Bedeutung von Eigenaktivität für Lernprozesse

Wie hängen Eigenaktivität und Lernprozesse zusammen?

Wodurch kann körperliche, seelische und geistige Eigenaktivität gefördert werden?

Was wirkt sich schädigend darauf aus?

Geistiges Konzeptionsmodell

Rudolf Steiner spricht von den Wesensgliedern des Menschen, von Ich-Organisation, Astralleib, Ätherleib und physischem Leib, die sich im Zuge der Inkarnation miteinander verbinden und die Körperfunktionen ermöglichen und beeinflussen (vgl. Wesensglieder: Grundlegendes zum Thema Wesensglieder). Das geistige Konzeptionsmodell besagt, dass sie sich mit dem Eikeim von Mutter und Vater verbinden und von Anfang an die Entwicklung vorantreiben (vgl. Die ersten drei Jahre: Gehen – Sprechen – Denken: Grundsätzliches zur Reifung in den ersten drei Lebensjahren). Ganz entscheidend ist die Frage, wie durch Erziehung die seelisch-geistige Kompetenz angeregt wird (vgl. Waldorfpädagogik: Entwicklungsphasen und Pädagogik im Schulalter):

Wie müssen Lernprozesse gestaltet werden, dass sie so in Beziehung zu dem gerade heranreifenden Organsystem stehen, dass das eine das andere unterstützt?

Für die Verdauung im Körperlichen wie für die Verarbeitung seelisch-geistiger Eindrücke gilt gleichermaßen: Nur, was sich das Kind aufgrund eigener Aktivität aneignet, fördert die körperliche Entwicklung. Das bestätigt die genetische Forschung in Form der Epigenetik die herausgefunden hat, dass nicht nur Milieueinflüsse das Erbgut verändern, sondern auch die seelisch-geistige Eigentätigkeit.

Bedeutung körperlicher, seelischer und geistiger Bewegung

Im Folgenden möchte ich aufzeigen, wie Eigenaktivität sich als Bewegung im Körperlichen, Seelischen und Geistigen auswirkt (vgl. Waldorfpädagogik: Seelische, körperliche und geistige Gesundheit durch Erziehung).

  • Körperliche Bewegung

Aus der Medizin wissen wir, dass Bewegung die beste Stimulation für das Nervensystem ist. Das gilt vor allem in den ersten 9 Lebensjahren, in denen die Reifung des Nervensystems im Vordergrund steht (vgl. Die ersten drei Jahre: Gehen – Sprechen – Denken: Embryonale Leibwerdung und Bildebewegungen). Mit hirngeschädigten Kindern wird Gymnastik gemacht, auch schon Säuglingsgymnastik, Heilgymnastik. Dabei werden „gesunde“ Bewegungen angebahnt und geübt sowie eine gute körperliche Koordination. Im Englischen spricht man diesbezüglich von „Support of embodyment“. Es gibt „Embodyment-Treatments“, die bei den vielen nervösen, nicht gesund entwickelten, unangepassten Kindern die Verkörperung unterstützen. Immer arbeitet man mit Bewegung.

Das bewegungslose Sitzen vor dem Fernseher oder Computer ist also das Gegenteil von dem, was ein Kind für seine gesunde Entwicklung braucht (vgl. Medienpädagogik: Negative Folgen einer zu frühen Gewöhnung an digitale Medien).

  • Seelische Bewegung

Im zweiten Jahrsiebt bis zu etwa 16 Jahren steht die seelische Bewegung im Vordergrund. Ein Kind kommt seelisch in Bewegung, wenn es emotional mitgehen kann mit dem, was im Unterricht passiert. Wenn eine seelische Spannung in die nächste übergeht. Rudolf Steiner sagt, in jeder Unterrichtsstunde müssen die Schüler mindestens einmal an den Rand des Weinens und einmal an den Rand des Lachens kommen. Die ganze Spannbreite der Gefühle sollte ausgelotet werden. Der Unterricht sollte so gestaltet werden, dass es den Schülern nicht langweilig wird (vgl. Erziehung: Erziehung zur Weltzugewandtheit).

