Vom Wesen des empfindenden Organismus (Astralleib)

Was unterscheidet Pflanze und Tier?

Was ist unter irdischen und was unter kosmischen Einflüssen zu verstehen?

Wie wirken sie auf Pflanze, Tier und Mensch?

Inwiefern ist die astralische Organisation aus der physischen herausgehoben?

Vom lebendigen zum empfindenden Organismus

Im Zentrum des vierten Kapitels von „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“1 steht der ‚Astralleib‘ als Träger der menschlichen (und der tierischen) Empfindungen. Das Astralische ist ebenfalls ein ganzheitlich wirksames Kräftesystem, welches den lebendigen zum empfindenden Organismus umgestaltet und dadurch auch das Stoffwechselgeschehen grundlegend verändert.

Rätselhafte Sinnesempfindung

In der gegenwärtigen naturwissenschaftlich orientierten Medizin wird die Empfindung primär neurophysiologisch und neuropsychologisch definiert. Auf dem Gebiet der Sinnesphysiologie gilt sie gemäß dem Reiz/Reaktionsprinzip als Elementarvorgang, als primär gegeben.

In Abweichung von diesem Trend sah Herbert Hensel die Sinnesphysiologie nicht nur als Eintrittstor in das Feld vielfältiger Phänomene im Bereich der Sinneswahrnehmungen an (vgl. Sinne(spflege): Problem der Vernetztheit der Sinne), sondern als eigenständiges Gebiet der Naturwissenschaft und als geeignet, neue Grundlagen für epistemologisches Denken zu bilden.2

Wer sich mit der Wahrnehmung des Menschen befasst, wird in einen Bereich geführt, der vor und zwischen allen positiven Wissenschaften liegt. Die Sinneslehre als autonome Wissenschaft ist ein Niemandsland zwischen den etablierten Disziplinen. Gerade dadurch ist sie berufen, bei einer Neubesinnung auf die Grundlagen der Wissenschaften mitzuwirken und neue Erkenntniswege zu bahnen.3

Aus dem Physischen herausgehobene astralische Organisation

In Kapitel IV wird das astralische Kräftesystem (der Astralleib) in seinem Verhältnis zum Ätherischen und Physischen als aus diesen Kräftesystemen ‚herausgehoben‘ beschrieben (vgl. Natur und Kosmos: Dreiheit der Organgliederung des tierischen und menschlichen Organismus).4

Am pflanzlichen Atmungsorgan – dem flächenhaften Blatt – zeigt sich im Laufe des Tag-Nacht-Rhythmus das Zusammenspiel der physischen und ätherischen Kräfte. Charakteristisch für die tierische und menschliche Organbildung sind dagegen die Prozesse der

  • Einstülpung,
  • Organ-Abfaltung
  • und Ausstülpung.

Sie sind astralischer Natur und beginnen bereits in der frühen Embryonalentwicklung mit der sogenannten Gastrulation und Neurulation. Dadurch entstehen Innenräume und Berühr- und Begegnungsflächen, die für die weitere Zell- und Organdifferenzierung entscheidend sind. Wer dieses komplexe und großteils gleichzeitig verlaufende Organbildungsgeschehen ‚steuert‘, ist bisher nicht bekannt.

Rudolf Steiner und Ita Wegman beschreiben diesen aufeinander bezogenen Kräftebereich bereits in Kapitel I des genannten Werkes als den astralischen.

  • Die Pflanzensubstanz überlässt sich ganz der Betätigung der aus- und einstrahlenden Außenkräfte des Ätherischen.

