Die sieben Bedingungen für den Weg der Selbstentwicklung

Was gilt es auf dem Weg der Selbstentwicklung als Lehrer zu beachten?

Wie lauten die von Rudolf Steiner genannten Bedingungen für den inneren Weg?

Welche Eigenschaften bringen sie hervor?

Die sieben Bedingungen

Rudolf Steiner nannte sieben Charaktereigenschaften bzw. Lebenshaltungen als Wegweiser auf dem inneren Weg. Wer daran arbeitet, wird bald bemerken, wie er dadurch inneren Halt und klare Lebensorientierung gewinnt. Steiner nennt diese Lebenshaltungen „die sieben Bedingungen“ für den inneren Weg (vgl. Anthroposophie: Die sieben Bedingungen des Anthroposophischen Schulungsweges) und bemerkt dazu: Ganz erfüllen kann die Bedingungen niemand; aber sich auf den Weg zu ihrer Erfüllung begeben kann jeder. Nur auf den Willen, auf die Gesinnung, sich auf diesen Weg zu begeben, kommt es an.1

  • Erste Bedingung – Förderung körperlich-geistiger Gesundheit

„Man richte sein Augenmerk darauf, die körperliche und geistige Gesundheit zu fördern. Wie gesund ein Mensch ist, das hängt zunächst natürlich nicht von ihm ab. Danach trachten, sich nach dieser Richtung zu fördern, das kann jeder.“2

Man könnte nun meinen, hier sei eine Anleitung zum Gesundheitsegoismus gegeben. Im Folgenden wird jedoch geschildert, wie wir das richtige Verhältnis zum Genuss – wie auch zur Pflicht – finden können. Körper und Seele sind in die tägliche Arbeit eingespannt und es kommt vor, dass man der Pflicht zuliebe auf seine Gesundheit zu achten vergisst. Man verzichtet vielleicht auf eine Mahlzeit oder man muss eine Nacht halb oder ganz durcharbeiten, damit es weitergehen kann. Das heißt, die Arbeit veranlasst uns oft dazu, unsere Gesundheit zu vernachlässigen.

Was in diesen Fällen kränkend wirken kann, soll nun ausgeglichen werden durch das richtige Verhältnis zum Genuss. Wir können lernen, intensiv zu genießen, aber so, dass dieser Genuss uns die Kraft gibt, die Arbeit besser und zufriedener zu tun. Es geht darum, zu lernen, nie den Genuss als Selbstzweck aufzusuchen – der dann Kraft kostet –, sondern so genießen zu lernen, dass wir daraus Kraft und neue Motivation für das Leben und die Entwicklung schöpfen. Für Menschen, die nicht genießen können, ist es besonders wichtig, sich klarzumachen, dass der Genuss eine Grundbedingung für die Erhaltung der Gesundheit ist, die Seele und Leib brauchen. Das Problem ist nur, darin bewusst bleiben zu können und im richtigen Augenblick auch wieder aufzuhören, frei nach dem Motto: „Mit dem Essen aufhören, wenn es am besten schmeckt.“ Genießen wir über den Höhepunkt hinaus oder mit Hilfe von gesundheitsschädigenden Drogen oder Genussmitteln, so kostet uns das mehr Kraft, als es spendet.

  • Zweite Bedingung – sich als ein Glied des ganzen Lebens fühlen

„In der Erfüllung dieser Bedingung ist viel eingeschlossen. Aber ein jeder kann sie nur auf seine eigene Art erfüllen. Bin ich Erzieher und mein Zögling entspricht nicht dem, was ich wünsche, so soll ich mein Gefühl zunächst nicht gegen den Zögling richten, sondern gegen mich selbst. Ich soll mich so weit als eins mit meinem Zögling fühlen, dass ich mich frage: ‚Ist das, was beim Zögling nicht genügt, nicht die Folge meiner eigenen Tat?‘ Statt mein Gefühl gegen ihn zu richten, werde ich dann vielmehr darüber nachdenken, wie ich mich selbst verhalten soll, damit in Zukunft der Zögling meinen Forderungen besser entsprechen könne. Aus solcher Gesinnungsart heraus ändert sich allmählich die ganze Denkungsart des Menschen. Das gilt für das Kleinste wie für das Größte. Ich sehe aus solcher Gesinnung heraus zum Beispiel einen Verbrecher anders an als ohne dieselbe. Ich halte zurück mit meinem Urteile und sage mir: ‚Ich bin nur ein Mensch wie dieser. Die Erziehung, die durch die Verhältnisse mir geworden ist, hat mich vielleicht allein vor seinem Schicksale bewahrt.‘ Ich komme dann wohl auch zu dem Gedanken, dass dieser Menschenbruder ein anderer geworden wäre, wenn die Lehrer, die ihre Mühe auf mich verwendet haben, sie hätten ihm angedeihen lassen. Ich werde bedenken, dass mir etwas zuteilgeworden ist, was ihm entzogen war, dass ich mein Gutes gerade dem Umstand verdanke, dass es ihm entzogen worden ist. Und dann wird mir die Vorstellung auch nicht mehr ferne liegen, dass ich nur ein Glied in der ganzen Menschheit bin und mitverantwortlich für alles, was geschieht.“3

