigen Selbstfindungsprozesse interessiert begleiten (vgl. Jugend heute: Was Jugendliche brauchen).
Sind diese Entwicklungsbedingungen in jungen Jahren nicht gegeben, ist Versäumtes später sehr schwer nachzuholen und braucht zumeist therapeutische Bedingungen, um es doch noch zu erwerben.
Höchste Priorität für Beziehungspflege am Lebensanfang
Clifford Stoll – Astronom und Spezialist für Datenschutz und Computersicherheit – hat in seinen Büchern3 ein Doppelbekenntnis abgelegt: für einen sachgemäßen Umgang mit dem PC im Jugend- und Erwachsenenalter und gegen einen Gebrauch in Kindergarten sowie den Unterstufen der Schule und zu Hause. Denn in dieser Zeit kommt dem Aufbau und der Pflege menschlicher Beziehungen höchste Priorität zu. Zu Hause spielen Ruhe und Frieden, Nachdenklichkeit und Wärme eine Rolle – Qualitäten also, die einem nicht primär einfallen, wann man an den PC und andere Medien denkt.
Dazu kommt ein zweiter wichtiger Aspekt: So wie auch im Laufe der Geschichte die Übernahme menschlicher Arbeit durch Maschinen erst sukzessive erfolgte (vgl. Medienpädagogik: Befreiung durch Technik und ihre Folgen), so ist es auch für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen notwendig, dass sie die verschiedenen Bereiche menschlicher Arbeit und Befähigung selbst kennen und entwickeln lernen, ehe sie sich diese durch die entsprechenden technischen Geräte (z.B. Geräte für Küchen, Haushalt, Garten aber auch Taschenrechner und Computer) abnehmen lassen. In der Schule – und optimaler Weise auch zuhause – sollte der Taschenrechner bzw. Computer erst dann eingeführt werden, wenn die Fähigkeiten im Bereich der Grundrechenarten, und insbesondere des Kopfrechnens, gut entwickelt sind.
Zuerst selbst machen lassen
Die goldene Regel in der Pädagogik für den Umgang mit Technik lautet deshalb:
Eigenaktivität ermöglichen: Tätigkeiten und Aktivitäten so weit wie möglich selbst machen und erleben lassen, bevor sie an Maschine und Medien abgegeben werden.
Es lähmt das schöpferische Vermögen, wenn man von der Technik alles und von sich selbst nicht viel erwartet (vgl. Medienpädagogik: Medienpädagogik und Erziehung zur Freiheit). Auch erzieht es zu Anspruchshaltung und Undankbarkeit, wenn man selbst keinen Maßstab gewonnen hat für dasjenige, was einem durch die technischen Leistungen an eigener Arbeit erspart wird.
Dagegen verstärkt es die Selbstwirksamkeit (vgl. Selbstbewusstsein: Zur Entstehung von Selbstbewusstsein), wenn Kinder daheim wie auch in Kindergarten und Schule singen, malen, gestalten, tanzen und Theater spielen lernen, bevor sie von Bildern, Farben und Tönen durch optische und akustische Medien mit Eindrücken überschüttet werden und das eigene schöpferische Vermögen lahm gelegt zu werden droht.
Im Sinne des Vorbildseins ist es zudem äußerst wichtig, den Schülern vorzuleben, dass es nicht selbstverständlich ist, dass jederzeit warmes Wasser aus der Leitung kommt und Licht sowie Energie in beliebiger Menge per Knopfdruck verfügbar sind. Wie gut für ein Kind, wenn es Urlaubserfahrungen auf einem abgelegenen Bauernhof machen darf oder beim Camping bzw. Urlaub in zivilisationsferner Umgebung, wo die Wäsche noch von Hand gewaschen werden muss, Wasser über dem Feuer oder mit Hilfe eines Gaskochers erwärmt wird, so dass man den Segen technischer Errungenschaften wirklich schätzen lernt.
Nötiger Schutz vor Gefahren
Wir alle müssen außerdem mit der Tatsache zurechtkommen, dass wir in einer Kultursituation leben, die voller Gefahren steckt (vgl. Angst: Wurzeln und Aufgabe der Existenzangst): Wenn man die Zeitung aufschlägt, das Radio einschaltet, erfährt man nur von Gräueltaten. Die Medien sind voll davon. Nach 60 Jahren, in denen die gezeigte Gewalt im Fernsehen ständig zugenommen hat, wurden erstmals ernsthafte Überlegungen angestellt, ob man nicht Kinder davor schützen sollte. Das ist richtig rührend!
Jeder, der mit Kindern zu tun hat, weiß jedoch, dass solche Entscheidungen in der Familie getroffen werden müssen. Man kann per Gesetz niemanden mehr vor irgendwelchen Einflüssen schützen! Durch das Internet und die Smartphones ist alles für die Kinder frei zugänglich – da reichen auch die sogenannten Kindersicherungen nicht aus. Das erfordert eine viel größere Wachheit seitens der Eltern als früher, Kindern zumindest über bestimmte Jahre ihres Lebens einen gewissen Schutz zukommen zu lassen, sie vor manchen Einflüssen zu behüten, damit sie gut ausgerüstet in die Welt der Ängste entlassen werden, und nicht traumatisiert oder unvorbereitet hineingeraten.
Vgl. „Gesundheit durch Erziehung“, Kapitel 16, „Medienmündigkeit und Technik, Dornach 2006
- Glöckler, Michaela / Goebel, Wolfgang / Michael, Karin: Kindersprechstunde. Ein medizinisch-pädagogischer Ratgeber. Kap. Multimedia und die Kinder. Urachhaus Verlag, Stuttgart 2015, S. 566 - 580.
- Manfred Spitzer, Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. Droemer Verlag, München 2012.
- Clifford Stoll, Kuckucksei - Die Jagd auf die deutschen Hacker, die das Pentagon knackten, 1998, Die Wüste Internet: Geisterfahrten auf der Datenautobahn, 2001 und LogOut: Warum Computer nichts im Klassenzimmer zu suchen haben und andere High-Tech-Ketzereien, 2002.