Pädagogische Begleitung der ätherischen Konstitutionstypen
Welche Aspekte sind bei der pädagogischen Begleitung der Kinder dieser Konstitution zu beachten?
Was wird wodurch pädagogisch bewirkt?
Welche Anforderungen stellt diese Aufgabe an den Lehrer?
Begabungen und Herausforderungen
Rudolf Steiners Wesensbeschreibungen von Kindern gegenüber Lehrern und Schulärzten sind keine Defektanalysen, die aufzeigen, was dem Kinde fehlt oder was bei ihm nicht stimmt.1 Er beschreibt vielmehr Begabungen, Eigentümlichkeiten und Wesensverwandtschaften, so auch in Bezug auf die ätherischen Konstitutionstypen.
Demnach tragen himmelsbegabte Kinder einen Reichtum in sich, den sie aber noch nicht richtig äußern und für die Erde fruchtbar machen können.
Die erdbegabten Kinder sind sachorientiert und ihrer Umwelt zugewandt, aber noch zu wenig besonnen, weshalb sie von ihrer Begabung noch keinen wirklichen Gebrauch machen können.
Im Folgenden sollen die Begabungen und Herausforderungen der beiden Konstitutionstypen des Ätherischen näher beleuchtet werden. Ihre jeweilige konstitutionelle Disposition, die sich durch Stimmung und Verhalten äußert, erfordert genau darauf abgestimmte pädagogische Maßnahmen.
A Pädagogische Begleitung des kosmischen Kindes
Grundsätzlich muss der Lehrer jedes Kind da abholen, wo es steht. Doch kommt es beim kosmischen Kind insbesondere darauf an, alles zu Betrachtende so darzustellen, dass starke Gefühlsspannungen hervorgerufen werden.
- 1. Starke Gefühle hervorrufen
An einem Elternabend berichtete die Mutter eines kosmischen Kindes beispielsweise, dass ihr Sohn, der die fünfte Klasse besuchte, ihr während der Geschichtsepoche jeden Tag begeistert das Neueste von Rom erzählte. Eines Tages sei er jedoch wortlos nach Hause gekommen, sei an der offenen Küchentür vorbeigegangen, habe seinen Ranzen in die Ecke geworfen und nur im Vorbeigehen verzweifelt gerufen: „Mama, Cäsar ist tot!“ Daraufhin sei er in seinem Zimmer verschwunden und habe sich vorerst nicht mehr blicken lassen. Hier ist es dem Lehrer gelungen, starke Gefühle hervorzurufen, die noch bis zu Hause nachgewirkt haben. Das ist ideal für kosmische Kinder.
- 2. Gefühlsgrundlage für exaktes Wissen schaffen
Die genaue Jahreszahl zu wissen, wann Cäsar starb, und ob auch alle Einzelheiten genau so waren, wie sie der Lehrer aus dem Augenblick heraus schilderte: was Cäsar für Kleider trug, wie er lächelte, wie er ging, ist für die Entwicklung des kosmischen Kindes nicht so wichtig. Das wird an den verschiedenen Schulen ohnehin unterschiedlich dargestellt. Entscheidend ist, dass das, was als Wesen des Cäsar im Lehrer lebt und durch ihn zum Kinde spricht, von diesem gefühlsmäßig so aufgenommen wird, dass dadurch eine persönliche Beziehung zu Cäsar und seiner Zeit entsteht. Es kommt darauf an, über die Gefühle das Interesse und die Motivation für den exakten Wissenserwerb zu wecken, der in späteren Jahren erfolgt.
B Pädagogische Begleitung des irdischen Kindes
Auch hier ist es empfehlenswert, die Kinder da abzuholen, wo sie stehen, ihnen also einerseits stimmungsmäßig zu begegnen und andererseits ihre ausgesprochene Bewegungsbegabung zu nützen.