Wer diese Bedingung übt, wird bemerken, in wie hohem Maße er durch sein Verhalten auf andere Macht ausübt. Wir alle tun es, oft ohne uns dessen bewusst zu sein. Diese Bedingung will den Blick dafür schärfen. Wenn mich z.B. jemand ärgert und ich auf derselben Ebene reagiere, so kann die Situation leicht eskalieren oder eine anhaltende Missstimmung die Folge sein. Rudolf Steiner bringt oben das Beispiel von einem frechen Schüler, der seinen Lehrer ärgert. Anstatt sich zu einer entsprechenden Gegenreaktion hinreißen zu lassen, kann der Lehrer sich jetzt fragen:

Wie muss ich mich verhalten, damit sich dieser Schüler von seiner besten Seite zeigen kann?

Was muss in ihm vorgegangen sein, was hat er vielleicht zu Hause erlebt, dass seine Hemmschwelle so niedrig war, mir diese ganzen Unverschämtheiten so unverblümt zu sagen?

Meist spricht ein Mensch über seine Vorwürfe von sich selbst, er projiziert seinen Doppelgänger in den anderen. Daher sollte man Vorhaltungen und Urteile nie persönlich nehmen, auch wenn sie einen persönlich betreffen und treffen. Man kann das zunächst einfach stehenlassen und sich fragen:

Warum sucht der Schüler das Doppelgänger-Erlebnis gerade mit mir?

Warum ist er ausgerechnet zu mir so frech?

Was hat es mit mir zu tun als anderem „Ende der Fahnenstange“?

Was kann ich zu seiner Selbsterkenntnis beitragen, ohne dass die Beziehung negativ eskaliert oder ich selbst in meiner Würde verletzt bin?

Selbst wenn man diese Fragen nicht sogleich beantworten kann, bedeutet schon die Tatsache, dass man sie ehrlich stellt und den anderen nicht „richtet“ und verurteilt oder Gleiches mit Gleichem vergilt, einen wichtigen Schritt. Bei solchem Bemühen kommt es nicht selten vor, dass der andere sich nach einer gewissen Zeit in seinem Verhalten ändert oder sogar nach ein paar Tagen kommt und sich entschuldigt.

Das Leben als das zu nehmen, was es ist, stellt eine tolle Übung dar: Leben ist so gesehen eine doppelspurige Straße, auf der ich ständig empfange und gebe. Die anderen tragen bei zu meiner Selbsterkenntnis und zur Beziehungsgestaltung. Das zu erkennen, führt zu einer gewissen Lebenszufriedenheit, stabilisiert enorm und entängstigt zugleich.

„Man nehme den anderen, wie er ist…“

Ich verliere die Angst vor dem anderen, wenn er von mir aus so sein darf, wie er ist. Stellt euch das mal konkret vor: Wer schimpft, darf schimpfen, wer aggressiv ist, darf aggressiv sein, wer nicht grüßt, grüßt nicht – das alles dürfen die Menschen um uns herum! Und ich kann mich ganz souverän fragen, wie ich damit umgehen, was ich daraus machen möchte. Wenn jemand so mit anderen umgeht, dass sie so sein dürfen, wie sie sind, wirkt das magisch auf den Betreffenden zurück. Steiner sagt als soziales „Rezept“: „Man nehme jeden Menschen, wie er ist, und versuche, daraus das Allerbeste zu machen.“4

Als ich das zum ersten Mal las, merkte ich, dass es sich bei mir meist umgekehrt verhält: Ich nehme mich so, wie ich bin, und mache an den anderen rum, wünsche mir die anderen anders als sie sind: Ich gebe ihnen ungefragt gute Ratschläge, kritisiere, habe gute Ideen, was sie alles besser machen könnten…

Es geht nun darum, das umzudrehen – das ist doch total spannend! Der andere darf so sein, wie er ist und ich versuche mich zu ändern, dass er besser mit mir zurechtkommt. Damit arbeite ich maximal an der sozialen Entängstigung, weil ich die Angst nicht mehr haben muss, dass der andere mich verletzt, weil er mich ja verletzen darf: Er hat vielleicht einen Grund und ich kann etwas von ihm lernen!

