Lähmung als Folge einer dysfunktionalen Ich-Organisation

Welche Rolle spielt die Ich-Organisation im Kontext von Bewegung und Lähmung?

Was meint Rudolf Steiner mit der seelisch freien Wirksamkeit der Ich-Organisation?

Und wie wirkt sie in den Stoffwechsel eingebunden?

Wie kommt Lähmung zustande?

Die polare Arbeitsweise der Ich-Organisation

Rudolf Steiner und Ita Wegman beschreiben in Kapitel I von „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“1 im Rahmen des Zusammenspiels der Wesensglieder neben dem astralischen Leib auch die Ich-Organisation (vgl. Wesensglieder: Die Wesensglieder als Gesetzeszusammenhänge). Sie betätigt sich ebenfalls außerkörperlich – primär in der durch den eigenen Willen gesteuerten Denktätigkeit. Die Autoren sagen: Sie lebt sich „seelisch frei im Denken dar“.2

Darauf gehe ich gleich näher ein – denn: Um das Zustandekommen von Lähmung in der Tiefe verstehen zu können, muss man auch die Arbeitsweise der Ich-Organisation als außerkörperlich ‚seelisch frei im Denken‘ erlebtes Selbstbewusstsein in Verbindung mit dem Astralleib (Bewusstsein) kennen. Deshalb möchte ich sie an dieser Stelle kurz schildern.

  • Seelisch freies Wirken von AL und Ich-Organisation

Im zentralen Nervensystem und den Sinnesorganen wirken Astralleib (AL) und Ich-Organisation abbauend, lähmend, ertötend, um dadurch freies selbstbewusstes Denken und Fühlen zu ermöglichen. Dieser leibfreie Anteil der Ich-Organisation ist es auch, der die Sinneswahrnehmungen mithilfe des außerkörperlich frei mitschwingenden Astralleibes zu bewussten Sinnesempfindungen werden lässt (vgl. Wesensglieder: Wirkung der Wesensglieder aufeinander). Dadurch kann man sowohl

  • denkend (Ich-Organisation im Ätherleib),
  • fühlend (Ich-Organisation im Astralleib)
  • und selber steuernd (Eigentätigkeit der Ich-Organisation)

mit dem eigenen Empfindungsleben umgehen – was die Autoren ‚seelisch frei‘ nennen. D.h. Ich-Organisation und astralische Organisation erleben frei und unmittelbar

  • einerseits die in der ‚Außenwelt‘ objektiv vorhandenen Kräfte und Qualitäten von Licht, Klang, Farbe, Wärme, Kälte etc.

  • andererseits aber auch die Eigenbewegung, die Eigenwärme, die eigenen Körpergrenzen sowie die sinnlich fassbare Beschaffenheit des eigenen Körpers.

Der eigene Körper wird demnach ebenso objektiv als ‚in der Umwelt vorhanden‘ wahrgenommen wie andere Objekte auch. Rudolf Steiners gesamte Sinneslehre ist auf dieser Anschauungsweise aufgebaut (vgl. Sinne(spflege): Problem der Vernetztheit der Sinne).

Gleichzeitigkeit von Wahrnehmung und Vorstellung darüber

Beim Beobachten von Dingen oder Vorgängen in der Außenwelt stehen das Beobachtete und die Gedanken darüber im Menschen nicht in der gleichen lebendigen Wechselwirkung wie das bei den Naturprozessen der Fall ist. Sie existieren gleichsam unabhängig voneinander.

Durch die Sinnes- und Nerventätigkeit der beiden genannten Wesensglieder werden also nicht nur Empfindungen, sondern auch Vorstellungen über das Wahrgenommene erzeugt. Rudolf Steiners geisteswissenschaftlicher Erklärungsansatz verweist auf diese Kompetenz von Empfindungsfähigkeit UND gleichzeitiger Vorstellungsbildung darüber als unbestritten vorhanden. Sie befähigen uns zu einem bewussten Miterleben real vorhandener Weltenkräfte, Tatsachen und Qualitäten.

Aufgrund seiner übersinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit konnte Rudolf Steiner diese Zusammenhänge genauso klar darlegen, wie Goethe die Farben als „Taten und Leiden des Lichtes“ beschreiben konnte. Beide hatten unmittelbar einen Sinn für den objektiven Realitätsbezug ihrer eigenen Wahrnehmung und Vorstellungsbildung.

