Das Geheimnis des Merkurstabs
Was ist unter dem „Geheimnis des Merkurstabs“ zu verstehen?
Wie kann dieses neue Mysterien-Prinzip angewandt werden in Diagnostik und Therapie?
Was besagt der esoterische Krankheitsbegriff?
Wie können mit seiner Hilfe die Kräfte „des Oberen und des Unteren“ wieder an den rechten Ort gebracht werden?
Der esoterische Krankheitsbegriff
Der esoterische Krankheitsbegriff ist eng mit dem „Geheimnis des Merkurstabs“ verbunden. Er besagt, dass der Mensch etwas, das er in seinem Leben offensichtlich „zu seinem Heil“ braucht, nicht auf dem gesunden Wege „am rechten Ort und zur rechten Zeit“ durchmachen bzw. lernen konnte (vgl. Krankheit: Der esoterische Krankheitsbegriff). Nun gibt ihm sein persönliches, soziales bzw. das menschheitliche Schicksal die Gelegenheit, das Erwünschte auf dem Krankheitswege durchzumachen und so das Lern- bzw. Entwicklungsziel zu erreichen:
- Was wir bewusst auf dem Erkenntnisweg erarbeiten, ist von Michael inspiriert.
- Was wir unbewusst durch Schmerz und Leid erringen, wird von Raphael begleitet.
Das ist mit dem „Geheimnis des Merkurstabs“ als neuem Mysterien-Prinzip gemeint.
Rudolf Steiner sagt von diesem „Geheimnis des Merkurstabs“, dass Ärzte und Therapeuten es immer besser handhaben lernen sollten. Dabei kann uns die offene Lemniskate des Merkurstabs helfen, denn sie bildet ab, worum es bei diesem neuen Mysterien-Prinzip geht: um die Funktionsdynamik des Ätherischen (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Ätherleib und Merkurstab). Nicht nur ist diese Dynamik unserem Herzen zutiefst eingeschrieben wie ein Siegel, sie bestimmt auch über den ganzen Kreislauf, ja über unsere gesamte menschliche Konstitution. Unser physischer Leib ist aufgebaut durch ätherische und astrale Kräfte sowie durch Kräfte der Ich-Organisation. Diesem Aufbau liegt ein unglaublich lebendiges, kraftvolles, Gesetzes-Prinzip zugrunde, das sich unserem Bewusstsein entzieht.
Ita Wegman beschreibt den Schlüssel zu diesem neuen Mysterien-Prinzip, das ein Raphael-Mysterium ist, in ihrer Vorrede zu dem gemeinsam von ihr und Rudolf Steiner verfassten Buch „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“.1 Rudolf Steiner hatte ihre Vorrede zwar nicht in die Druckfassung des Buches übernommen, sie blieb aber erhalten und wurde von Walter Holtzapfel, von 1969 bis 1977 Leiter der Medizinischen Sektion, erstmals im Rundbrief der Sektion publiziert.2
Krankheit physisch und geistig gesehen
Ita Wegman schreibt dort von zwei Hauptursachen des Krankseins (auf die wir hier nicht näher eingehen wollen), die beide vom Physischen und vom Geistigen aus gesehen und beschrieben werden können:
„Ein kranker Mensch ist aber immer ein ganz individueller Fall. Es gibt nicht zwei Menschen, die in gleichem Sinne krank sein können. Die Naturdinge, die ungeistig sind, führen auf allgemeine Gesetze zurück. Das Individuelle ist immer der Ausdruck der Wirksamkeit seelisch-geistiger Gesetze. Diese Gesetze sind nicht in Begriffe zu fassen, sondern nur für die Anschauung erreichbar. (...)
Die Seelenübungen, die zur geistigen Anschauung führen, bestehen entweder in einer Abschwächung oder einer Verschärfung des Seelenlebens. Die Abschwächung des Seelenlebens ist innerhalb des Seelischen eine Nachahmung der Krankheiten der ersten Art, die Verschärfung eine Nachahmung der Krankheiten der zweiten Art. Wer also die Seelenverfassung kennt, die aus solchen Übungen stammt, kennt die Krankheiten, denn er hat in seinen Seelenzuständen Bilder davon. Beschreibt er durch das, was er an diesen Bildern erlebt, die physischen Symptome der Krankheiten, so liefert er jedem Arzt Beschreibungen, die dieser nachprüfen kann. Hält die Beschreibung der Nachprüfung stand, so werden damit auch die Angaben des Erforschers des Geistigen bestätigt. Und lässt sich der Arzt immer wieder auf die Beschreibungen eines solchen Geistesforschers ein, so kann er sich aus dessen Schilderungen des Symptomen-komplexes nach und nach selbst die geistige Anschauung erwerben. Wir sind durchaus der Meinung, dass das ganz richtige Lesen dieses Buches jeden Arzt in die Lage versetzt, selbst die Krankheiten geistig anzuschauen.“3
Es geht also darum, zu verstehen, dass der Übungsweg aus „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“4 mit Mühen und seelischen Schmerzen verbunden ist, die denen entsprechen, die der Körper erleidet, wenn er krank ist. Krankheit erscheint der geistigen Anschauung als ein Kraftkomplex, der sich eigentlich hätte seelisch-geistig betätigen sollen, nun aber am falschen Ort leiblich aktiv wird.