  • Die tierische (und die menschliche) Substanzbildung zeigt dagegen, dass sie Wirkungen unterliegt, die sie von diesen Kräften unabhängig macht.5

Induktionsvorgänge: Induktor und Indukt

Gut erforscht sind jedoch die sogenannten Induktionsvorgänge, d.h. man weiß, welche Gewebe zu welchem Zeitpunkt durch die gegenseitige Berührung das Auswandern bestimmter Zellen oder durch das Aussenden bestimmter Signalstoffe die Bildung eines Organs veranlagen, stimulieren oder vollenden helfen. Meist sind mehrere Faktoren dieser Art an der Organbildung beteiligt. Inzwischen gilt auch als gesichertes Wissen, dass die Induktionsprozesse vom umliegenden Gewebe, also von der Peripherie her, gesteuert werden und nicht zentral vom genetischen Apparat:

„Gegenwärtig weisen die meisten Untersuchungsergebnisse darauf hin, dass weniger der genetische Apparat selbst, als vielmehr die unmittelbare Umgebung einschließlich der benachbarten Gewebe, diese Entscheidung, was sich wann differenziert und entwickelt, maßgeblich bestimmen. So erscheint die für die normale Funktion eines Organs notwendige hochdifferenzierte Struktur durch die exakte Koordination der Bildungsprozesse einzelner ihrer Bauelemente während der Embryonalentwicklung sowie durch die Interaktionen von Einzelfaktoren erreicht zu werden. Das induzierende Gewebe nennt man Induktor und das induzierte Gewebe Indukt. Dabei haben Experimente insbesondere bei der Bildung des Auges gezeigt, dass das Indukt sehr spezifisch sein muss, der Induktor jedoch deutlich unspezifischer sein kann; entscheidend ist jedoch der richtige Zeitpunkt in der Begegnung zwischen Induktor und Indukt für die Bildung eines gesunden Organs am richtigen Ort im Zusammenhang mit den zeitgleich sich bildenden Organen an anderen Orten. Drei Prozesse laufen so zeitlich präzise aufeinander abgestimmt ab: die Proliferation (Zellwachstum), die Differenzierung von Zellen und Organen, und die Induktion und damit auch Integration der einzelnen Bildungen in das Ganze.“6 (vgl. Entwicklung: Embryonale Entwicklungsstadien und -gesten)

Der Inspiration unmittelbar zugänglich

Die astralischen Kräfte sind der inspirierten Erkenntnis unmittelbar zugänglich (vgl. Wille(nsschulung): Aufbau der Willensstufen aufeinander ): „Spricht man aber von ‚astralischer Welt‘, so geht man in Gemäßheit dessen, was das inspirierte Bewusstsein beobachtet, von den Wirkungen aus dem Weltumfang zu bestimmten Geist-Wesenheiten über, die in diesen Wirkungen sich offenbaren, wie in den von der Erde ausgehenden Kräften sich die Erdenstoffe offenbaren. Man spricht von aus den Weltenfernen wirkenden konkreten Geist-Wesenheiten, wie man beim sinnlichen Anblick des nächtlichen Himmels von Sternen und Sternbildern spricht. Daher der Ausdruck ‚astralische Welt‘.7, 8

Ergänzend dazu heißt es in Kapitel IV:

„Die ausstrahlenden Kräfte sind die irdischen, die einstrahlenden diejenigen des Welt-Umkreises der Erde; in den ‚astralischen‘ ist etwas vorhanden, das den beiden Kräftearten übergeordnet ist. Dies macht die Erde selbst erst zum Weltenkörper, zum ‚Stern‘ (astrum). Durch die physischen Kräfte sondert sie sich aus dem Weltall heraus, durch die ätherischen lässt sie dieses auf sich wirken; durch die ‚astralischen‘ Kräfte wird sie eine selbständige Individualität im Weltall.“9

Ineinandergreifen von Physischem, Ätherischem und Astralischem

In diesem Kontext wird verständlich, warum die Überschrift des IV. Kapitels „Vom Wesen des empfindenden Organismus“ lautet. Tiere offenbaren eigenständig Wesenhaftes durch Empfindung, Bewegung, Intentionalität. Doch geht es den Autoren nicht nur darum, die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Mineral, Pflanze und Tier dem Einfluss der verschiedenen Kräftewirkungen zuzuschreiben. Vielmehr ist der Blick wieder auf die Erdenstofflichkeit gerichtet, die sich unter dem Einfluss des dritten Kräftebereiches gegenüber der Pflanzensubstanz noch einmal grundlegend ändert und dadurch zum Träger der Empfindung werden kann.