All das wird vom Standpunkt der naturwissenschaftlichen Sinnesphysiologie jedoch immer noch als subjektiv und letztlich ‚unerklärbar‘ abgetan.

  • Leibgebundenes Wirken von Ich-Organisation und AL

In den Stoffwechsel eingebunden sind Ich-Organisation und astralische Organisation hingegen unbewusst im Sinne der Regulierung der Körperfunktionen tätig und damit aufbauend aktiv. Dabei arbeiten sie unmittelbar mit der ätherischen Organisation zusammen – und wirken damit auch gesund erhaltend.

Im gesunden Zustand ist die Ich-Organisation über das Nervensystem lose mit den Gliedmaßen vereinigt, sodass sie sich im Zuge des Bewegens damit verbinden und sich gleich wieder loslösen kann – was Voraussetzung für jede normale Bewegung ist. Der Körper kann seine Eigenbewegungen wahrnehmen und steuern, weil die Ich-Organisation mit ihrem bewussten Anteil – gestützt auf den Nervenprozess – die Körperbewegung wahrnehmen und steuern kann, so wie sie den Sehvorgang motorisch und sensorisch beim Auge steuert. Es handelt sich hier um ein feines rhythmisch-oszillierendes Zusammenspiel von

  • Untertauchen in den eigenen Leib (stoffwechselbezogene Aktivität)

  • und den auf das Nervensystem gestützten sensomotorischen Anteil des leibfreien Wahrnehmens dieses Untertauchens.

So wie Astralleib und Ich-Organisation in Licht und Farbe beim Sehvorgang untertauchen und diese Qualitäten beim Sich-wieder-Lösen bewusst erleben, so geschieht ein ebensolches Untertauchen in die Realität der Gliedmaßen. Beides ist ein objektbezogenes Tun. Dass das Objekt der Gliedmaße bzw. des Körpers aber als zu einem selber gehörig erlebt wird – diese Selbstwahrnehmung und Unterscheidung von anderen Objekten ist Ergebnis der im Wahrnehmungsvorgang tätigen Ich-Organisation: Sie ist in der Lage, ihre körperliche Eigenaktivität und Selbstwirksamkeit zu reflektieren und damit als Eigentätigkeit auf sich zu beziehen. So kann sie den eigenen Körper von anderen Objekten unterscheiden.

Im Krankheitsfall einer Lähmung sind Astralleib und Ich-Organisation aufgrund der Funktionsuntüchtigkeit der betreffenden Nervenbahnen nicht mehr zur sensorischen Eigenwahrnehmung der Gliedmaße fähig, weil jetzt die motorisch-sensorische Rückkoppelung sowie der darauf aufbauende reflektierende Rückbezug nicht mehr stattfinden können. Damit ist jegliche Möglichkeit der Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung erloschen.3 Die Ich-Organisation taucht aufgrund der Schädigung des Nervensystems dauerhaft in das betreffende Körperteil ein und kann sich nicht mehr aus ihm zurückziehen.4 Der Betroffene erlebt es wie etwas, das nicht mehr zu ihm gehört, von dem er ‚frei‘ ist. Oder, wie die Autoren bemerken: Er erlebt es wie ein Stück ‚Außenwelt‘.

Lähmung ist somit Ausdruck einer dysfunktionalen Ich-Organisation, die eine zu starke Verbindung mit dem physischen Körper eingegangen ist. Eine gelähmte Gliedmaße entzieht sich der körperlichen Selbstkontrolle und intentionalen Handhabe durch das Ich.

Vgl. „Einleitung zu Band 15, Schriften zur Anthroposophischen Medizin, Kritische Edition der Schriften Rudolf Steiners“, frommann-holzboog Verlag, Stuttgart 20255

  1. Rudolf Steiner, Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst, GA 27.
  2. Ebenda, S. 1 und S. 16.
  3. Zur philosophischen Betrachtung der Ich-Organisation als einer auch außerhalb des physischen Leibes zu verortenden Gesetzmäßigkeit vgl. den sogenannten Bologna-Vortrag vom 8. April 1911 in GA 35. Eine differenzierte Betrachtung in physiologischer Hinsicht bezüglich der leibbildenden Wesensgliedertätigkeiten und der ‚seelisch freien‘ findet sich in GA 326, Vortrag vom 1. Januar 1923.
  4. Ebenda.
  5. In Band 15 der SKA findet sich auch das umfangreiche Literatur- und Referenzverzeichnis. Wer den Inhalt weiter vertiefen möchte, kann sich dort darüber informieren.