Medienmündigkeit und Technik
Wie wirkt sich die Entwicklung von Technik auf die Entwicklung des Menschen aus?
Was zeichnet einen pädagogisch sinnvollen Umgang mit Technik aus?
Wann ist ein Kind medienmündig?
Schrittweise Technisierung
Technik und die Multimedia-Kultur prägen zunehmend das Leben der Erwachsenen und damit auch der Kinder. Das hat tiefgreifende Folgen, die sich in der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten 200 Jahre spiegeln. Ein entwicklungsfreundlicher Umgang mit dieser elektronischen Welt hat zur Bedingung, dass die Folgen der Technisierung für die Entwicklung des Menschen in ihrer Tragweite erkannt werden (vgl. Medienpädagogik: Technische Entwicklung und brennende Gegenwartsfragen).
- 1. Maschinelle Produktion
Beginnend mit der industriellen Revolution in England in der Mitte des 18. Jahrhunderts kam die Umstellung von der Handarbeit auf die maschinelle Produktion in großem Stil. Grundlage hierfür war die Entwicklung der Dampfmaschine, gefolgt von Generationen von Verbrennungsmotoren.
- 2. Großtechnische Nutzung der Elektrizität
Die Elektrifizierung des Lebens bewirkte enorme gesellschaftliche Umwälzungen. Es ist kaum vorstellbar, in welch kurzem Zeitraum sich die Nutzung der Elektrizität global ausbreitete und Neuerungen ermöglichte wie:
die Elektrifizierung der Haushalte
kleinere und handlichere Maschinen
eine Fülle an neuen Messinstrumenten.
Heinrich Goebel erfand 1854 die Glühbirne, Thomas Edison weiter optimierte sie 1879 und machte sie dadurch wirtschaftlich erfolgreich.
In denselben Zeitraum fällt die Erfindung des Kinematografen (Filmaufnahmeapparat) sowie des Kohlekörnermikrofons.
- 3. Entwicklung von Informationstechnologie
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte dann die dritte große technische Revolution ein. Maschinen wurden entwickelt, die Intelligenzarbeit übernehmen können: die Informations- und Computersysteme.
- 4. Umfassende Digitalisierung
Aktuell ist die zunehmende Digitalisierung des gesamten Lebens in ihren Auswirkungen zu beobachten.
Tiefgreifende Folgen für die Menschheit
Diese technischen Entwicklungen haben den „menschlichen Willen“ und seine Arbeitskraft auf körperlicher, seelischer und geistiger Ebene nicht nur entlastet (vgl. Medienpädagogik: Befreiung durch Technik und ihre Folgen), sondern machten ihn schrittweise überflüssig – was dazu führte, dass durch diese dreifache technische Revolution große Schübe von Massenarbeitslosigkeit mit sich gebracht hatte.
Damit einher gingen und gehen neben der Verarmung geradezu epidemische Erscheinungen von Sinnlosigkeitserleben, Resignation und Depression. Millionen von Menschen erleben sich nicht mehr als sinnvoll tätig in das gesellschaftliche Leben integriert.
Problematisch im Zusammenhang mit der technischen Entwicklung ist die fehlende Sinnbestimmung des eigenen Wollens, und das Überflüssig-werden vieler eigener Fähigkeiten. Denn Arbeit bedeutet immer auch Entwicklung von Fähigkeiten und ein damit verbundenes Sinnerlebnis. Es lähmt das schöpferische Vermögen, wenn man von den Maschinen alles und von sich selbst nicht viel zu erwarten hat. Auch erzieht es zu Anspruchshaltung und Undankbarkeit, wenn man selbst keinen Maßstab gewonnen hat für dasjenige, was einem durch die maschinellen Leistungen an eigener Arbeit erspart wird.
Goldene Regel für den Umgang mit Technik
Daraus ergibt sich für den pädagogischen Umgang mit Technik in der Erziehung eine goldene Regel (vgl. Medienpädagogik: Goldene Regel für den Umgang mit Technik und Medien):
Erst so weit wie möglich die Arbeit selber machen und erleben, bevor sie an die Maschine abgegeben wird.
So wie auch im Laufe der Geschichte die Übernahme menschlicher Arbeit durch Maschinen erst sukzessive erfolgt ist, so ist es auch für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen notwendig, dass sie die verschiedenen Bereiche menschlicher Arbeit und Befähigung selbst kennen und entwickeln lernen, ehe sie sich diese durch die entsprechenden Maschinen abnehmen lassen (vgl. Medienpädagogik: Medienpädagogik und Erziehung zur Freiheit). So ist es wichtig, Kindern vorzuleben, dass es nicht selbstverständlich ist, dass jederzeit warmes Wasser aus der Leitung kommt und Licht sowie Energie in beliebiger Menge per Knopfdruck verfügbar sind.