Durch die Dominanz der astralischen Kräfte wird auch die Wirkungsweise der physischen und ätherischen Kräfte modifiziert. Beide Kräftebereiche sind den astralischen Kräften untergeordnet, wodurch es zu den Phänomenen

  • Tod (vorherrschende physische Kräfte),
  • Schlaf (vorherrschende ätherische Kräfte),
  • Wachen (vorherrschende astralische Kräfte) kommt.

Während des Lebens wird der physische Leib des Tieres (und des Menschen) durch den Ätherleib daran gehindert, sich soweit mineralisierend und verhärtend zu betätigen, dass der Tod die Folge wäre. Entsprechend braucht der Ätherleib immer wieder Perioden, in denen er die Todesprozesse im physischen Leib kompensieren kann. Dafür muss er sich den astralischen Kräften so weit entziehen, dass Schlaf eintreten kann und der Astralleib für eine Zeit seiner Wirkmacht als Träger individuellen Bewusstseins und individueller Wesensäußerung enthoben wird (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Wirken des Ätherleibes bei Tag und bei Nacht).

Musikalische Natur des Astralischen

Wesensglieder: Gegenüberstellung von Astralleib, Luft und Niere).

  • Sie finden sich in reiner Form in den Zahlengesetzen, die in Chemie und Biochemie beim Binden und Lösen der Stoffe walten.

  • Aber auch – wie seit dem Altertum bekannt – in den Zahlengesetzen, die die Bewegungen der Sterne beherrschen, so wie dies von den Pythagoräern als Weltharmonik angesehen wurde und später dann von Kepler detaillierter ausgearbeitet worden ist.10, 11

  • Dass Klänge eine differenzierende Wirkung auf Stoffe ausüben können, kann auch durch Experimente im Stil der Cladni’schen Klangfiguren anschaulich gemacht werden.

Vgl. „Einleitung zu Band 15, Schriften zur Anthroposophischen Medizin, Kritische Edition der Schriften Rudolf Steiners“, frommann-holzboog Verlag, Stuttgart 202512

  1. Rudolf Steiner, Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst, GA 27, Kap. IV.
  2. Vgl. hierzu die Würdigung des Lebenswerkes von Herbert Hensel durch Gunther Hildebrandt (1983), 281f.
  3. Hensel (1989), 45–69. Herbert Hensel war nicht nur ein international renommierter Sinnesphysiologe, sondern auch Anthroposoph. Sein Urteil über Steiners Beitrag zur Wissenschaft ist auch im Kontext der EH hilfreich: „Die Bedeutung der Anthroposophie für die empirischen Wissenschaften liegt vor allem darin, daß sie Anregungen gibt und neue Fragestellungen aufwirft, die dann von der empirischen Forschung aufgegriffen und selbstständig bearbeitet werden können. Das bedeutet keine Beschränkung der geistigen Freiheit des Forschers, da er die Antworten auf die Fragen durch eigene Arbeit finden muß.“ Hensel (1989), 70–77.
  4. Vgl. FN 1, S 24: „Man hat im tierischen Organismus einen Kräftebereich, der gegenüber dem von der Erde ausstrahlenden und in sie einstrahlenden unabhängig ist.“
  5. Vgl. FN 1, Kapitel IV, Abs. 3.
  6. Vgl. Moore (2013), 15, 76, 559.
  7. Vgl. FN 1, S. 8.
  8. ‚aster‘ heißt sowohl in der griechischen als auch in der lateinischen Sprache: Stern.
  9. Vgl. FN 1, S. 25.
  10. Noch Goethe erwähnt „der Brudersphären Wettgesang“ zu Beginn des Faust im Prolog im Himmel. Siehe auch Livio (2023).
  11. Vgl. A. Husemann (2024).
  12. In Band 15 der SKA findet sich auch das umfangreiche Literatur- und Referenzverzeichnis. Wer den Inhalt weiter vertiefen möchte, kann sich dort darüber informieren.