Zur Geistigkeit von Materie und Substanz

Was sagt Rudolf Steiner zu Materie und Substanz?

Inwiefern unterscheidet sich seine Auffassung von Materie von der wissenschaftlich anerkannten Version?

Warum kann und darf es keine Beweisführung im Hinblick auf die Existenz des Geistigen geben?

Materie aus anthroposophischer Sicht

Um über den Substanzbegriff aus anthroposophischer Sicht sprechen zu können, möchte ich folgende Kernthesen und Begrifflichkeiten, auf denen Rudolf Steiner aufbaute, erläutern.

  • Materie als geronnenes Licht gesehen

In dem Vortrag „Die Offenbarungen des Karma“1 betrachtet Rudolf Steiner Materie als geronnenes Licht.

  • Aristoteles Materiebegriff

Die Philosophie des Thomas v. Aquin befasste sich mit dem Materiebegriff von Aristoteles. Aristoteles bezeichnete dasjenige mit „Materie“, was vom reinen Denken übrigbleibt, wenn man die Intelligenz und alles die Materie Gestaltende, also jedes intelligente Movens, herausnimmt; wenn kein Gedankeninhalt, keine Funktion und keine Gesetzmäßigkeit mehr darin enthalten sind. Materie ist demnach das gänzlich Amorphe des Denkens an sich.

Dieser Aspekt offenbart sich uns, wenn wir uns klarmachen, was dem Verstand als Gesetzmäßigkeit hinsichtlich der materiellen Offenbarung zugänglich ist und was bleibt, wenn das alles herausgenommen wird.

  • Der Mensch als Ort, in dem Materie neu entsteht

Der Mensch ist der einzige Ort im Weltall, an dem neue Materie im Sinne des oben Ausgeführten entsteht. Am „Ort Mensch“ wird Materie nicht nur verstoffwechselt – sprich: das verarbeitet, was zugeführt wurde –, sondern im Menschen entsteht gänzlich neue Materie (vgl. Wesensglieder: Gegenüberstellung von Ich-Organisation, Feuer und Herz).

Das ist die Keimsubstanz für ein zukünftiges materielles Dasein, aber auch die Quelle für neue Substanzen (vgl. Erzengel Raphael: Raphael als Substanzwandler) – damit befasst sich das „Hauschka-Experiment“: Hauschka war der Erste, der zu beweisen versuchte, was Steiner sagte: dass der Mensch so mit der materiellen Umgebung verbunden ist, dass er bestimmte Stoffe ersetzt, die in seiner Umgebung fehlen. Das versuchte er am Beispiel des Stickstoffs nachzuweisen.

Der Geist darf sich nicht beweisen lassen

Die Frage nach diesem Nullpunkt als Umschlagpunkt kann man gedanklich gut verstehen, wenn man Rudolf Steiner folgt. Das im Experiment beweisen zu wollen, ist eine der Grenzfragen, die ich persönlich als sehr herausfordernd erlebe:

Ist eine solche Art der Beweisführung nicht schon etwas, wozu jeder sich in Freiheit entschließen muss?

Die nur gelingt, weil ich das zu Beweisende aus freien Stücken denke?

In 1. Kapitel von „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst"1 heißt es, es gäbe diese Beweise als Brücke zum Geistigen nicht, damit die Selbstbestimmung des Menschen gewahrt würde. Wenn mit wissenschaftlichen Methoden bewiesen werden könnte, dass der Mensch Geist ist, wäre die Freiheit nicht mehr vorhanden, den Geist zu verleugnen und zu sagen: Ich bin nicht Geist! Die Verleugnungsmöglichkeit als Ausdruck unserer Freiheit würde unter erdrückenden Beweisen verschwinden (vgl. Geist und geistiges Wesen: Geisterkenntnis und Freiheit).

Einheit von Wesen und Substanz

Aus Achtung vor dieser Freiheit, das Geistige zu bejahen oder zu verleugnen, müssen wir uns fragen:

Ist es überhaupt berechtigt, den geistigen Aspekt des anthroposophischen Menschenbildes von der Wissenschaft anerkannt zu bekommen?

Das oben Gesagte zeigt auf, warum die Frage nach dem Geist und nach dem geistigen Aspekt von Materie keine wissenschaftliche Fragestellung sein kann und darf. Es ist mir wichtig, auch auf diesen Aspekt des Themas hinzuweisen.

Vgl. Ausführungen bei der IKAM-Klausur im Januar 2010

  1. Rudolf Steiner, Die Offenbarungen des Karma, GA 120.
  2. Rudolf Steiner; Ita Wegmann, Grundlegendes zur Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27.