  • Dritte Bedingung – Wirkung von Gefühlen und Gedanken erkennen

Sie besagt, „(…) dass Gedanken und Gefühle ebenso Bedeutung für die Welt haben wie unsere Handlungen. Es muss erkannt werden, dass es ebenso verderblich ist, wenn ich meinen Mitmenschen hasse, wie wenn ich ihn schlage. Dann komme ich auch zu der Erkenntnis, dass ich nicht nur für mich etwas tue, wenn ich mich selbst vervollkommne, sondern auch für die Welt. Aus meinen reinen Gefühlen und Gedanken zieht die Welt ebensolchen Nutzen wie aus meinem Wohlverhalten.“ 5

Wie wirksam gute Gedanken und Gefühle im Hinblick auf andere Menschen sein können, weiß jeder, der Menschen in seinem Umkreis hat, an die er mit Liebe, Achtung und Wertschätzung denkt. Kinder, denen mit liebevollem Respekt begegnet wird, wachsen in einer solchen Atmosphäre wie in einem moralischen Schutzwall auf, der sie alltäglichen Ärger, beängstigende Erlebnisse oder Streit mit Kameraden mit einer anderen inneren Sicherheit verkraften lässt, als es ohne einen solchen Schutz möglich wäre. Sich klar zu machen, dass gute Gedanken Keimkräfte möglicher guter Taten sind, dass positive Gefühle lebensfördernd sind, ist die Aufgabe.

Auf die Frage einer Besucherin im russisch-orthodoxen Kloster Sagorsk, wo sich die Mönche rund um die Uhr in einem Gebet für den Frieden in der Welt ablösen: „Denken Sie, dass das hilft? Es gibt doch so viel Kriegszustände auf der Erde“, wurde ihr geantwortet: „Wissen Sie wie es auf Erden zugehen würde, wenn wir hier nicht beten?“ Es ist unsere Aufgabe, mit dem Bewusstsein leben zu lernen, dass man für die Qualität der eigenen Gedanken und Gefühle ebenso Verantwortung trägt wie für das eigene Handeln. Dadurch prägen sich Stimmung und Klima, die „Aura“ einer Situation.

Man kann jede negative Entgegnung zurückhalten, wenn man sich klarmacht: Der „wahre Mensch“, zu dem der andere werden will, findet sein „ungutes“ Verhalten genauso unangemessen wie ich. Also bete ich für ihn, dann wird es uns beiden besser gehen. Alles andere bringt gar nichts. Indem man sich ereifert, wird nur Unwesenhaftes, Elementarisches genährt – das wirkliche Wesen hat davon nichts.

  • Vierte Bedingung – Wesenheit des Menschen im Inneren suchen

Hier geht es um die „(…) Ansicht, dass des Menschen eigentliche Wesenheit nicht im Äußerlichen, sondern im Inneren liegt. (…) Wer zu solchen Gefühlen vordringt, der ist dann geeignet zu unterscheiden zwischen innerer Verpflichtung und dem äußeren Erfolg. Er lernt erkennen, dass das Eine nicht unmittelbar an dem Anderen gemessen werden kann. Es gilt die rechte Mitte zu finden zwischen dem, was die äußeren Bedingungen vorschreiben, und dem, was er als das Richtige für sein Verhalten erkennt. Er soll nicht seiner Umgebung etwas aufdrängen, wofür diese kein Verständnis haben kann; aber er soll auch ganz frei sein von der Sucht, nur das zu tun, was von dieser Umgebung anerkannt werden kann. Die Anerkennung für seine Wahrheiten muss er einzig und allein in der Stimme seiner ehrlichen, nach Erkenntnis ringenden Seele suchen. Aber lernen soll er von seiner Umgebung, soviel er nur irgend kann, um herauszufinden, was ihr frommt und nützlich ist. So wird er in sich selbst das entwickeln, was man (…) die „geistige Waage“ nennt. Auf einer ihrer Waageschalen liegt ein „offenes Herz“ für die Bedürfnisse der Außenwelt, auf der anderen „innere Festigkeit und unerschütterliche Ausdauer.“6