In der Schule sollte der Taschenrechner bzw. Rechencomputer erst dann eingeführt werden, wenn die Fähigkeiten im Bereich der Grundrechenarten und insbesondere des Kopfrechnens bis zu einem gewissen Grad entwickelt sind (vgl. Medienpädagogik: Grundlegendes zu Technikunterricht und Lernen mit digitalen Geräten). Der Computer sollte nicht benützt werden und zum ständigen Begleiter der Schüler geworden sein, bevor sie die Arbeiten kennen und schätzen gelernt hat, die er übernimmt, und bevor sie wissen, wie er überhaupt funktioniert (vgl. Medienpädagogik: Das entwicklungsorientierte Mediencurriculum der Waldorfpädagogik/).
Natur und Kunst als Ausgleich
Wie gut für ein Kind, wenn es Urlaubserfahrungen auf einem abgelegenen Bauernhof machen darf: beim Camping bzw. Urlaub in zivilisationsferner Umgebung, wo die Wäsche noch von Hand gewaschen werden muss, Wasser über dem Feuer oder mit Hilfe eines Gaskochers erwärmt wird, so dass man den Segen technischer Errungenschaften wirklich schätzen lernt (vgl. Medienpädagogik: Welt und Menscheninteresse entwickeln).
Es ist sehr hilfreich, wenn Kinder singen, malen, gestalten, tanzen und Theater spielen lernen, bevor sie durch die Welt der Bilder, Farben und Töne infolge der optischen und akustischen Medien mit Eindrücken überschüttet werden und das eigene schöpferische Vermögen lahm gelegt zu werden droht (vgl. Medienpädagogik: Negative Folgen einer zu frühen Gewöhnung an digitale Medien).
Mit Energie und Technik muss so umgegangen werden, dass die Kinder lernen können, dass die Ressourcen nicht unbegrenzt sind und der Einsatz technischer Möglichkeiten nur da geschehen sollte, wo er tatsächlich gebraucht wird und sinnvoll ist.
Natur und Mensch nicht mit Maschinen verwechseln
Darüber hinaus ist es wichtig, dass Natur, Mensch und das soziale Umfeld nicht mit Maschinen verwechselt werden: Zur Technik gehören Perfektion und Optimierung. Defekte werden repariert, unbrauchbar gewordene oder alte Modelle verschrottet. Wird das so an der Technik geschulte Verhalten auf Mensch und Natur übertragen, treten Probleme auf (vgl. Medienpädagogik: Herausforderungen des digitalen Zeitalters für Erziehung und Therapie).
Diese werden noch dadurch verschärft, dass Kinder und Erwachsene sich im Umgang mit „ihrem Computer“ oder „ihrem Handy“ über viele Stunden des Tages sehr persönlich beschäftigen. Was Menschen in der Begegnung miteinander oft vermissen – volle Aufmerksamkeit, Interesse für die Reaktionen, Fragen, Nöte und Sorgen des anderen –, wird mit einer bestürzenden Selbstverständlichkeit den Computern zugewendet. Je mehr seelischer Umgang dieser Art mit den Maschinen gepflegt wird, die so reagieren, wie man es erwartet, oder die, nachdem man einige Korrekturen vorgenommen hat, den Erwartungen entsprechen, desto stärker wird dadurch ein Verhalten eingeübt, welches anderen Menschen gegenüber und insbesondere der Natur gegenüber versagt (vgl. Medienpädagogik: Differenzierter Umgang mit Natur, Mitmensch und Technik).
Denn Mensch und Natur reagieren nicht im vorgelegten Schema, sondern aus ihren eigenen Lebens- und Entwicklungsbedingungen heraus. Das seelisch so enge Zusammenleben mit den Möglichkeiten der Technik fördert unbewusst ein distanziertes Verhalten zur Umwelt, so dass es nicht verwunderlich ist, wenn der Umgang mit anderen Menschen auf der sogenannten Beziehungsebene immer schwieriger wird.
Menschliches Zusammenleben erfordert die Fähigkeit, auch Fehler und Fehlverhalten anzunehmen, selbst wenn diese nicht „rasch behebbar“ sind, sondern man mit ihnen erst einmal leben lernen muss. Offen zu sein für Lernprozesse, für Neues, Unerwartetes – das ist es, worauf es ankommt.
Vgl. Kapitel „Kind und Technik“, aus der „Kindersprechstunde“, M. Glöckler und W. Göbel, Verlag Urachhaus, Stuttgart 2005