- 1. Mit Moll-Stimmung abholen
Wenn ein Kind nun einen melancholischen Wesenszug hat, holt man es mit einer Moll-Stimmung ab und arbeitet Schritt für Schritt an deren Aufhellung. Die Aufgabe für den Lehrer besteht darin, in sich selbst eine solche melancholisch-moll-gestimmte Seelenstimmung lebendig werden zu lassen, um das Kind überhaupt erreichen zu können.
- 2. Bewegungsbegabung nutzen
Über ihre Bewegungsbegabung sind die irdischen Kinder leicht abzuholen,
sei es über innere Bewegung , wie bei Musik und Singen,
sei es über äußere Bewegung , wie bei Gymnastik, Eurythmie, Turnen, Sing- und Theaterspiel.
So kommen der Musik und der Eurythmie eine Schlüsselstellung in der Therapie der irdischen Kinder zu. Das stellt eine große Herausforderung für die Lehrer dar, denn gerade diese Kinder sind es, die sich in der Eurythmie auf den Boden schmeißen und zunächst einmal nicht mitmachen wollen.
Wenn man einen solchen „Wildfang" in der Klasse hat, sollte man mit einer Bewegungseinheit beginnen, in der sie sich fast uneingeschränkt bewegen dürfen. So können sie sich einige Minuten lang so richtig austoben, vor allem, wenn davor ein Unterricht war, bei dem sie stillsitzen mussten. Aus der freien Bewegung kann man dann zu Bewegungsübungen überleiten, indem man z.B. irdischen Kinder die Aufgabe gibt zu beobachten, wo eine Bewegung oder eine Form bei einer Gruppe von Schülern schön gelungen ist. Man lenkt ihr Bewusstsein auf die Schönheit und Stimmigkeit einer Bewegung. Wenn sie wollen, dürfen sie diese Übung nun der übrigen Klasse vorzeigen.
Dadurch erwacht eine Empfindung für die eigene Begabung. Die Kinder lernen, ihre Wesensbegabung, sich zu bewegen und sich mit allem Irdischen in Beziehung zu setzen, bewusster zu handhaben. Durch die häufige Wiederholung solcher Erlebnisse wird aus einer problematischen Einseitigkeit des reinen Bewegungsdranges hin zu geführten Bewegungen eine wichtige Lebensfähigkeit: zupacken zu können, rasch und aufmerksam zu reagieren und Dinge auch umzusetzen.
- 3. Gefühle für das Prozessuale wecken
C Beiden Konstitutionstypen helfen, Weltgefühl zu entwickeln
Wir sehen, sowohl die einseitige „Erd"- wie auch die einseitige „Himmels"-Begabung können über eine spezifische Stärkung des Gefühlslebens reguliert werden. Denn erst durch
- das das Gefühl für seine Gedanken , (kosmisches Kind)
- bzw. das Gefühl für seine Handlung , (irdisches Kind)
werden Gedanke und Handlung dem jeweiligen Kind bewusst. Erst durch eine starke Empfindung lernt das Kind, auch den schwächeren Pol seines Wesens zu erspüren und immer bewusster und souveräner damit umzugehen. Es geht also darum, die einseitige Begabung zu regulieren, um innerhalb der Wesensanteile einen Ausgleich zu ermöglichen. Keinesfalls soll die jeweilige Begabung unterdrückt werden. Der Kernbegriff Rudolf Steiner zur Behandlung der irdischen und kosmischen Kinder lautet: „Weltgefühl entwickeln“. Damit ist gerade auch das Gefühl für das jeweils andere gemeint.
Künstlerische Behandlung der Unterrichtsinhalte
Zur Anregung des Gefühlslebens brauchen beide, das irdische wie auch das kosmische Kind, eine künstlerische Behandlung der Unterrichtsinhalte. Denn in der Kunst geht es um Empfinden, Gefühl, Erleben und um nie endendes Üben. Der Lehrer muss selbst zum Künstler werden, damit er die Inhalte auch dramatisch darzustellen vermag. Z.B. sollte er sogar Bodenformationen wie den Granit mit persönlicher Anteilnahme beschreiben können: was dieser erlebt im Lauf der Evolution in den nordischen Bergen, am Fjord, was auf ihm lastet, wofür er steht.