Die Erfüllung dieser Bedingung ist zugleich auch ein Gradmesser für das Maß an Autonomie und innerer Unabhängigkeit, was schon errungen ist. Den Lehrer als unbestechlich und im Urteil eigenständig zu erleben, wirkt motivierend auf den Schüler, „auch so“ zu werden. Letztlich beruht darauf auch die Drogenprävention: Abhängigkeit entsteht durch die Unfähigkeit, zu sich selber zu stehen. Man sucht nicht die Selbsterfahrung, das Erlebnis, auf dem Weg persönlicher Anstrengung und Arbeit, sondern mit Hilfe von Stimulanzien und Drogen. Man macht sich nicht von sich abhängig, sondern von Stoffen, Kräften oder von Menschen und Dingen. Mit Hilfe der vierten Bedingung lernt man, sich diesen Tatbestand bewusst zu machen und zu verstehen, warum in einer so auf Äußerlichkeit und Konditionierung ausgerichteten Kultur das Phänomen ‘Abhängigkeit und Integritätsverlust’ zum Problem Nummer 1 werden kann. Denn letztlich ist nur eine geistige und emotionale Abhängigkeit „gesund“: die von sich selbst.

  • Fünfte Bedingung – gefasste Entschlüsse befolgen

„(…) die Standhaftigkeit in der Befolgung eines einmal gefassten Entschlusses. Nichts darf einen dazu bringen, von einem gefassten Entschluss abzukommen, als die Einsicht, dass man im Irrtum befangen ist. Jeder Entschluss ist eine Kraft, und wenn diese Kraft auch nicht einen unmittelbaren Erfolg da hat, wohin sie zunächst gewandt ist, sie wirkt in ihrer Weise. Der Erfolg ist nur entscheidend, wenn man eine Handlung aus Begierde vollbringt. Aber alle Handlungen, die aus Begierde vollbracht werden, sind wertlos gegenüber der höheren Welt. Hier entscheidet allein die Liebe zu einer Handlung.“ 7

Arbeit zu leisten aus dem inneren Beweggrund der Liebe zur Sache oder zu Menschen und nicht aus der Begierde nach Geld, Anerkennung oder Erfolg – das ist heutzutage wie eine Botschaft von einem anderen Planeten. Dennoch kann nur eine solche Arbeitsmoral den Charakterzug der Standhaftigkeit ausbilden. Geschieht die Arbeit aus anderen Beweggründen, so begibt sich das Ich in Abhängigkeiten, die seine Standfestigkeit untergraben und es manipulierbar und bestechlich machen.

Ein Entschluss birgt die Kraft der Verwirklichung. Daher ist es eine Frage der Standhaftigkeit, der Unbeirrbarkeit, der Liebe zur Sache, ob die Ausführung gelingt. Andererseits braucht es Kraft, die Kraft selbstloser Liebe, um sich einen Irrtum einzugestehen oder eine Enttäuschung gesund zu verkraften. Auch dieses fördert die Standfestigkeit im Leben und verhindert das „Zusammenbrechen“ oder „Einknicken“, wenn Rückschläge oder Enttäuschungen kommen, die jeder Lebenslauf mit sich bringt. Wenn Schüler Lehrern begegnen, die um solche Standhaftigkeit ringen, wird ihnen die Schule zu einem zweiten Zuhause. Sie gewinnen Maßstäbe des „Leben Lernens“ und fühlen sich mit ihren eigenen Unsicherheiten, Idealen und Enttäuschungen verstanden und „angenommen“.

  • Sechste Bedingung – Dankbarkeit für alles entwickeln

Hier geht es um „(…) die Entwicklung des Gefühles der Dankbarkeit gegenüber allem, was dem Menschen zukommt. Man muss wissen, dass das eigene Dasein ein Geschenk des ganzen Weltalls ist. Was ist alles notwendig, damit jeder von uns sein Dasein empfangen und fristen kann! Was verdanken wir der Natur und anderen Menschen! (…) Wer sich solchen Gedanken nicht hingeben kann, der vermag nicht in sich jene All-Liebe zu entwickeln, die notwendig ist, um zu höherer Erkenntnis zu kommen. Etwas, das ich nicht liebe, kann sich mir nicht offenbaren. Und eine jede Offenbarung muss mich mit Dank erfüllen, denn ich werde durch sie reicher.“8