Sinnfindung durch Umgang mit den geistigen Urbildern von Krankheiten
Es ist Aufgabe des Arztes, hinter jeder körperlichen Krankheit das Geistige zu sehen, das sich in dieser Krankheit am falschen Ort manifestiert. Damit wird aber auch der Sinn der Krankheit im individuellen Schicksal erkannt und die Krankheit „als physische Imagination vom geistigen Leben“5 angeschaut, wie es Rudolf Steiner im Jungmedizinerkurs6 zum Jahresanfang 1924 formuliert hatte. Therapie bedeutet in diesem Kontext, das Physisch-Imaginative auf den (Rück)Weg zur Gesundung, d.h. zum richtigen Ort, dem Geistig-Imaginativen zu bringen. So gesehen wäre das Buch zur Selbstschulung von Rudolf Steiner „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ auch unter dem Aspekt zu lesen, welcher Krankheit dadurch vorgebeugt werden kann, wenn man eine der dort beschriebenen Übungen macht. Autoimmunerkrankungen können z.B. als leibliche Projektion der geistigen Übung, „sich selbst wie ein Fremder gegenüber zu stehen“ angesehen werden.
Gelingt es einem Menschen nicht, ein für dieses Leben seelisch-geistig veranlagtes Lernziel zu erreichen, so wählt er sich zum Ausgleich den unbewussten Weg durch die Krankheit, um das gewünschte Ziel so doch noch zu erreichen (vgl. Krankheit: Krankheit als Erkenntnisweg der Natur).
Anforderungen an den Arzt
Wenn der Erkrankte nicht nach diesen esoterischen Hintergründen fragt, sollte der Arzt darüber schweigen (vgl. Anthroposophische Medizin: Heilsames Zusammenspiel von Therapeut und Patient). Denn dann besteht die Gefahr, dass der hier geschilderte Tatbestand Schuldgefühle im Kranken weckt, die seine krankhafte Symptomatik verstärken können. In diesem Fall kann der Arzt das geistige Gegenstück der Krankheit im Bewusstsein haben, wenn er dem Kranken gegenübertritt. Dann wirkt er durch seine Gegenwart „gesundend“ auf den Patienten (vgl. Anthroposophische Medizin: Wirkfaktoren in der Anthroposophischen Medizin).
Gleichzeitig ist der Umgang mit diesen geistigen Urbildern auch für den Arzt die beste Prävention. Denn indem er mit den entsprechenden Übungen arbeitet, im Grunde also geistig und seelisch mit den Gegenbildern der Krankheiten lebt, haben diese Kräfte bei ihm keine Veranlassung, sich an falschen Orten kränkend zu betätigen.
So tritt in der Anthroposophischen Medizin zu den schulmedizinischen und komplementärmedizinischen Therapieverfahren noch die Möglichkeit hinzu, durch ein spirituelles Krankheitsverständnis Prävention, Krankheit und Heilung in ihrem Zusammenhang tiefer zu verstehen (vgl. Anthroposophische Medizin: Anspruch und Aufgabe). Diese Einsichten therapeutisch handhaben zu lernen, kann u.a. Wesen und Inhalt einer Raphael-Schule sein (vgl. Erzengel Raphael: Die harmonisierende Kraft des Karma und die Schule Raphaels).
Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015
- Rudolf Steiner und Ita Wegman, Grundlegendes zu einer Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27, Dornach 2007.
- Wiederabdruck in: Rundbrief für die Mitarbeiter der Medizinischen Sektion am Goetheanum in aller Welt. Nr. 2, Advent 1993.
- Ita Wegman, nicht veröffentlichte Vorrede zu Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst, Siehe Seiten 43-46.
- Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten?, GA 10.
- Rudolf Steiner, Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst, GA 316, Dornach 2009, S. 104.
- Rudolf Steiner, Jungmedizinerkurs, GA 316.