Die Aufgabe besteht darin, alles zu erfühlen: Licht und Farbe, Erzähltes, wie auch Musikalisch-Bewegtes und Klanghaft-Irdisches. Manch ein Lehrer mag sich sagen: „Ich kann doch nicht für jedes Kind im Unterricht etwas Besonderes machen, das geht gar nicht." Das ist auch nicht nötig. Denn wenn er sich als Richtlinie nimmt, den Kindern zu helfen, Weltgefühl zu entwickeln, und daraufhin an seinen Gesten, seinem Ausdruck und seiner Sprachmelodie arbeitet, wird er jedem Schüler gerecht werden. Denn dadurch wird der gesamte Unterricht interessanter.
- Konkrete Auswirkung auf das ‚kosmische’ Kind
Ein solcherart durchgeführter Unterricht bringt die kosmischen Kinder auf die Erde. Indem sie tief mitempfinden und fühlen, was bei ihnen durch die Schilderung des Lehrers in ihrem Denken aufleuchtet, entsteht ein Wirklichkeitsbezug, der Weltinteresse hervorruft. Ein gefühlter Bezug zur realen Welt, zu ihrer konkreten Umgebung kann so erwachen und wirkt sich durch die geweckte Empfindung auch auf das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System aus: Die Gedanken der kosmischen Kinder bekommen „Hand und Fuß“.
- Konkrete Auswirkung auf das ‚irdische’ Kind
Umgekehrt kommt das „kopflose", bewegungsbegabte Kind durch das Erleben der Kraft und Schönheit einer Bewegungsform bis hin zum Beherrschen-Können einer Bewegung immer mehr „zu sich“ und findet so nach und nach Anschluss an das Denkvermögen, das es als geistiges Vermögen aus dem Vorgeburtlichen mitgebracht hat.
D Vergleich von physischer und ätherischer Konstitution
Man könnte nun fragen:
Ist Kleinköpfigkeit (vgl. Konstitutionstypen von Kindern: Das kleinköpfige Kind als Konstitutionstyp im Physischen) mit dem irdischen Aspekt des Kindes identisch und entsprechend die Großköpfigkeit (vgl. Konstitutionstypen von Kindern: Das großköpfige Kind als Konstitutionstyp im Physischen) mit dem kosmischen?
Dem ist nicht so. Es gibt großköpfige wie auch kleinköpfige Kinder, die mal eine irdische, mal eine kosmische Betonung aufweisen.
Die Groß- und Kleinköpfigkeit sind Ausdruck der physischen Konstitution bedingt durch das Zusammenwirken des Nerven-Sinnessystems mit dem Stoffwechsel (vgl. Konstitutionstypen von Kindern: Grundsätzliches zu den Konstitutionstypen im Physischen). Die Behandlung zielt dementsprechend auch auf eine Unterstützung der physischen Funktionen wie Ernährung und Sinneswahrnehmung ab.
Beim irdischen und kosmischen Kind geht es um die ätherische Konstitution, die dem Ich des Kindes mehr oder weniger hilft bei seinem Bemühen, das Erbgut dem eigenen Schicksal gemäß ich-haft anzupassen bzw. umzuformen (vgl. Konstitutionstypen von Kindern: Konstitutionstypen der ätherischen Organisation). Die ererbte Konstitution des irdischen Kindes bietet mehr Widerstand, das kosmische Kind hingegen bringt einen Überschuss an ätherischen Bildekräften aus dem Vorgeburtlichen mit.
Vgl. „Gesundheit und Erziehung“, Kapitel 14
- Rudolf Steiner, Konferenzen mit den Lehrern der Freien Waldorfschule in Stuttgart, Bd. 2, Konferenz vom 6.2.1923, GA 300b, Dornach 1925.