Gerade in der Schule ist es so notwendig, aufmerksam zu werden für die Tatsache, dass das Schicksal, die vielen kleinen und großen Begebenheiten im Leben, letztlich immer lebensfreundlich sind und Anlass geben zu lernen, etwas Positives daraus zu machen, die Entwicklung zu fördern. Schüler erleben ihren Lehrer als Lebenskünstler, wenn er an dieser 6. Bedingung arbeitet. Dankbarkeit ist die seelische Atemluft zwischen Menschen. Man fühlt sich frei und leicht in einer von Dankbarkeit geprägten seelischen Atmosphäre. Die Stimmung der Dankbarkeit schließt zusammen, bewirkt Offenheit und Vertrauen. Rudolf Steiner beschreibt das Gefühl der Dankbarkeit auch als die Brücke zu den Verstorbenen. Ist doch die Dankbarkeit dasjenige, was man aus allen Erfahrungen im Irdischen, die an Raum und Zeit gebunden sind, als das Unvergängliche herausarbeiten kann. In der Dankbarkeit findet jede noch so schwierige, schöne oder auch von Sehnsucht schmerzhaft geprägte Erfahrung ihre Beruhigung und Dauer im eigenen Wesen.

  • Siebente Bedingung – die Bedingungen als Gesamtheit im Bewusstsein behalten

„Alle die genannten Bedingungen müssen sich in einer siebenten vereinigen: das Leben unablässig in dem Sinne aufzufassen, wie es die Bedingungen fordern.“9

Dadurch bekommt die eigene Lebensgestaltung ein einheitliches Gepräge, eine gewisse Integrität und Geschlossenheit. Als Folge dieser Bemühungen wächst die Fähigkeit der inneren Ruhe. Der ruhende Pol in der Klasse zu sein, ist nun aber die Voraussetzung für eine konstruktive und erfreuliche Berufspraxis. Wer das Leben im Sinne dieser Bedingungen auffassen lernt, macht dieses sein Leben selber zu der großen Schule, in die er geht und dessen Lehrer der Herr der Schöpfung ist. Zu entdecken, dass die Evolution von Mensch, Erde und Weltall zusammenhängen, aufeinander abgestimmt sind, für einander und durch einander da sind, kann zur überkonfessionellen, interreligiösen Gotteserfahrung werden, zur Begegnung mit dem schöpferischen Logos in uns, um uns. Lehrplan, Methodik und Didaktik in der Schule in diesem Sinne aufzufassen und zu handhaben ist Auftrag und Engagement der Waldorfpädagogik.

Erwerb von positiven Eigenschaften

Die aus der Arbeit an den sieben Bedingungen folgenden Charaktereigenschaften bzw. „spirituellen Haltungen“ sind:

  • Gesunde Lebensgestaltung
  • Integrationsfähigkeit
  • Realitätssinn
  • Innere Selbständigkeit und Unabhängigkeit
  • Geduld
  • Schicksalsvertrauen („All-Liebe“)
  • Innere Ruhe

Auf der Basis einer solchen inneren Arbeit wird Pädagogik, wird der Beruf des Lehrers selbst zum Prototyp des menschlichen Entwicklungsweges. Wir sind als Menschen zwar unvollkommen und lernbedürftig. Dieses aber macht unsere Entwicklungsfähigkeit aus, deren Besonderheit die Selbstentwicklung ist. Menschlichkeit lässt sich nur lernen, wenn man bereit ist, sie zu denken, zu empfinden, zu üben und immer wieder neu zu wollen. Erzwingen lässt sie sich nicht, auch nicht von außen, „per Natur“ erzeugen. Sie ist das Ergebnis eigener seelischer und geistiger Arbeit und kommt stets von innen, „von Herzen“.

Vgl. „Die Angst in der Selbsterziehung des jungen Erwachsenen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

  1. Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten, GA 10. Dornach 1993, S. 103. (Ausgabe 1992, die auch der Online-GA zugrunde liegt).
  2. Ebenda.
  3. Ebenda, S. 105.
  4. Rudolf Steiner, Wie kann die seelische Not der Gegenwart überwunden werden? Vortrag vom 10.10.1916 in Zürich. In: Die Verbindung zwischen Lebenden und Toten, GA 168.
  5. Ebenda, S. 107.
  6. Ebenda, S. 108.
  7. Ebenda, S. 109.
  8. Ebenda, S. 109f.
  9. Ebenda, S. 110.