Inkarnationsimpulse von Kindern erkennen
Wie lassen sich die unterschiedlichen Impulse beschreiben, aus denen heraus der Mensch sich inkarniert?
Welches Grundthema liegt den jeweiligen Inkarnationsimpulsen zugrunde?
Charakteristika der fünf wesentlichen Inkarnationsimpulse
Ich finde es immens wichtig zu wissen, dass Kinder aus ganz unterschiedlichen spirituellen Richtungen stammen. Sigismund von Gleich, ein Schüler Rudolf Steiners, verfasste vor Jahren einen kleinen Essay über die fünf Inspirationsquellen der Anthroposophie, der leider vergriffen ist. Diese fünf Inspirationsquellen können uns helfen, zu beobachten und zu verstehen, aus welcher weisheitsvollen Welteninspiration ein Kind kommt.
Es gibt interessanterweise fünf wesentliche Impulse. Das hängt mit dem fünfgliedrigen Charakter des Menschen als Pentagramm zusammen: mit seinen vier Wesensgliedern und dem fünften Prinzip.
- 1. Der Karmaimpuls
Der physische Aspekt hat seine Entsprechung im Karmaimpuls: Viele Kinder kommen auf die Erde, um Karma zu ordnen, ihr Schicksal zu verstehen, um mit ihrer Biografie zurechtzukommen (vgl. Schicksal und Karma: Schicksalserleben – persönlich, beruflich-sozial und zeitgeschichtlich). Rudolf Steiner sagt, der Lehrer müsse die Kinder, die es betrifft, dabei unterstützen und ihnen so helfen, ihr Karma auszugleichen.
- 2. Der Gralsimpuls
Der ätherische Aspekt hat seine Entsprechung im Gralsimpuls, der Suche nach dem Heiligen Gral, nach dem Camino, dem inneren Weg: Kinder, die diesem Impuls folgen, können schon beim ersten Hören des Wortes „Gral“ ganz sensibel darauf reagieren. Sie tragen eine tiefe Sehnsucht nach ihrem Weg in sich (vgl. Selbsterkenntnis und Selbsterziehung: Der individuelle Schulungsweg). Denn sie sind auf die Erde gekommen, um ihren eigenen Weg und damit sich selbst zu finden (vgl. Selbsterkenntnis und Selbsterziehung: Der geheimnisvolle Weg nach Innen).
- 3. Der Sophia-Impuls
Der astrale Aspekt hat seine Entsprechung im Sophia-Impuls: Dem folgt heute jedes fünfte Kind: Dazu gehören diejenigen, die traumatisiert sind, denen Gewalt angetan wurde, die vernachlässigt und beschämt wurden, die sich schmutzig und schuldig fühlen. Weisheit wird durch Schmerz und Vernichtungserlebnisse erworben, durch die Verwandlung, die sich auf dem Weg durch den Abgrund vollzieht. Zerstörung ist die Voraussetzung dafür, dass ganz bewusst etwas Neues entstehen kann.
Ein Schwert solle durch das Herz der Maria gehen, heißt es im Evangelium. Und Goethe hat in seinem Gretchen-Gebet im Faust diesem Sophia-Impuls ein Denkmal gesetzt: „Neige, Du schmerzensreiche Maria, Dein Antlitz gnädig meiner Not. Das Schwert im Herzen, mit tausend Schmerzen blickst auf zu Deines Sohnes Tod.“1
- 4. Der Michaelimpuls
Der Ich-Aspekt hat seine Entsprechung im Michaelimpuls: Der Drachen muss besiegt werden! Das Ich muss sich individualisieren und das kann es nur, wenn es den Mut hat, alles, was nicht ich-haft ist an sich und an anderen, nicht abzulehnen und schrecklich zu finden, sondern als nötigen Widerstand zu nehmen, an dem man die eigene Ich-Kraft stählt. Goethe sagt, die schwerste Lebensprobe wäre, das Niedere in sich selbst zu überwinden.
Die Anthroposophie folgt dem Michaelimpuls (vgl. Freie Hochschule für Geisteswissenschaft: Freie Hochschule für Geisteswissenschaft als-Michael-Schule). Es gibt Kinder, die verlieben sich in das erste Michaelbild, das sie sehen, wollen die Postkarte haben und sie bei sich zuhause aufstellen. Diese Kinder gehen getröstet ins Leben, wenn sie michaelische Kultur in ihrem Umfeld erleben dürfen.
- 5. Der Christusimpuls
Unser Denken, Fühlen und Wollen (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Denken, Fühlen und Wollen und Leib, Seele und Geist) ist dazu aufgerufen, dem Christusimpuls zu folgen, diesem „guten Geist der Menschheit“ (vgl. Christus heute: Christusimpuls als Schule der Selbstlosigkeit). Denn solange wir Menschen noch in Gruppen zerfallen und der einzelne nicht lernt, sich als Angehöriger der ganzen Menschheit zu fühlen, ist weder die Individualisierung richtig verstanden worden, noch der Sinn des Menschseins, der sich erst enthüllt, wenn man Anschluss an den Geist der Menschheit, den Christus, gefunden hat.
Mögen diese fünf Inspirationsquellen der Anthroposophie uns stärken, verbinden, Zukunft stiften und immer wieder zu guten Taten inspirieren (vgl. Kunsttherapie: Aspekte zum Werk Albert Steffens).
Vgl. „Kinder verändern sich – wie kann Erziehung mithelfen?“ Vortrag zum 40jährigen Jubiläum des Waldorferzieherseminars in Stuttgart 2015
- Johann Wolfgang von Goethe, Faust: Eine Tragödie, Kapitel 21.