Erziehung zu Medienkompetenz gibt den Kindern die Möglichkeit zu lernen, eigene Emotionen zu entwickeln, eigene Innerlichkeit zu erleben, in der Lage zu sein, sich seelisch zu bewegen (vgl. Medienpädagogik: Indirekte und direkte Medienpädagogik/). Entsprechend ist das beste Mittel gegen Computerabhängigkeit, Kinder seelisch so zu fördern, dass sie auch ohne Computer keine Langeweile haben. Man sollte den PC zum Arbeiten oder Kommunizieren benützen, aber doch nicht, weil einem nichts anderes einfällt! In der Waldorfschule wird der Computer mit 16 Jahren besprochen. Dann sollte er auch sukzessive an Stellen eingesetzt werden, an denen es nötig und sinnvoll ist.

  • Geistige Beweglichkeit

Im dritten Jahrsiebt geht es um geistige Bewegung – jetzt wird Freiheit geübt.

Im Zusammenhang damit gibt es schöne Aufwach-Erlebnisse, aber auch weniger schöne. Ich erinnere mich an einen beschämenden Moment. Wir waren 46 Schüler in einer Waldorf-Klasse. Der Unterricht war langweilig, ich schaute mich in der Klasse um und ich bemerkte einen Jungen, mit dem ich noch nie ein Wort gewechselt hatte – und schämte mich sehr: Neun Jahre waren wir gemeinsam in der Klasse und doch hatte ich mit ihm nie noch gesprochen! Mir war in dem Moment auch bewusst, warum nicht: weil ich ihn ganz einfach „doof“ fand. Doch ich wusste nicht einmal, warum ich ihn doof fand. Ich hatte ja noch gar nicht mit ihm gesprochen. Es war also ein Vorurteil aufgrund äußerlicher Sympathien/Antipathien. In der Pause bin ich damals auf ihn zugegangen und habe ihn auf schwäbisch gefragt, welches Fach wir in der nächsten Stunde hätten. Er sagte: „Euro“ als Abkürzung von Eurythmie. Das war unser erster Dialog und ich war ganz erleichtert, dass er ein ganz netter, normaler Junge war.

Solche Gedanken sind typisch für die Geburtsstunde der Freiheit im Denken. Plötzlich hebt sich etwas aus den Emotionen heraus, jenseits von Sympathie und Antipathie, und stellt sich den Dingen in Freiheit neu gegenüber, unabhängig davon, was in der Vergangenheit war.

Erst wenn die Freiheit, bzw. die geistige Beweglichkeit, anfängt real zu werden, kann man von einem medienkompetenten Bewusstsein sprechen.

Schädigender medialer Einfluss auf die körperlich-seelische Entwicklung

Weiß man um die eminente Bedeutung von Eigenaktivität und eigenen Impulsen für die Entwicklung, muss man sich ernsthaft fragen, ab welchem Alter der Gebrauch von Medien sich nicht mehr allzu schädigend auf Körper, Seele und Geist auswirkt (vgl. Medienpädagogik: Fragwürdiger Einsatz von Medien bei Kindern).

Solange das Kind stark wächst, sind Medien nicht zu empfehlen, weil ihre Qualitäten und Strukturen sich dem physischen Leib, der ein Instrument für Eigenaktivität sein sollte, als manipulierend einprägen (vgl. Mobilfunkstrahlung: Schädliche Auswirkungen von gepulsten Mikrowellenstrahlungen). Denn die medialen Strukturen stören den gesunden Aufbau des Körpers, was zur Folge hat, dass sich eine immer größere Anzahl von Menschen nicht mehr wohlfühlt in ihrem Körper. Der Grund dafür ist, dass ihr Körper nicht durch Eigenaktivität gestaltet wurde, sondern einer Art Außensteuerung unterlag und Impulse erhielt, die nicht von eigener Aktivität durchwärmt waren. In solch einem Körper fühlt man sich natürlich fremd und weiß nicht so recht, woher das kommt.

Vgl. Vortrag „Ich im Netz“, 2012

Waldorfpädagogik